Eine Rezension von Volker Dannemann


Mährischer Masaryk, böhmischer Beneš

Jirí Gruša: Gebrauchsanweisung für Tschechien

Piper Verlag, München 1999, 201 S.

 

„Höhenflüge werden bei uns bestraft. Und weil sich das bereits herumgesprochen hat, zögern manche, bevor sie sie wagen. Und trinken Bier.“ Jirí Gruša hat sich nicht entmutigen lassen und berichtet aus erster Hand über seine tschechische Heimat. Jirí Gruša, der Romancier, Lyriker und Herausgeber, vereinigt sich in diesem Buch mit seinem Alter ego, dem Politiker, Diplomaten und Philosophen, und zum Glück für die Leser entsteht solch ein Text wie die vorliegende Gebrauchsanweisung für Tschechien. Einmal mehr präsentiert sich Gruša als launiger Erzähler, der seine Berichte mit Anekdoten zu würzen versteht. Sein Augenzwinkern steckt voller Andeutungen, und nicht immer versteht man gleich auf Anhieb die wahren Hinterlistigkeiten. Das böhmische Bier, die Knödel und der Schweinebraten, der brave Soldat Schwejk - nichts wird ausgespart, und doch ist alles ganz anders. Gruša zeigt dem Leser Querverbindungen auf, die ihm bisher möglicherweise entgangen sein könnten. Das Bier, zum Beispiel, das in der Hospoda kredenzt wird, reicht in metaphysische Sphären: Hospodin ist „nicht der Wirt, sondern der Herr aller Dinge, über Leben und Tod, des Alls und von uns Menschen“. Behutsam und mit feiner Ironie versucht Gruša, dem Leser die Eigenarten der tschechischen Sprache nahezubringen. Daß vier Konsonanten in Reihe wie zum Beispiel bei Ctvrtek (Donnerstag) nicht so einfach zu schaffen sind, weiß er, und er verzeiht dem geneigten Leser die ungelenken Aussprachversuche. Bei Václav (Wenzel) allerdings gibt er unmißverständlich zu verstehen, daß tschechische Ohren schmerzen, wenn von Watschlaf oder ähnlichem die Rede ist, noch dazu, wenn es sich um den Schriftstellerkollegen und Präsidentenfreund Václav Havel handelt. Gruša schlägt eine naheliegende Aussprachehilfe vor: WAZ plus love, wobei WAZ die Abkürzung der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ ist, „die das größte tschechische Tageblatt betreut“.

Weil Gruša der Sprache und ihren Klängen auf den Grund geht, gerät er in untergründig schlummernde Bereiche, die Mentalitäten prägen und somit wieder in die Geschichte und ihre Konflikte einwirken. Ein prächtiges Geflecht ergibt sich da, und uralte Geschichten gewinnen an unerwarteter Aktualität. Der schlesische Rübezahl etwa, Krakonoš oder auch Rýbrcoul, der auf unterschiedliche Weise Gestalt gewinnt. Krakonoš „hat einen langen Bart und Haare wie Michelangelos Jehova in der Sixtinischen Kapelle. Oder er trägt eine Försteruniform und sieht aus wie der greise Kaiser Franz Joseph“. Im Riesengebirge „lebt und webt jeder für sich, als stünde der Webstuhl noch immer in der Hütte. Man kennt jeden Faden, erfindet neue Muster und liefert herrliche Stoffe“.

Gruša belegt seine Einführung in das Tschechische nicht nur an Wörtern und ihren Etymologien, sondern auch an Ereignissen und ihren Repräsentanten. Selbstverständlich kommen in dieser Gebrauchsanleitung auch die historisch unverzichtbaren Figuren vor: Karl IV. und sein unglückseliger Sohn Wenzel, Jan Hus und Jan Nepomuk, Tomáš G.Masaryk oder die Schriftsteller Franz Kafka und Karel Capek. Keine vollständige Geschichte Böhmens und Mährens mit ihrer kulturellen und sprachlichen Durchdringung des deutschen, jüdischen und tschechischen Elements liegt hier vor, sondern der Versuch, das Wesen, die Essenz des Tschechischen zu kennzeichnen. Die einwirkenden Elemente werden dabei nicht ausgeklammert sondern im Gegenteil ständig im Auge behalten. Um so prägnanter erscheint dann übrigens das untersuchte Objekt. Eindrucksvoll bestätigt sich dies in der Welt der Fabeln und Märchen. Ottfried Preußlers Feen, Wassermänner, Gespenster und Räuber stammen aus dem gleichen kulturellen Raum, in dem ihre tschechischen Kollegen angesiedelt sind. Interessant sind typologische Abweichungen. Beim böhmischen Räuber Rumcajs zum Beispiel „ist das, was in der echten Sagenwelt immer den Schrecken weckt, niedlich, tschechisch teuflisch“. Ein Typus, der sich durch Schwierigkeiten durchlaviert und um Ausflüchte für seine Gaunereien nicht verlegen ist. Gruša schreibt: „Auf der Rückreise von Deutschland nach Prag bin ich ihm kürzlich begegnet, dem Rumcajs, diesmal war er als Schaffner verkleidet. Er sieht meine deutsche Fahrkarte und fragt mich auf deutsch, ob ich wisse, daß in Tschechien ein Schnellzugzuschlag zu entrichten sei. Ich wundere mich (nach Eger rattert der Zug auffallend langsam auf den holprigen tschechischen Schienen), er - noch höflicher - schlägt vor, daß ich 64 Kronen nachzahle. ,Hovnajs!‘ sage ich auf tschechisch. Und er, erstaunt, verschwindet in Fahrtrichtung.“

Die Übersetzung dieser wirkungsvollen Antwort - vulgär und verspielt zugleich - wird im Buch aufgedröselt. Allein schon dafür lohnt diese Lektüre!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite