Eine Annotation von Hans Chmelik


Vonnegut, Kurt: Zeitbeben

Roman.
Aus dem Amerikanischen von Harry Rowohlt.

Carl Hanser, München 1998, 232 S.

 

Der Hanser Verlag trifft eine interessante Wertung des Vonnegut-Romans: „Ein anarchisches, grimmiges, komisches, albernes und tiefsinniges Buch: der definitiv letzte Roman Kurt Vonneguts.“

Der unvoreingenommene, aber so gewarnte Leser wird in vielerlei Hinsicht „beglückt“: Seine Kenntnisse über amerikanische und Weltliteratur sowie Kunst werden sich als bescheiden und/oder nicht ausreichend erweisen; ein Wechselbad der Gefühle erwartet ihn; sein geistiger Höhenflug erlebt rasante Abstürze in die „Banalität“ des Lebens; gesichert erscheinende Lebensweisheiten werden in Frage gestellt; Werte, Normen und moralische Prinzipien kollidieren mit dreckigen Witzen und Vulgarismen.

Es lohnt sich, die, wie „Amerikas beliebtester griesgrämiger Alter“ selbst erklärt, aus dem „mißglückten Roman Zeitbeben Eins“ filetierten Stücke zu kosten. Ob es ein Genuß wird, ist einzig und allein von den Geschmackspapillen und den Verdauungsorganen des geneigten Lesers abhängig.

Die Fabel des Romans Zeitbeben ist schnell erzählt: Das Universum beschließt im Jahre 2001, vor die Frage gestellt, ob es sich ausdehnen oder einen zweiten Urknall erleben soll, in das Jahr 1991 zurückzugehen. „Mein Zeitbeben“, so Vonnegut, „bewirkte, daß jeder und alles in einem Augenblick vom 13. Februar 2001 auf den 17. Februar 1991 zurückgezappt wurde. Dann mußten wir alle die mühselige Tour zurück ins Jahr 2001. Minute für Minute, Stunde für Stunde, Jahr um Jahr, wieder auf das falsche Pferd setzen, wieder den falschen Menschen heiraten, uns wieder einen Tripper holen. Einmal mit allem!“ Diese Konstellation veranlaßt Kilgore Trout, Vonneguts Alter ego in mehreren früheren Romanen, vergriffener Science-fiction-Autor und inzwischen steinalter Penner, zu der Erklärung: „Mannomann! Ich bin viel zu alt und erfahren, um wieder mit dem freien Willen russisches Roulette zu spielen.“ Und dann schlägt seine große Stunde.

Für den Autor Vonnegut ergeben sich die unterschiedlichsten Gelegenheiten, seine Biographie aufzuarbeiten, Meinungen über diese Welt unverblümt zu äußern und seine Lieblingsthemen abzuhandeln:

In unregelmäßigen Abständen finden sich kosmische und weniger kosmische Meditationen über die Entwicklung der (kosmischen) Menschen, über ihre Eigenschaften und Verhaltensweisen und die daraus resultierenden Folgen.

Unmißverständlich und drastisch äußert der Autor seinen Standpunkt zu Krieg und Gewalt: „Daß es Geräte wie Schußwaffen gibt, so leicht zu bedienen wie ein Feuerzeug und so billig wie ein Toaster, fähig, wenn jemand dazu aufgelegt ist, meinen Vater oder Fats oder Abraham Lincoln oder John Lennon oder Martin Luther King jr. oder eine Frau mit Kinderwagen umzubringen, sollte für jedermann Beweis genug sein, daß, um den alten Science-fiction-Autor Kilgore Trout zu zitieren, ,am Leben zu sein eine Schatztruhe voller Scheiße‘ ist.“

Permanent beschäftigt sich Vonnegut implizit wie explizit mit der Problematik Fortschritt, Fernsehen und Kommunikation. Die Beziehungen zwischen Mann und Frau und die Qualität menschlichen Seins sind immanenter Bestandteil seiner Betrachtungen. Und auch an einem Plädoyer für Bücher fehlt es nicht: „Doch durch Zufall, nicht durch kaltes Kalkül, beteiligen Bücher, wegen ihres Gewichts und ihrer Beschaffenheit und wegen des Widerstands, den sie der Handhabung entgegenzusetzen scheinen und der doch so leicht und süß zu brechen ist, unsere Hände und Augen, und dann Geist und Seele, an einem spirituellen Abenteuer, und wenn das meine Enkel nicht mehr mitbekämen, könnten sie mir ganz schön leid tun.“

So entsteht die für Kurt Vonneguts „ganz eigenes Genre“ typische Mischung aus Albernheit und Tiefsinn, ernsten Sentenzen und Slapstickelementen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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