Eine Rezension von Friedrich Schimmel


Die Kunst der Unterhaltung im 18. Jahrhundert

Barbara Maria Stafford: Kunstvolle Wissenschaft

Aufklärung, Unterhaltung und der Niedergang der visuellen Bildung.
Aus dem Amerikanischen von Anne Vonderstein.

Verlag der Kunst, Amsterdam, Dresden 1998, 384 S., 200 Abb.

 

Daß Kunst eine Form der Unterhaltung ist, wird von Theoretikern heutzutage gern verdrängt. Weil über den Begriff der Unterhaltung etwas kauzig-engstirnige Vorstellungen im Umlauf sind. Ganz anders war das noch im 18. Jahrhundert. Mit der Entwicklung der Naturwissenschaften entwickelte sich rasch auch eine Lust an deren Verbreitung. Und das war die Zeit für Gelegenheitskünstler, also technische Artisten, Taschenspieler, Automatenkünstler, Schausteller jeder Art. Vermittlung konnte Spiel und Täuschung sein. Wer mehr wissen wollte, studierte die Wissenschaften, nicht selten angeregt durch das faszinierende Experimentieren auch der beliebten Quacksalber. Aber es gab noch eine zweite Seite dieser Entwicklung. Auch die Künste wurden von den Vorführ- und Verführungsartisten beeinflußt.

Die an der University of Chicago lehrende Kunsthistorikerin Barbara Maria Stafford hat in ihrem Buch Kunstvolle Wissenschaft diese historische Vielfalt beschrieben. Aufklärung war Unterhaltung. Lichtenberg hat es auf die wunderbare Formel gebracht, „Beweise müssen Späße sein“. Zugleich handelt ihre Arbeit vom „visuellen Niedergang der Bildung“, ein Vorgang, der heute von all den hier ausgebreiteten Themen vielleicht der anhaltend wichtigste ist.

Sehen, Denken, Sprechen, diese drei Fähigkeiten des Menschen bedürfen der ständigen Auseinandersetzung mit der Außenwelt. Daß die Mehrzahl der Menschen gerade das Denken vernachlässigt, macht sie ja auch so anfällig gegenüber Quacksalbern, zu allen Zeiten. Denn unterhalten werden möchten sie alle und möglichst ständig.

Barbara Maria Stafford setzt sich das Ziel, „die Unterhaltung historisch zu untersuchen“, indem sie sich „auf die optische Komponente der sich im achtzehnten Jahrhundert entwickelnden Freizeitindustrie“ konzentriert. Selbst ein bißchen verzaubert von all den Wundersachen, neigt die Autorin manchmal zu geheimnisumwitterten Sätzen. Einer geht so: „Im vorliegenden Buch versuche ich, eine ohnehin undichte schwarze Kiste zu öffnen und nachzuschauen, was sich in ihr befindet.“ Magie ist im Spiel, und das macht diese Arbeit sogar noch spannender, als es das dargebotene Material sowieso schon ist. Gesellschaftliche Einflüsse, kulturelle Vorurteile werden geprüft. Die Gegenwart und auch die Zukunft werden dabei mit ins Visier genommen. Barbara Maria Stafford kennt sich im Bereich der Computer gut aus, sie weiß, daß wir uns „auf dem besten Wege zurück zu einer oral-visuellen Kultur befinden“, denn: „Animationsfilme, virtuelle Realität, digitale Videoübertragung, Bildplatten, computergesteuerte Gestaltung, sogar E-mail gehören zu einem neuen Sehen und einer visionären Kunst-Wissenschaft.“ Mag sein, daß da etwas dran ist, aber Zweifel an dieser Über-Technik sind auch berechtigt. Denn die Autorin neigt hier zu Illusionen, wenn sie verkündet, daß „wir besser für das revolutionäre Universum des grenzenlos vernetzten Äthers gerüstet“ sind, wenn wir wissen, wie einst eine Aufbruchzeit „bereits mit den Problemen von Manipulation und Verzerrung, Täuschung und Illusion gerungen hat“. Nicht jede These, die die Autorin vertritt, wird auch hinreichend ausgeführt. Freilich ist die Gratwanderung zwischen Authentizität und Täuschung ziemlich groß. Da aber hilft bei der Lektüre dieses allemal anregenden Buches der Blick auf die vielen Abbildungen.

Die Autorin spricht nicht nur von der Macht des Visuellen, sie führt vor, was Bilder, Blicke auf technische Apparate, Graphiken, Skulpturen, Möbel, und immer wieder Bilder in Bildern oder Zeichnungen von Lebewesen beweisen. Wunderbare Augen-Blicke ermöglichen dem Leser weite Blicke, Einsichten und Erlebnisse. Das will die Autorin vor allem erreichen, Gewinn aus solchen Seh-Erlebnissen zu holen. Denn, wie sie meint, sei die Geschichte der westlichen Zivilisation „unter weitgehender Nichtbeachtung der okularen, taktilen, kinetischen und auditiven Fähigkeiten geschrieben“ worden.

Vielleicht ist das auch ein bißchen zu hoch gestapelt, wenn die Autorin meint, mit den raffinierten modernen Seh-Techniken sei der Mensch gut bedient. Das Verwirrungs-Phänomen liegt ja im Inhalt verborgen, und damit hapert es doch überall sehr.

Auch da, wo der Leser anderer Meinung ist, bleibt die Lektüre dieses Buches anregend. Selbst dann, wenn man über ein paar pauschale Formulierungen und Ungenauigkeiten nicht gestolpert ist. Von den „Denkern des 18. Jahrhunderts“ zu reden ist wissenschaftlich unhaltbar, auch „die Hochaufklärer“ werden nicht näher bezeichnet. Ebenso unredlich ist die sich wiederholende Formel „die Aufklärer“ oder auch „die Romantiker“, und „Kleists unmenschliche Marionetten“ wirken unfreiwillig komisch im Text. Wenn Malerei gedeutet wird, zeigt die Autorin große Unsicherheiten. In der Romantik ging es ihrer Meinung nach darum, „schwindelerregende, vielschichtige Strukturen herzustellen“, und die Landschaften Turners beispielsweise „ähneln den unnatürlichen, raffinierten Geschicklichkeitskraftakten“.

Es geht um alte und neue Verständigungssysteme. Um Quacksalber und Wissenschaftler, um Künstler und ihre Interpreten. Ganz besonders aber geht es hier um die ewige Seh-Schule, die dem Menschen vielleicht das Überleben zu sichern vermag.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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