Eine Rezension von Christian Berger


„Der doofe Rest“

Kerstin Hensel/Thomas Billhardt: Alles war so. Alles war anders

Bilder aus der DDR.

G. Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1999, 160 S.

 

Nun stehen sie wieder. Aber nicht in der Schlange. Nun sitzen sie wieder. Aber nicht in der Parteiversammlung. Nun versammeln sie sich wieder. Aber nicht zum Aufmarsch. Einfältigen Gemütern konnte eingetrichtert werden, daß das d i e DDR war: Schlangestehen, Versammlungen, Aufmärsche. „Alles war so. Alles war anders.“ Das ist die passendste Antwort, die gegeben werden kann. Und zwar von denen, die in der Deutschen Demokratischen Republik zu Hause waren. Thomas Billhardt und Kerstin Hensel waren das. Billhardt, Jahrgang 1937, hat die gesamte Geschichte des Landes mitgemacht und es in dem Dreibuchstabenland zu einem der Ersten unter den Fotografen gebracht. Hensel, Jahrgang 1961, gehört zu der Generation, von der kommunistische Altkader in besten DDR-Zeiten behaupteten, sie hätte sich in die „gemachten Betten“ des Sozialismus gelegt. Hensel war wirklich undankbar. Statt sich des Bettes zu freuen, versuchte sie, den Mief des Bettes zu lüften. Billhardt und Hensel, geborene Chemnitz-Karl-Marx-Städter, haben sich zusammengetan, um „Bilder aus der DDR“ zu veröffentlichen. Dabeigewesene, kritische Gesellen, die sie sind, kam es ihnen gar nicht in den Sinn, die DDR schönzuschminken. Die letzten beiden Sätze sämtlicher Sätze von Hensel, die dem Buch den Titel Alles war so. Alles war anders verpaßten, bestimmen den Inhalt. Denn das Anstehen, Strammstehen, Stillstehen, Stummdasitzen, In-Reih-und-Glied-Marschieren war nicht d i e DDR. Bilder und Texte bringen eine Menge von dem zum Vorschein, was anders war. Das, was anders war, war das Leben der Leute. Jener Leute, von denen soeben der West-Berliner Autor Bodo Morshäuser abermals sagte, daß sie „einheitlich leicht nach vorn gebeugt“ gingen und, daß der Kopf „hängengelassen“ wurde, „als sei er längst abgegeben worden“. Nicht gesehen war der weniger toupierte Kopf, das von Make-up-Masken freie, frischere Gesicht, der direktere Blick. Nichts war wahrgenommen von der Fröhlichkeit der Feiernden, die selbst dann und dort für Buntheit garantierten, wo sonst nur flatternde Fahnen für Farbigkeit sorgten. Selbst wo die DDR am stupidesten war - auf ihren Tribünen, tristen Industrierevieren, genormten Festveranstaltungen-, waren die Menschen da, die den Kopf hochhielten und sich das Lachen nicht verkneifen konnten geschweige denn verbieten ließen. Verdammt noch mal: Es wurde gern und gut gelacht in der DDR! So und anders. Heiter, ironisch, skeptisch, hämisch. Über die da oben sowieso. Auch über sich selbst. Ohne die DDR-eigene Selbstironie der Autoren wäre das Buch nicht so anders als andere, die jetzt auf und in die DDR blicken.

Billhardt/Hensels Buch muß nicht schon morgen in die Makulatur. Das Buch kann auch denen in die Hand gedrückt werden, die mit der DDR nichts am Hute hatten. Es wird sie erheitern!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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