Eine Rezension von Eberhard Fromm


Zeugen des Jahrhunderts

Hilde Spiel: Die Grande Dame
Gespräch mit Anne Linsel.
Lamuv Verlag, Göttingen 1992, 144 S.

Gottfried Reinhardt: Hollywood, Hollywood
Gespräch mit Elke Wendt-Kummer.
Lamuv Verlag, Göttingen 1992, 137 S.

Heinrich Maria Ledig-Rowohlt: Prince Henry
Gespräch mit Alexander U. Martens.
Lamuv Verlag, Göttingen 1992, 124 S.

 

In der von Ingo Hermann herausgegebenen Reihe „Zeugen des Jahrhunderts“ nach der seit 1978 laufenden Fernsehreihe spielen die Repräsentanten des kulturellen Lebens eine bevorzugte Rolle. Das spiegelt sich auch in den hier versammelten Titeln wider, mit denen eine Literatin, ein Regisseur und ein Verleger zu Wort kommen und ihr Leben in den Gang des 20. Jahrhunderts einreihen.

Hilde Spiel gab ihr Interview 1988, bereits schwer krank. „Sie erzählte von sich, sehr persönlich zuweilen und anrührend, und gleichzeitig wurde dabei dieses 20. Jahrhundert lebendig mit allen seinen Katastrophen“, schreibt Anne Linsel in ihrer Vorbemerkung (S. 8). Die wichtigsten Lebensstationen der in Wien am 19. 10. 1911 geborenen und am 30. 11. 1990 gestorbenen Schriftstellerin waren neben Wien vor allem London und Berlin. In Wien begann ihre Laufbahn mit einem intensiven Studium der Philosophie und der Psychologie. Als ein besonderes Glück empfand sie es, bei Moritz Schlick (1882-1936) studieren zu können, der „eine klare, saubere, überzeugende und naturwissenschaftliche Philosophie“ (S. 18) lehrte und sie mit seiner Position gegen den Marxismus „imprägnierte“ (S. 20). Als sie 1936 promovierte, hatte sie sich bereits mit Romanen wie „Kati auf der Brücke“ (1933) als Autorin ausgewiesen. Sie hätte sich aber auch vorstellen können, als Privatgelehrte zu wirken. Doch bereits 1936 emigrierte sie nach England, wo sie den Schriftsteller Peter de Mendelssohn heiratete (eine zweite Ehe ging sie 1971 mit dem Schriftsteller Hans Flesch-Brunningen ein). Auch in England schrieb sie vorwiegend belletristische Werke, war aber auch journalistisch tätig.

Von November 1946 bis zum Sommer 1948 lebte Hilde Spiel als Theaterkritikerin der „Welt“ in Berlin. Diese Zeit nennt sie die „wahrscheinlich interessanteste Zeit meines Lebens“ (S. 64). Eindringlich schildert sie die Berliner Nachkriegssituation und beschreibt vor allem das geistig-kulturelle Leben in der zerstörten Stadt. „In den Jahren unmittelbar nach dem Krieg war überhaupt jeder in Berlin. Die Verlagerung in den Süden hatte noch nicht stattgefunden, Berlin war noch heimliche Hauptstadt.“ (S. 71) Nach einigen Jahren in London kehrte sie 1963 als Kulturkorrespondentin der „Frankfurter Allgemeinen“ endgültig nach Wien zurück. Aber trotz ihrer intensiven journalistischen Tätigkeit verstand sich Hilde Spiel vor allem als Schriftstellerin. Besonders engagierte sie sich für die Essayistik: „Für mich war es wichtig, daß der Essay eine Struktur hat, wie alles, was ich zu schreiben versuchte, eine gewisse Melodie, einen Rhythmus der Sprache.“ (S. 84) Sie betonte, daß es ihr in ihren Romanen und Sachbüchern stets darum ging, daß die Zeit zum Ausdruck komme, was sie an der Biographie Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation verdeutlicht. Nachdem man das Interview mit Hilde Spiel gelesen hat, ist man neugierig geworden, vor allem natürlich auf ihre großen Erinnerungsbücher Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911-1946 und Welche Zeit ist meine Zeit? Erinnerungen 1946-1989.

Mit Gottfried Reinhardt führte Elke Wendt-Kummer das Gespräch im Juni 1988. Er selbst nannte es „Erinnerungen eines beteiligten Beobachters“ und wehrte sich dagegen, das Gespräch so anzulegen, daß seine Identität im Spannungsfeld zu seinem berühmten Vater, dem Theaterregisseur Max Reinhardt (1873-1943), dargestellt würde. Davon zeugt auch das Buch, das er 1973 unter dem Titel Der Liebhaber über seinen Vater geschrieben hat.

Gottfried Reinhardt wurde am 20. März 1913 in Berlin, in einem - nach seiner Aussage - „der wenigen schönen Häuser, die Berlin hat“ (S. 15), nämlich Am Kupfergraben 7, geboren. Interessant ist seine Meinung zum Antisemitismus in Berlin (Max Reinhardt war gläubiger Jude): „... es ist meines Erachtens eine Lüge oder ein Irrtum zu glauben, daß das Berlin meiner Jugend, sagen wir von 1920 bis 1932, besonders antisemitisch war oder daß das eine große Rolle spielte.“ (S. 29)

Reinhardt lernte am Französischen Gymnasium u. a. mit dem späteren Raketenforscher Wernher von Braun, begann dann am Theater zu arbeiten - er inszenierte die Uraufführung des Kästner-Stückes „Pünktchen und Anton“ am Deutschen Theater, ging dann in die USA, wo er bei Ernst Lubitsch (1892-1947) in Hollywood Arbeit fand. Hier blieb er 21 Jahre und entwickelte sich zu einem gesuchten Filmregisseur und Produzenten. Kritisch äußert er sich zum Verhältnis vieler Deutschen zum Nationalsozialismus (vgl. S. 58) und beschreibt die Zustände in der deutschen Emigration in den USA.

Noch vor Kriegsausbruch amerikanischer Staatsbürger, diente er vier Jahre in der Armee und war dort mit der Herstellung von Filmen befaß. Dabei kam er auch in persönlichen Kontakt zu Albert Einstein (1879-1955) - „es war der Höhepunkt meines Lebens“ (S. 69) -, von dem er sagte: „Ich habe viele Größen kennengelernt, er war der einzige, der keinen Applaus brauchte.“ (S. 68) In dem Gespräch erfährt man viel über die Stars und andere Größen von Hollywood - und natürlich über den Vater Max Reinhardt. Aber man lernt auch das Leben eines „Heimatlosen“, eines „Wanderers zwischen zwei Welten“ (S. 113), kennen und verstehen.

Auch Heinrich Maria Ledig-Rowohlt (1908-1992) ist der Sohn eines berühmten Vaters, des Verlegers Ernst Rowohlt (1887-1960). Und auch hier findet man viele interessante Einblicke in zwei Leben, nämlich die von Vater und Sohn.

Seit 1925 lernte Ledig, der erst später den Namen seines Vaters annahm, im Buchhandel, zuerst in Berlin, zuletzt in England. Schließlich arbeitete er bei seinem Vater und entwickelte sich zu einem profilierten Verleger. 1933 wurden von den 140 im Verlag erschienenen Titeln die Hälfte öffentlich verbrannt. „Eigentlich waren alle Bücher, die bei uns erschienen, in einem Geist geschrieben, der dem Nazismus entgegenstand.“ (S. 47) Nach dem Berufsverbot des Vaters und dessen Abreise nach Brasilien (von wo er während des Krieges wieder nach Deutschland kam) übernahm Ledig-Rowohlt den Verlag, den er von Berlin nach Stuttgart verlegte. 1943 wurde der Verlag geschlossen. Nach Kriegsende begründete er noch 1945 in Stuttgart den Rowohlt-Verlag neu. 1946 erhielt der Vater in Hamburg eine Verlagslizenz. 1950 erfolgte in Hamburg die Vereinigung beider Verlage. Die Entwickung des deutschen Taschenbuches begann. „Im Rückblick betrachtet“, so sagte er 1983, als das Gespräch mit Alexander U. Martens stattfand, „habe ich ein abenteuerliches Bücherleben hinter mir, das mir große Freude und interessante Aufregungen bereitet hat.“ (S. 102)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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