Eine Rezension von Bernhard Meyer


Vom Stechlin bis zum Spreewald

Birgid Hanke/Toma Babovic: Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Eine Bildreise.

Ellert & Richter Verlag, Hamburg 1998, 96 S.

 

Kurz nach der Wende 1989 zogen zwei im Norddeutschen Beheimatete aus, um die Mark Brandenburg zu erkunden und sie den Altbundesdeutschen zu offerieren. Was sie dabei fanden, haben die Reisejournalistin Birgid Hanke und der Fotograf Toma Babovic zu einer lesens- und anschauenswerten Lektüre vereint, die nun schon die 8. Auflage erlebt. Texte und Bilder vermitteln dem Leser die ganze Vielfalt der brandenburgischen Landschaft mit Stechlin, der Märkischen Schweiz, dem Oderbruch, mit Werder und dem Havelland, dem Spreewald und mit zwei Exkursen in die Geschichte der Hohenzollern und das Schicksal märkischer Schlösser und Herrensitze. Eingerahmt wird das Erkundete immer wieder durch Aussagen und Erlebnisse des Urvaters jeglicher brandenburgisch-touristischer Unternehmungen, Theodor Fontane.

Ins Auge fallen dem Betrachter sofort die hervorragend fotografierten farbigen Landschaftsszenen der Mark mit Feldern, Wiesen und Wasser. So etwa die flachen sandigen Äcker mit der Weite des blauen Himmels oder die geheimnisvoll schimmernde Wasserfläche des Werbelinsees mit den stämmigen Kiefern am Uferrand. Oder die immer seltener werdenden Birken- und Lindenalleen, die Babovic beeindruckend in ihrer schlichten Natürlichkeit eingefangen hat. Das riesige Getreidefeld bei Neuruppin - gewiß gibt es in Deutschland reizvollere Gegenden, aber wer in einfacher Natur das Schöne zu entdecken vermag, dem liefert hier der Bildautor ein passendes Beispiel. Selbst der Kenner gelangt zu überraschenden neuen Sichten, wenn er die Details der märkischen Backsteingotik am Rathaus von Jüterbog oder den Weinberg vom Schloß Sanssouci in einer bisher nicht gesehenen fotografischen Verdichtung präsentiert bekommt. Die wohl bewußt (und zu akzeptierenden) etwas romantisierenden Aufnahmen berühren sicherlich auch den in aller Welt herumgereisten Betrachter. Zumal, wenn er in einer durchgestalteten Landschaft wohnt, die nur noch begradigte Flüsse, baumlose Landstraßen und Asphalt überall, aber keine Urwüchsigkeit und Naturbelassenheit mehr kennt. Die Komposition der Bilder erregt Aufmerksam-keit und bietet ungewöhnliche Blicke auch dem, der die so typische Landschaft schon kennt.

Die Texte sind durchgängig locker und informativ abgefaßt und mit historischen Schwarz-weißabbildungen illustriert. Der wißbegierige Leser erfährt von der Urbarmachung des Oderbruchs zu Regierungszeiten von Friedrich II., von den Ausflügen der Berliner zu den stimulierenden Obstweinen anläßlich der Baumblüte nach Werder und dem Leben der Sorben im einzigartigen Spreewald. Bei alldem werden Klischees wohltuend vermieden.

Die kurzgefaßte Geschichte der Hohenzollern bricht allerdings ohne erkennbaren Grund mit Friedrich II. ab. Möglicherweise wird deshalb dem Leser nicht recht deutlich, warum nach 1945 im östlichen Deutschland das Preußentum einschließlich der Gutsherren und Junker so arg attackiert wurde. Nur wer sich bemüht, die Bodenreform aus diesem geschichtlichen Prozeß heraus zu verstehen, wird daraus ableiten können, in welchen Blickwinkel Guts- und Herrenhäuser hernach gerieten. Und nicht zu vergessen der Zweite Weltkrieg, der besonders im östlichen Brandenburg verheerende Zerstörungen - bis zu 80% der Dörfer und Städte - mit sich brachte. Da dienten eben Gutshäuser, soweit sie den Krieg überstanden hatten, als Wohnstätten für Ausgebombte, Umsiedler und Flüchtlinge, später als Kindergärten und Altersheime, LPG-Büros und mitunter als Konsum-Gaststätten. Ob das bei architektonisch wertvollen oder historisch bedeutsamen Gebäuden immer angebracht gewesen sein mag, sei dahingestellt ebenso wie die Nutzung von Schloß Rheinsberg als Diabetikerheim. Solche Nutzung für die Gemeinschaft ist aber eher zu begrüßen als etwa das sattsam bekannte Schild mit der herrischen Aufschrift „Privatbesitz! Betreten verboten“.

Hier und da zeigt sich dann doch der Mangel, ein Problem nur aufzuwerfen, es aber nicht konsequent zu verfolgen. Ihre Anmerkung über die ehemals 16 Millionen Obstbäume in Werder endet mit der richtigen Feststellung: „Davon ist nicht mehr viel zu merken.“ (S. 64) Ja, fragt sich der von Brandenburg ferne Leser, wo sind die denn geblieben? Die Autorin übergeht den erbarmungslosen kommerziellen Verdrängungskampf nach der Wende, der zuungunsten des Havellandes gegenüber lobbygestützten anderen deutschen Obstanbaugebieten ausgegangen ist. Nun könnte man berechtigt meinen, derartige Themen gehören nicht in ein werbendes Bilderreisebuch. Richtig, doch die Autorin wirft den Ball, und deshalb sind Nachfragen schon berechtigt. Es fällt auf, daß sie immer dann hinterfragt, wenn es Vorwendeverhältnissen angelastet werden kann. Anders verfährt die Autorin bei aktuellen Geschehnissen. So auch bei der Spreewälder Gurke, die nach Aussagen der Autorin dabei sei, „sich den Weltmarkt zu erobern“. Dabei wurde und wird, muß eingefügt werden, eben von jenen „westlichen Warenketten“ (S. 70) versucht, den Spreewäldern dieses fast einziges Markenzeichen abzujagen. Die DDR-Oberen haben den Abriß und die Vernachlässigung mancher Schlösser und dazugehöriger Parkanlagen zu verantworten, aber trifft das auch für Potsdam zu? Die Autorin meint, die dortigen königlichen Schlösser seien „bei den sozialistischen Machthabern mehr oder minder in Vergessenheit geraten“ (S. 85). Sanssouci, Cäcilienhof, der Park mit dem Chinesischen Pavillon usw., das waren doch schon vor 1989 Besuchermagneten erster Ordnung für Touristen aus aller Welt. Nach der vorgegebenen Diktion muß der Leser nun angesichts der dazu angebotenen Fotografien (S. 22/23, 24/25 und 88/89) unweigerlich zu der Ansicht gelangen, der jetzige schöne Zustand der Potsdamer Schlösser sei das Ergebnis der deutschen Einheit. Irgendwann muß der so informierte Leser sich dann bei dem Gedanken wiederfinden, daß soviel Weltabgeschiedenheit und Romantik in Mitteleuropa eben nur die Folge eines trüben und maroden Systems sein könne. Andererseits aber begeistert sich die Autorin am verträumt-hinterwäldlerischen Zustand der Mark, wobei sie das krampfhafte Bemühen der dort lebenden und arbeitenden Menschen zu wenig wahrnimmt, die um ihrer Existenz willen versuchen müssen, Anschluß an westeuropäische Standards zu finden. Die landwirtschaftlichen Nutzer der geschützten Oderauen können ein langes Lied singen vom Widerspruch zwischen ihrer Erwerbsbasis und dem Landschaftsschutz. Diese nicht unproblematischen Aspekte kommen konzeptionell bei der Autorin zu kurz, denn sie will sich der „schlafenden Schönheit nur auf Zehenspitzen nähern“ (S. 6/7), um sie möglichst nicht aufzuwecken.

Von eigener Form und Diktion sind die ebenfalls von Birgid Hanke verfaßten Bildunterschriften. Trotz aller textlichen Raffung gelingt es ihr, jeweils neben der sachlichen Information auch eine kleine Episode oder Besonderheit anzubieten. Sie vermitteln unkommentiert besonders für den schnellen Leser Interessantes und sind wegen ihrer Verknappung besonders einprägsam.

„Die Bildreise“ Hanke/Babovic hebt sich trotz mancher Einwände wohltuend ab von jenen rasch verfaßten Reisebeschreibungen, die nur ein allgemeintouristisches Interesse bedienen wollen. Es werden Ansprüche gestellt, die zum intensiven Betrachten und zum gründlichen Lesen auffordern. So bleiben Bildinhalte haften, und Textpassagen regen zum Nachdenken an. Nur Hartgesottene können sich nach dem Genuß der Bildreise noch dem Eindruck Brandenburgs entziehen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite