Eine Annotation von Gerhard Keiderling


Barzel, Rainer: Die Tür blieb offen. Mein persönlicher Bericht über Ostverträge, Mißtrauensvotum, Kanzlersturz

Bouvier Verlag, Bonn 1998, 211 S.

 

Seit der „neuen Ostpolitik“ der Brandt/Scheel-Regierung geht im Bonner Parteienlager der Streit, ob die Deutschlandpolitik der SPD einer Wiedervereinigung zu- oder abträglich gewesen sei. Rainer Barzel, Partei- und Fraktionsvorsitzender der CDU während der Regierungszeit Brandts, gehörte zu den entschiedenen Gegnern der Ostverträge, weil sie seiner Meinung nach die Teilung festschreiben würden. Mit dem vorliegenden Band wendet sich Barzel zum wiederholten Male der dramatischen Zeit zwischen 1969 und 1972 zu, als Egon Bahr mit der Sowjetunion einen Gewaltverzicht aushandelte und dieser Moskauer Vertrag beinahe an einem konstruktiven Mißtrauensvotum der CDU/CSU im Bundestag gescheitert wäre. In der entscheidenden Sitzung vom 27. April 1972 fehlten dem Oppositionsführer zwei Stimmen an der Kanzlermehrheit. Immerhin kamen Barzel und Brandt überein, eine Resolution als amtliches Dokument zum Moskauer Vertrag zu formulieren, das der Regierung half, das Vertragswerk zu retten, und das der Opposition erlaubte, es als „Modus vivendi“ in der Kontroverse über die Offenhaltung der deutschen Frage bedingt mitzutragen.

Gespräche mit seiner Frau über jene Ereignisse - so versichert Barzel eingangs - hätten ihn veranlaßt, „diesen persönlichen Bericht zu schreiben, um die Lücke zu schließen, Neues mitzuteilen, mit einem falschen Klischee aufzuräumen und anderen die Möglichkeit zu geben, diesem Bericht zu widersprechen oder ihn zu bestätigen“. (S. 11) Was sodann aus der Erinnerung dargelegt oder aus der umfangreichen (Memoiren-)Literatur zitiert wird, zwingt nicht zu einer Korrektur dessen, was schon bekannt ist. Sicherlich wird der Experte das eine oder andere neue Faktum daraus entnehmen können. Daß die Einheit 1990 Bonn ohne viel eigenes Zutun in den Schoß fiel, hat monokausal mit der geschilderten Kontroverse um die Ostverträge von 1972 wenig zu tun. Eher führte der Bundestagswahlkampf von 1998, der ein Ende der sechzehnjährigen Kanzlerschaft Kohl erahnen ließ, dem Autor die Feder. Mit Genugtuung setzt Rainer Barzel als Schlußpunkt unter seinen „persönlichen Bericht“ ein Urteil seines Parteifreundes Wolfgang Schäuble: Allein seine Hartnäckigkeit in der Frage der Einheit der Nation hätte „die Tür offengehalten, durch die Helmut Kohl 1989 gehen konnte“. (S.210)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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