Eine Rezension von Sven Sagé


Diplomatie ohne Dünkel?

Bernd Fischer (Hrsg.): Zwischen Wilhelmstraße und Bellevue

500 Jahre Diplomatie in Berlin.

Henschel Verlag, Berlin 1998, 288 S.

 

„Nach der Novemberrevolution bestanden die innerdeutschen Gesandtschaften in Berlin fort. Besonders gesellig ging es in der bayerischen Vertretung, Voßstraße 3, zu, wo der Gesandte Konrad von Preger Teestunden und Bierabende veranstaltete.“ Na bitte! Das spricht doch für Bayern! Und dafür, daß die gesamte Diplomatie nicht bloß eine Angelegenheit höflichen Lächelns, freundlicher Gesten, beliebiger Gespräche ist. Schließlich sind Diplomaten nicht nur Menschen, die den Menschen im Menschen verstecken, um das Land herauszukehren, das sie vertreten. Hätten sie das doch berücksichtigt, die Damen und Herrn Wissenschaftler, die das Buch Zwischen Wilhelmstraße und Bellevue zusammenschusterten. Geliefert haben sie einen akademischen Schnellkurs durch „500 Jahre Diplomatie in Berlin“, die sich auf städtischen Sandwegen, Pflaster- und Asphaltstraßen sowie dem Parkett von Schlössern, Palais, Gesandtschaften abspielte.

Glaubt man den historischen Aufnahmen, war die Anteilnahme an den Auftritten der Befrackten seitens der nimmersatten, neugierigen Berliner stets gesichert. Die Leute wurden nicht ferngehalten von den Diplomaten, die täglich die Wilhelmstraße frequentierten, in der die deutsche Außenpolitik „gemacht“ wurde. Für die Gesandten aus dem Diplomatenviertel im Tiergarten war’s ein Katzensprung in die Ämter des Deutschen Reiches. Das erste dokumentierte diplomatische Ereignis fand in Berlin im August 1280 statt. Die regierenden Markgrafen hatten über hundert Adlige zusammengetrommelt, um über Steuerangelegenheiten (!) zu beraten. Garantiert kein Höhepunkt in der Geschichte diplomatischer Geschäftigkeit in der Stadt! Ohnehin wär’s wohl arg übertrieben, Berlin eine Weltmetropole der Diplomatie zu nennen, obwohl die Politik, die von Spreeathen ausging, wiederholt in diesem Jahrhundert die gesamte Welt durcheinanderwirbelte. Wie diplomatisch die Geschichte der Diplomatie in Berlin wirklich war, müssen die Leser zwischen den Zeilen lesen. Nicht etwa, weil die Herausgeber und Autoren perfekt in der Diplomatensprache sind. Die Verfasser sind professionelle Diplomaten, Politologen, Juristen, Kunstwissenschaftler. Publizisten sind sie nicht. Das ist ein Manko, denn die ereignisreiche Historie wird ohne Glanz und Gloria dargeboten. Historie dominiert. Für Histörchen ist kein Platz. Aber Histörchen, darf man doch glauben, waren häufig Auslöser der Historie. Beruhigend zu wissen, daß das Buch zur Geschichte der Diplomatie in Berlin nur ein Anfang ist - wie die Rückkehr der Diplomaten der Völker der Welt nach Berlin?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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