Eine Rezension von Hella Hertzfeldt


Arbeiten ohne Geld?

Gisela Notz: Die neuen Freiwilligen

Das Ehrenamt - Eine Antwort auf die Krise?

AG SPAK Bücher, Neu-Ulm 1998, 72 S.

 

Die kleine Streitschrift von G. Notz stellt einen Beitrag zur aktuellen Diskussion über die Krise der bisherigen Verteilung und Entlohnung der Arbeit und mögliche Perspektiven dar. Vor dem Hintergrund von 4 Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen und der Annahme, daß in Zukunft nur noch 20 % der Arbeitsfähigen zur Erarbeitung der Güter und Dienstleistungen nötig sind, werden viele Szenarien entwickelt, wie die Gesellschaft mit den „restlichen“ 80 % umgehen soll. In diesem Zusammenhang seien nur folgende Arbeiten erwähnt: J. Rifkin: Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft; Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen; O. Giarini/P. Liedtke: Wie wir arbeiten werden. Allen ist mehr oder weniger gemeinsam, daß sie fast schicksalhaft von dieser 20:80 Struktur ausgehen und Konzepte entwickeln, die es den 80 % ermöglichen, an der ihrer Meinung nach weiterhin bestehenbleibenden Marktwirtschaft teilzunehmen und andere Tätigkeiten, die nicht so ganz „marktfähig“, sprich profitbringend, sind, auszuüben. Ein großer Bereich stellt für sie die ehrenamtliche Arbeit dar, hier wäre ein weites Feld, was neu zu beackern wäre. Und in der Tat, wird die Werbetrommel für ehrenamtliche Arbeit kräftig gerührt. Sogenannte Prominente sprechen von Plakatwänden über die Bedeutung der ehrenamtlichen Arbeit, und Freiwilligen-Agenturen entstehen in vielen Orten. Hier setzt G. Notz an. Jahrelange Forschungen zur ehrenamtlichen Arbeit bilden die Grundlage für ihre fundierten Aussagen zu dieser Thematik. So stellt sie eingehend fest, daß ca. 80 % dessen, was als ehrenamtliche Arbeit bezeichnet wird, von Frauen geleistet wird, „während Männer die gleiche Menge der Ehren-Ämter innehaben“ (S. 20). Die ehrenamtliche, unbezahlte Arbeit wird also überwiegend von Frauen geleistet, während Männer stark übergewichtig die Führungspositionen in Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und anderen caritativen Einrichtungen besetzen. Zwar hat in den letzten Jahren eine Diskussion über diese Disproportionen begonnen, zu einschneidenden Veränderungen ist es aber (noch) nicht gekommen.

Überhaupt ist zwischen dem politischen und sozialen Ehrenamt zu unterscheiden, wenn auch Überlappungen nicht ausgeschlossen sind. Das politische Ehrenamt erstreckt sich auf solche Funktionen wie Mitgliedschaft in Vorständen der Wohlfahrtsverbände, in Aufsichtsräten, Rundfunk- und Fernsehräten, kulturellen, gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kirchlichen Gremien. Die Tätigkeiten werden hauptsächlich von Männern neben der Berufsarbeit ausgeführt. „Meist werden sie unter Fortzahlung der Bezüge von der Arbeit freigestellt. Frauen kommen im politischen Ehrenamt nur selten vor.“ Anders sieht es in der sozialen ehrenamtlichen Arbeit in sozial-kulturell-ökologischen Bereichen aus. Sie wird überwiegend als (unbezahlte) Arbeit oder (sozial ungeschützte) Dienstleistung ausgeübt. Es sind dies vor allem helferische Funktionen im Sinne von sozialen und pflegerischen Dienstleistungen für Menschen, die sich nicht, noch nicht, nicht mehr oder vorübergehend nicht selbst helfen können. Sie stellen eine tragende Säule bei der Versorgung von hilfsbedürftigen Menschen dar, deren Wegbrechen das gesamte bestehende System zum Einstürzen bringen würde.

G. Notz setzt sich prinzipiell mit dem Begriff der ehrenamtlichen Arbeit auseinander und ordnet ihn in den Arbeitsbegriff ein. „Der Begriff ehrenamtliche Arbeit unterstellt einen Arbeitsbegriff, in dem Arbeit nur als bezahlte anerkannt wird, während ein riesiger Sektor gesellschaftlich notwendiger Arbeit als solche desartikuliert wird. Das symbolische Entgelt ,Ehre‘ hat die Funktion, zusätzliche notwendige Arbeitskraft außerhalb der Lohnform wie außerhalb der Familie zu mobilisieren. Damit wird ehrenamtliche Arbeit ein Einfallstor für Ideologie, aber auch der Kritik an der Lohnform der Arbeit.“ Nationale Untersuchungen weisen darauf hin, daß bei allen Problemen das Ausmaß der ehrenamtlichen Arbeit in der Bundesrepublik recht beachtlich ist: ca. 20 Millionen Menschen waren nach Berechnungen von 1998 so tätig. Im europäischen Vergleich jedoch relativiert sich das: Von zehn untersuchten Ländern, so besagt eine Studie, kommt der Bundesrepublik nur der drittletzte Rang zu. An der Spitze liegen die Niederlande, Schweden, Belgien, Dänemark und Großbritannien. Im Durchschnitt sind 27 % der Bevölkerung in den untersuchten europäischen Ländern mindestens einmal monatlich ehrenamtlich aktiv, in der Bundesrepublik dagegen nur 18 % (davon 24 % in Ost und 16 % in West). Diese ehrenamtlichen Tätigkeiten weichen immer mehr von den oben beschriebenen traditionellen Feldern und Aufgaben ab, es entwickelt sich ein „neues“ Ehrenamt, das von der Autorin kritisch hinterfragt wird. Es sind vor allem jene Tätigkeitsfelder, die mit dem Selbsthilfebereich und bürgerschaftlichem Engagement im Zusammenhang stehen, die das neue Ehrenamt ausmachen. Sie verstehen sich nicht selten als bewußter Gegenentwurf zu den bestehenden Verhältnissen, weisen aber auch auf deren krisenhafte Zustände und Defizite hin und sind aus Notsituationen heraus entstanden. G. Notz macht deutlich, daß bürgerschaftliches Engagement an sich noch keinen positiven Wert darstellt. So gibt es z. B. Bürgerinitiativen, „gegen Autobahnen und Schnellbahnen, durch deren Bau die Gefahr gesehen wird, daß die natürliche Landschaft weiter zerstört wird, und der deshalb verhindert werden soll. Wir kennen aber auch Bürgerinitiativen, die Asylantenwohnungen und Behindertenheime in dem Stadtteil, in dem die dort Engagierten wohnen, verhindern wollen und die damit diskriminierend und ausgrenzend wirken.“

Die neuen „Freiwilligen“ sind oft genug auch die „Freigesetzten“ im Sinne der oben beschriebenen Situation in der Arbeitswelt, bzw. sollen aus den „Freigesetzten“ „Freiwillige“ werden - wenn es nach den Vorstellungen einiger nicht gerade bedeutungsloser Wissenschaftlerinnen geht. Die Autorin setzt sich besonders mit solchen Vorstellungen auseinander, wie sie von J. Rifkin und U. Beck im Zusammenhang mit der Diskussion um den „dritten Sektor“ - einen Bereich zwischen Privatwirtschaft und Staat, der nicht profitorientiert ist, - vertreten werden. Sie zeigt auf, daß all diese Vorschläge darauf abzielen, die bestehende soziale Ungleichheit nicht aufzuheben, einschließlich der Ungleichheit der Geschlechter. Im Gegensatz zu diesen Konzepten fordert G. Notz, die alten Forderungen der Arbeiterinnenbewegung nach Auflösung der sozialen Ungleichheit, der gesellschaftlichen Exklusion und der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wieder aufzunehmen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen muß es nicht darum gehen, immer mehr bezahlte in unbezahlte Arbeit umzuwandeln, sondern im Gegenteil müßte umgekehrt dem Trend zu geringfügigen und ungeschützten Arbeitsverhältnissen Einhalt geboten werden, gerade hiervon sind auch hauptsächlich Frauen betroffen. Sie macht deutlich, daß es aus frauenpolitischen Interessen notwendig ist, die gesellschaftlich notwendige und sinnvolle Arbeit einer Umverteilung der Verantwortung für die Mit- und Umwelt auf beide Geschlechter durch Arbeitsverkürzung im Bereich der Vollzeiterwerbsarbeit (6-Stunden-Tag) und durch Abbau von Überstunden zu unterziehen. (S. 57) Gemeinsinn kann nicht durch die Verordnung zu Tätigkeiten in irgendwelchen Sektoren (wieder) belebt werden, sondern nur auf der Basis solidarisch und gleichberechtigt tätiger Individuen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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