Eine Rezension von Jan Eik


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Auch danach ist es nicht vorbei ...

 

Barbara Honigmann: Damals, dann und danach

Carl Hanser, München 1999, 135 S.

 

 

Barbara Honigmann, die seit 1984 als „orthodoxe“ Jüdin in Straßburg lebt, hat in der DDR einige Stücke fürs Theater veröffentlicht, von denen sie sich in ihren neueren Texten vorsichtig distanziert; mit dem Roman von einem Kinde (1986), Eine Liebe aus nichts (1991), Soharas Reise (1996) und nun mit Damals, dann und danach hat sie zu ihrem ureigenen Thema gefunden, zu ihrer jüdischen Identität. Das schmale Buch ist ein Mosaikstein in der zu großen Teilen immer noch ungeschriebenen Geschichte der aus dem (westlichen) Exil in die DDR zurückgekehrten deutschen Juden. Oder vielmehr der nächsten, mit ihren Fragen allein gelassenen Generation.

Barbara Honigmann wurde 1949 in Ost-Berlin geboren; ihre Eltern, Georg und Lizzy H., waren im Kulturbetrieb der DDR keine Unbekannten. Der Vater stieg u.a. zum Chef der „Distel“ und der selig dahinkümmernden „Stacheltier“-Filme auf, die Mutter hatte mit dem englischsprachigen Filmimport zu tun, denn die beiden hatten sich im Londoner Exil kennengelernt. Und was erschreckend ist: Sie setzten offensichtlich ihr Exil in Berlin fort, verkehrten nur mit ihresgleichen und verschwiegen den Kindern ihre Lebensgeschichte, ja sogar die jüdische Herkunft. Welchen Schaden eine solche, uns heute unverständlich erscheinende Haltung in einer sensiblen jungen Frau anzurichten vermag, davon berichtet dieses in einfachen und klaren Worten geschriebene Buch in seinen neun Episoden, von denen sich drei mit der stückweise rekonstruierten Familiengeschichte beschäftigen. Barbara Honigmann schreibt über ihre inneren Kämpfe, ihr gegenwärtiges Leben, über ihre Freundinnen und ihre Kinder. Der stärkste Eindruck aber ist der einer bedrückenden, scheinbar vergangenheits- und gegenwartslosen Kindheit, in der sie nahezu isoliert aufwuchs.

Weshalb aber hatten sich die Eltern in ein so absolutes Schweigen zurückgezogen? Aus reiner Parteidisziplin, wie Barbara Honigmann andeutet? Aber renommierten nicht gerade alte Genossen oft und gerne mit ihren klassenkämpferischen Erfahrungen, die im Lichte unwidersprochener Ehrerbietung immer helleren Schein gewannen? Oder waren es ganz besondere Parteiaufträge, die den Honigmanns noch Jahrzehnte später den Mund selbst vor dem eigenen Kind verschlossen?

Lizzy Kohlmann, die aus Wien stammende Mutter, besaß nicht einmal ein Fotoalbum, nur einen Pappkarton mit einzelnen „Fotos von ihren Eltern, von dem englischen Studenten, mit einer Pfeife im Mund, very good looking, aus den Jahren in Wien, in Paris, in London...“

In der Person dieses englischen „Studenten“, mit dem Lizzy Kohlmann in zweiter Ehe immerhin zwölfeinhalb Jahre verheiratet war, liegt der Schlüssel zu dem Geheimnis, das Barbara Honigmann kaum andeutet. Das Foto jenes very good looking jungen Mannes mit der Pfeife ist weltbekannt. „Kim Philby, nachdem er Cambridge verlassen hatte“, heißt es dazu in der deutschen Ausgabe von Phillip Knightleys Biographie Kim Philby. Geheimagent (München 1989). „Mit einundzwanzig Jahren war er bereits Kommunist und kurz davor, sich dem sowjetischen Geheimdienst zu verschreiben.“ Die junge Frau, bei deren Eltern er auf Rat der französischen Genossen in Wien untergekommen war, arbeitete bereits für die Komintern.

Am 24. Februar 1934 heirateten die beiden und gingen bald nach London. Ihre Wege trennten sich, aber die Ehe wurde rechtskräftig erst im September 1946 in Ost-Berlin geschieden - als Philby gerade auf dem besten Wege war, Englands höchster Geheimdienstchef zu werden. Lizzy, die in England als langjährige Sowjetagentin galt und deshalb nie wieder dorthin zurückkehrte, stellte für ihn und Burgess erneut die Verbindung mit Moskau her. Dort starb Kim Philby bekanntlich 1988 hochgeehrt im Range eines KGB-Generals. Lizzy hat er nach seinen eigenen Angaben nie wiedergesehen, nicht einmal bei seinem DDR-Besuch 1981.

Von all dem steht kaum ein Wort in Barbara Honigmanns Buch. Wie stark diese Geheimnisse ihre Biographie beschädigt haben, wird auf jeder Seite deutlich.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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