Eine Rezension von Elfriede Brüning


„Einst hatte sie eine Zukunft, jetzt hat sie einen Job“

Britta C. Dunker: Linda im Warenland

Agimos-Verlag, Kiel 1999, 198 S.

 

Von dem Erstlingswerk einer jungen Autorin muß geredet werden, von Britta C. Dunker, Jahrgang 1968, wohnhaft in Kiel. Ihre Linda im Warenland, Aushilfskassiererin bei einer Supermarktkette, ehemalige Studentin, von der die Autorin sagt: „Einst hatte sie eine Zukunft, jetzt hat sie einen Job“, die „kassiert und kassiert und meist dennoch leere Taschen hat“, erlebt, ähnlich der Alice im Wunderland, Erstaunliches. Ihr Alltag, ausgefüllt mit Arbeit und Fernsehgucken, ist trist, daher schafft sie sich eine Traumwelt mit einem Helden darin, dem Filmstar Johnny Depp, der zwar nur eine Illusion ist, aber das kümmert Linda nicht, „sie hält ihre Fantasie als Haustier und ist nicht bereit, sich von einem realen Partner enttäuschen zu lassen“. Ein realer Partner könnte Jo Matten sein, der Fleischstand-Verkäufer, der ein Auge auf Kasse fünf geworfen und drei, vier Sätze mit Linda gewechselt hat. Bei Britta C. Dunker liest sich das so: „Die beiden Unschuldstäubchen liegen momentan bei einem monatlichen Durchschnitt von 800 Worten (Tendenz steigend) pro Person, damit existieren fast eheähnliche Verhältnisse, sie sehen einander täglich, ohne sich zu kennen und haben keinen Sex miteinander.“ Sex gibt es dagegen zwischen dem Filialleiter und der Backwaren-Verkäuferin Maike Weißhaar, die, wie uns die Autorin wissen läßt, auf der Rangliste des Personals ganz oben steht. Dahinter rangieren die Frauen vom Blumenstand, dann die Einzelhandelskauffrauen, die Fischfachverkäuferinnen, und aus unerfindlichen Gründen bilden die Fleischereifachverkäuferinnen das letzte Glied in der Kette. Wenn sich der Filialleiter mit Maike Weißhaar in seinem Auto vergnügt, liest sich das so: „Der Mann liegt seitlich begrenzt auf dem Rücken in den Polstern seines Cabriolets, die Frau sitzt auf ihm. Wie Lego ist dieses Paar ineinandergesteckt, seine Stoßrichtung ist aufwärts, sie wird gestoßen. Ihre Brüste, diese kleinen Zwillinge, tänzeln wie Angelposen, die einen Fang anzeigen, in ihrem orangenen Mikrofaser-BH auf und ab.“

Ich muß gestehen, daß ich bisher nirgends eine so plastische und gleichzeitig poetische Schilderung des Sex-Vorganges gelesen habe. Doch zurück zu Linda, die inzwischen den lebhaften Wunsch verspürt, „sich zu verdoppeln“, mehr aus sich zu machen, zum Beispiel eine Mutter, doch bleibt ihr Kinderwunsch durch ihren Phantasiemann leider unerfüllt. Aber da gibt es doch im Fernsehen („Der Fernseher läuft, ohne je irgendwo anzukommen“) die Kurt-Keiser-Show, die soeben das Talk-Thema der nächsten Woche verkündet: „Wollen Sie ein Kind und Ihr Partner nicht? Dann rufen Sie uns an unter ...“ Linda tut es und wird eingeladen, und nun bereitet sich die Frau, die „gewöhnlich vor dem Fernsehgerät sitzt, darauf vor, in naher Zukunft ferngesehen zu werden“, und sie taucht ein in die Medienwelt, die die Autorin genau so bissig-frech und satirisch beschreibt wie den Warenalltag in einem Supermarkt. Die Taxifrau, die Linda vom Kölner Flughafen abholt, erliegt zwar einem Irrtum, da sie annimmt, Linda mache mit in der Ilse-Christiansen-Show zum Thema „Armut in Deutschland“, und um die Zeit, die sie im Stau stehen, zu verkürzen, sagt sie gleich ihre Meinung dazu: „Die meisten Menschen“, verkündet sie selbstbewußt, „sind absichtlich arm, schließlich kommt Armut seit Jahrtausenden vor, also besteht ja wohl ein Bedürfnis danach“ - doch „geschickt wie bei einem Ölwechsel“ wechselt sie, als sie ihren Irrtum bemerkt, auch zur nächsten Thematik, referiert über die Sittenlosigkeit alleinerziehender Mütter und gibt zu bedenken, daß „so ein Kind allein in den ersten Jahren so viel wie ein Kleinwagen kostet“. Doch jede Fahrt, und sei sie noch so schön, hat einmal ein Ende, und so liefert die Taxi-Musterfrau ihre Fracht vor dem Gebäudekomplex der Kurt-Keiser-Show pünktlich ab, wo der Moderator schon im Scheinwerferlicht vor seinen Gästen steht und werbefrei seine Monologe auf sie herunterregnet. „Sein Kopf quillt (dabei) aus dem Kragen heraus und ist mittels Schlips am Körper befestigt. Er ist so sehr Durchschnitt, daß das schon wieder etwas Besonderes ist. Ihn gibt es als Einzelanfertigung, obwohl er ein Dutzendmensch ist, seine Haltbarkeit ist enorm, lediglich den Quotentod hat er noch zu fürchten.“

Dies alles, Lindas Erlebnisse hier und dort, ihre scharfen Beobachtungen und Beschreibungen der Landeshauptstadt, des Arbeiterviertels Kiel-Gaarden, der Werften, des Seebades Laboe („Mitten aus dem Geriatriezentrum wächst der mahnende Finger des Krieges heraus ... ein Stinkefinger der Verteidigung. Drohend reckt sich das Propaganda-Instrument als Dauererektion militärischer Potenz aus der schönen Landschaft“) lesen sich äußerst amüsant, obwohl ich einschränken muß, daß Leser und Leserinnen, die eine konventionelle Erzählweise bevorzugen, mit dem noch dazu durchgehend kleingeschriebenen Text ihre Schwierigkeiten haben werden. Das Buch liest sich nicht, wie man ein Glas Saft herunterspült. Man muß es schluckweise zu sich nehmen, sich jeden Satz auf der Zunge zergehen lassen. Ob junge Leute, Angehörige von Brittas Generation, die sich in dem Buch wiederfinden werden, die Geduld aufbringen, es wie eine Kostbarkeit zu sich zu nehmen?

Britta C. Dunker arbeitet zur Zeit halbtags in der Altenpflege. Auch ihre Erfahrungen auf diesem Gebiet will sie niederschreiben. Man wünschte ihr bei ihrem Vorhaben, das ungeheuer wichtig ist, eine einfühlsame Lektorin zur Seite, die imstande ist, Brittas Begabung, die sie mit ihrem Erstling unter Beweis gestellt hat, zu fördern und ihre oft ausufernden Beschreibungen in einen ruhigen Erzählfluß zurückzuleiten.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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