Eine Rezension von Bernd Heimberger


cover  

Gedanken eines Glaubwürdigen

 

Günter Grass/Harro Zimmermann: Vom Abenteuer der Aufklärung
Werkstattgespräche.

Steidl Verlag, Göttingen 1999, 330 S.

 

 

Wer will, wer kann’s, wer wird’s wirklich lesen? Wort für Wort? Das, was der agile Schriftsteller Günter Grass und der ambitionierte Publizist Harro Zimmermann Werkstattgespräche nennen und unter dem Titel Vom Abenteuer der Aufklärung dem wissenden wie wißbegierigen Publikum als Buch auftischen. Das Buch ist eine Zumutung! Nicht, weil zu viele Gedankensprünge, wie in jedem Gespräch, Verunsicherung und Verwirrung stiften. Nicht, weil Wiederholungen, wie in jedem Gespräch, unvermeidlich sind. Nicht, weil sich manche Gedanken, wie in jedem Gespräch, zu schnell verflüchtigen. Nicht, weil der Befrager seine Fragen nicht konsequent genug, wie in vielen Gesprächen üblich, aus den Antworten des Befragten entwickelt. Nicht, weil Gesprochenes, wie so oft, auch als Gedrucktes gut genug ist. Was Grass sagt, kann sich auch als Gedrucktes sehen lassen. Eine erste Zumutung ist die Sprache des korrespondierenden Gesprächspartners. Sie gibt der gesamten Gesprächsfolge etwas Steifes, Konstruiertes, Künstliches. - Ach, lieber Loriot! - Das Spontane, Bewegte, Unterhaltende, Witzige, Heitere hat sich in die Illegalität zurückgezogen. Zimmermann hat versucht, dem undiszipliniert-disziplinierten Denker Grass das Korsett eines Konzepts anzulegen, das dem Spiel der Sinne kaum Chancen läßt. Grass’ Versuche, dem analysierenden Frager auszuweichen, sind selten erfolgreich. Zu Zimmermanns Konzept gehört es, Kontinuität zu wahren. Das bedeutet, sich an die Linie zu halten, die durch die Chronologie der Werke von Günter Grass gegeben ist. Mit den Gedichtbänden beginnend. Von Die Blechtrommel bis Ein weites Feld. Mit der stoischen Ruhe und Hartnäckigkeit des journalistischen Profis hält Zimmermann die Linie. Dennoch gelingt es ihm nicht, die Werke zum einzigen Zentrum der Gesprächsfolge zu machen. Sobald Zimmermann Grass in die Rolle des Analytikers seiner Werke drängen will, drifftet der Autor ab. Nur verhalten und allgemein äußert er sich über Literaten und die Literatur der Bundesrepublik. Eine Literaturgeschichte der BRD ersetzt der Band nicht. Auch nicht eine Darstellung der Geistesgeschichte der Bundesrepublik, obwohl sich Grass ihr häufig zupackender nähert als der Literaturgeschichte.

Um in künftigen Debatten weniger Zweifel zu hegen, wenn über Grass und sein gesamtes Schaffen nachgedacht wird, sollten wir uns einige Sätze einprägen. Günter Grass sagt: „Das Bekenntnis zum Gegenstand durchzieht alle meine Bücher.“ Der Wahrheit möchte Zimmermann mit seinen Fragen, seinem Er- und Hinterfragen zu gern immer noch eine Wahrheit und noch eine Wahrheit anheften. Der Literaturanalytiker kann seinen akademischen Ehrgeiz nicht zügeln, aus dem Dialog Seminare zu machen. Das Thema: Abenteuer der Aufklärung. Eine Reise durch die Werke des deutschen Schriftstellers Günter Grass. Reflektiert in Gesprächen mit dem Erzähler. Dementsprechend sehen die Überschriften einzelner Abschnitte aus. Zum Beispiel: „Vom Leib der Zivilität. Eine Märchenreise ins Sinnenwesen der Moderne“. Das ist ganz Zimmermanns Sprache und Stil und erinnert an Promotionsschriften, wie sie vor zwei, drei Jahrzehnten üblich waren. Ohne Gehässigkeit gesagt: Der Literaturdozent Harro Zimmermann hat ’ne Menge Grass-Material für Grass-Symposien vorbereitet.

Warum den Lesern den Band aufdrängen? Welchen Lesern? Wer läßt sich derartiges zumuten? Grass, der sehr gut weiß, wie wichtig ein „Reizklima“ fürs Schreiben ist, weiß, wie wesentlich ein Reizklima fürs Lesen ist. Es ist die Voraussetzung, damit eine Korrespondenz zwischen Leser und Autor gelingt. Die Kunst des Schreibers ist es, das Reizklima fürs Lesen zu schaffen. Bleibt der Band Vom Abenteuer der Aufklärung nicht beim Leser brachliegen, dann, weil die Äußerungen von Grass das Reizklima fürs Lesen erhalten. Wieder und wieder verläßt Grass die Ebene des rhetorisch-theoretischen Literaturkurses. Immer wieder betont er die andere Seite seines öffentlichen Da-Seins. Günter Grass: „Mein ganzes Leben ist politisch geprägt.“

Jedes Grass-Buch ist auch von der politischen Prägung des Günter Grass geprägt. Während der Gespräche kommt der Schriftsteller immer dann am heftigsten in Fahrt, wird er am konkretesten, deutlichsten, entschiedensten, wenn er seine Weltanschauung ausbreitet. So bei sich ist er so den Lesern am nahesten, weil sie sich nicht aus den Gesprächen ausgesperrt vorkommen. Ohne Aufregung ist dem aufgeklärten Aufklärer zuzuhören. Beruhigend auch die Beständigkeit des Günter Grass, der heute wie gestern bekennt: „Demokratie und Sozialismus bedingen einander.“ Das Gebot der Stunde ist solch ein Bekenntnis nun wahrlich nicht. Für den Sozialisten ohne Parteibuch „bedeutet das Eintreten für den demokratischen Sozialismus keine ideologische These“. Für ihn bedeutet das, den Sinn für Sozialität nicht weiter verloddern zu lassen. Was der Sozialismus ohne Demokratie bereits hinter sich hat, den Zusammenbruch, hat das Kapitalsystem vor sich, sofern ihm Sozialität und Solidarität abhanden kommen. Gedankengegner, die Grass als Anarchisten, Linksextremisten, auf jeden Fall als Besserwisser denunzierten, werden auch solche Gedanken als Marotten eines Menschen abtun. Wie auch immer man zu Grass steht, in seinen politischen Überlegungen macht er sich am besten verständlich. Die Gespräche können Mißtrauen bei denen abbauen, die Grass schon immer - warum auch immer - mißtrauten. Wer ehrlich ist, wird zugeben müssen, daß er nicht der Dumme gewesen wäre, hätte er Grass schon früher mal genauer zugehört. Man wär halt aufgeklärter gewesen. Und wär dann nicht so gehemmt, wenn es darum geht, den Aufklärer aufzuklären. Schließlich kann der auch nicht alles wissen. Also: Niemand, der gerade das „Braunhemd ausgezogen“ hatte, hat sogleich das „Blauhemd der Jungen Pioniere“ angezogen. Wenn’s wirklich zum schnellen Hemdwechsel kam, dann wurde das Blauhemd der Freien Deutschen Jugend übergestreift. Was einen kleinen, nicht unerheblichen Unterschied ausmacht. Wie das so mit Unterschieden ist. Es muß schon unterschieden werden, wenn man unterscheidet, will man glaubwürdig sein und bleiben. Günter Grass will und bleibt’s!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite