Eine Annotation von Eberhard Fromm


Galbraith, John Kenneth: Die solidarische Gesellschaft

Plädoyer für eine moderne soziale Marktwirtschaft.

Hoffmann und Campe, Hamburg 1998, 160 S.

 

Wenn sich ein so namhafter Wissenschaftler wie Galbraith am Ende des Jahrhunderts zu einem solchen gegenwärtigen Reizthema wie die soziale Marktwirtschaft zu Wort meldet, muß man ganz einfach seine Ansicht zur Kenntnis nehmen. „Die Zeit“ nannte ihn einmal den „erfolgreichsten Außenseiter der Ökonomie“. Wer seine Memoiren Leben in entscheidender Zeit liest, kann einen Einblick in die intensive Denk- und Lebensweise des gebürtigen Kanadiers J. K. Galbraith (1908) gewinnen. 1941 übernahm er die Leitung der Preiskontrolle in den USA, das wohl einflußreichste zivile Amt der Kriegswirtschaftsführung. 1945 untersuchte er die Folgen der strategischen Bombardierung Deutschlands, wozu er intensive Gespräche mit den inhaftierten Nazi-Größen führte. Später unterstützte er die Präsidenten Kennedy und Johnson. Einige Jahre wirkte er als amerikanischer Botschafter in Indien. Und dazwischen lagen immer wieder Jahre intensivster wissenschaftlicher Arbeit mit publizierten Ergebnissen, die weltweit Beachtung fanden, wie Der amerikanische Kapitalismus, Gesellschaft im Überfluß, Die moderne Industriegesellschaft oder Die Herrschaft der Bankrotteure.

In seinem vorliegenden Essay will der Autor das Machbare und nicht das Ideale einer solidarischen Gesellschaft beschreiben. Und er stellt auch gleich eingangs dazu fest, daß Vorwürfe, seine Position sei zwar gut, aber nicht realisierbar, nichts anderes darstellen als Bemühungen, Interessen zu verteidigen, die dem gesamtgesellschaftlichen Wohl widersprechen. Er wendet sich gegen jede Ideologisierung des Themas und benennt seine Zielstellung so: „Jeder Bürger sollte unabhängig von seinem Geschlecht, seiner Rasse oder ethnischen Abstammung die Chance haben, ein erfülltes Leben zu führen.“ Die Grundmerkmale einer solidarischen Gesellschaft sind für ihn Beschäftigung und Aufstiegschancen für alle Menschen, eine gute Bildung, Freiheit von sozialen Unruhen, ein stabiles soziales Netz, der Schutz von Vorsorgeaufwendungen gegen inflationsbedingten Wertverlust sowie eine partnerschaftliche und sozial orientierte Außenpolitik (vgl. S. 43). Daraus entwickelt er die einzelnen Erfordernisse und analysiert knapp die möglichen Konfliktfelder, wie zum Beispiel die Inflation und das Haushaltsdefizit. Gegen den Einwand, daß staatliche Sozialleistungen das Haushaltsdefizit erhöhen würden und damit auch auf lange Sicht die Steuerlast folgender Generationen, wendet Galbraith ein, dies sei „eine ebenso abwegige wie dümmliche Schutzbehauptung“. Er betont die herausragende Bedeutung der erhöhten Bildung, polemisiert gegen die Macht des Militärs und das Elend des Bürokratismus, wobei er gerade auch die Entwicklung in den USA kritisch aufs Korn nimmt. Er begründet, warum die Außenpolitik auch eine wirtschaftliche und soziale Dimension besitzen sollte. Daß die Verantwortung der solidarischen Gesellschaft nicht an den Grenzen des Nationalstaates enden dürfe, ist nach Galbraith keine Frage der freien Wahl, sondern ein Gebot der Zeit. Denn unsere Zeit, insbesondere die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist nach seiner Auffassung von der „tiefgreifendsten politischen Umwälzung... seit Tausenden von Jahren“ gekennzeichnet.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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