Eine Rezension von Manfred Lemaire


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Special Agent kontra Killer

 

David Silva: Der Maler
Roman. Aus dem Amerikanischen von Wulf Bergner.

Piper Verlag, München 1998, 486 S.

 

 

Der Maler ist ein Killer. In Geheimdienstkreisen gilt er als der Beste seiner Branche. Der Killer ist ein Maler. Wenn er keinen Auftrag hat, fertigt er Landschaftsbilder, die man sogar im Kunsthandel verkaufen kann. Die Beschäftigung mit der Malerei beruhigt ihn ungemein, immerhin ist sein hauptsächlicher Broterwerb etwas stressig. Er ist andererseits recht einträglich. Eine Million Dollar für einen Auftrag der höchsten Schwierigkeitsstufe sind durchaus realistisch, jedenfalls steht es so in dem Buch. Ist er doch der beste Killer weit und breit, einst als begabtes Jüngelchen vom sowjetischen Geheimdienst KGB ausgebildet und in den Westen geschleust. Seit dem Zerfall der UdSSR ist er freischaffend und mit Ambition auf einen geruhsamen Lebensabend. Bald wird der Killer nur noch Maler sein, der fette Auftrag, der dies ermöglichen wird, steht schon ins Haus, ja wird gerade ausgeführt, wenn der Leser die Geschichte zu erleben beginnt, die ihm da geboten wird.

David Silva versteht es, eindrucksvoll und einleuchtend zu beschreiben, was in dem Killer Jean Paul vorgeht und wie er vorgeht: Drei Schüsse ins Gesicht sind sein Markenzeichen. Hinterher muß er den Vorgang einige Nächte überschlafen, um ihn halbwegs verdrängen zu können. Manchmal kommt der Anblick seiner Opfer nach vollbrachter Tat sogar wieder, ein Killer ist eben auch nur ein Mensch mit all seinen Erinnerungen.

Der Autor versteht sich auf Details, wie beispielsweise ein Profi sich tarnt, nicht nur als harmloser Maler, sondern auch als Einzelgänger in ländlicher Gegend, in einem Haus auf einer Klippe über dem Meer. Dies alles, das Porträt eines kreuzgefährlichen Mannes, hat Hand und Fuß, ist verhalten dargestellt, so daß man das Näherkommen von tödlicher Aktion ahnt. Dieses Buch steht in der besten Tradition moderner Spannungsliteratur. In der deutschen Fassung sind leider ein paar Flüchtigkeitsfehler. Sie gehen nicht zu Lasten der tadellosen Übersetzung, sind beim Korrekturlesen übersehen worden. Nichts Schlimmes.

Auch der Gegenspieler des Malers ist gekonnt gestaltet. Ein Beamter der CIA, zwischen leitendem Posten und kleinem Agenten. Dieser Mann, Michael Osbourne, war im Außendienst tätig, als verdeckter Ermittler gegen Nahost-Terroristen, bis jemand seine Frau erschoß - dreimal ins Gesicht. Viel bleibt da nicht vom Antlitz einer jungen hübschen Frau übrig, auch eine häßliche wäre entstellt. Der Schütze benutzt Kaliber neun Millimeter. Osbourne hat den Anblick seiner Frau noch längst nicht vergessen, im Gegensatz zu dem Killer, der sich da weniger schwertut.

Jetzt ist der CIA-Agent im Innendienst, ein Spezialist für Terrorismus, seine Methoden, seine Bekämpfung. Er ist wieder verheiratet, mit einer Rechtsanwältin. Angehörige dieses Berufsstandes, die es in den USA wie Sand am Meer gibt, weibliche und noch viel mehr männliche, gehören zur Staffage jedes einschlägigen Unterhaltungsromans aus den Vereinigten Staaten. Nicht nur Grisham hat es schon vorgemacht. Was in Deutschland die Chefärzte, sind jenseits des Teiches die besserverdienenden Juristen. Ihre Größenordnung liegt bei etwa einer Million.

Die spannende Konstruktion des Autors besteht darin, den killenden Maler und den CIA-Agenten - eine Spezies, von der es zweifellos ebenfalls viele Exemplare gibt, Größenordnung nicht annähernd genau bekannt - aufeinandertreffen zu lassen, nach einem die Jagd des einen auf den anderen auslösenden Ereignis und nach diversen retardierenden Momenten. Das auslösende Ereignis ist der Absturz eines vollbesetzten Passagierflugzeuges in Sichtweite der US-Küste, hervorgerufen durch eine Rakete, die ihr Ziel selbständig angesteuert hat, nachdem sie darauf programmiert worden war. Dergleichen muß man sich vorstellen wie eine etwas verbesserte Panzerfaust der Wehrmacht unseligen Angedenkens: Die primitive Abschußvorrichtung wird auf die Schulter gelegt, das Ziel wird anvisiert, der Knopf wird gedrückt, und schon fliegt das Raketchen mit Sprengköpfchen dem vollbesetzten Jet entgegen. Kein Entrinnen. Die ideale Waffe für Terroristen. Sie waren es aber nicht. Der Killer steckt dahinter.

Der US-Präsident befiehlt nun natürlich, die Terroristen zu suchen und zur Strecke zu bringen. Er befiehlt auch Vergeltungsangriffe auf Terroristenkamps in Afrika und Nahost. Das kommt einem alles recht bekannt vor, ist durchaus aktuell. Der CIA-Innendienstler begibt sich also auf Killersuche, wird wieder zum Außendienstler, wenn auch teils im Alleingang. Aber als schließlich der Agent und der Killer, die sich gegenseitig suchen, endlich aufeinandertreffen, geht das Duell unkonventionell aus. Beide kommen mit dem Leben davon. Der Maler, vermutlich bis an sein friedliches Lebensende unaufspürbar, hört auf zu killen. Der Agent kehrt an den heimischen Herd zurück. Dennoch hat die Gerechtigkeit gesiegt, denn die Geliebte des Killers, eine Terroristin aus deutschen Landen, ist vom tapferen Agenten erschossen worden, der so den Mord an seiner ersten Frau rächt.

Der Autor, der hier seinen zweiten erfolgreichen Roman vorlegt, vermeidet also kein Klischee. Er bietet jedoch für den Freundeskreis des Thrillers eine so gutgestrickte und hinreißend erzählte Story, daß man über die Klischees gern hinwegsieht. Zu ihnen gehören auch der alternde und nun brotlos gewordene, im Westen untergetauchte Führungsoffizier vom KGB und der in Kairo untergekommene MfS-Mann. Beide werden übrigens im Laufe der Handlung eliminiert, womit die Welt immerhin etwas besser geworden ist.

Inmitten der finanziellen und politischen Intrigen, die den tatsächlichen Hintergrund des Flugzeugabschusses bilden, agiert auch ein Präsident der USA. Hier heißt er Beckwith. Er bekommt durch seine Frau eine schmutzige Weste, ohne es zu ahnen, und bleibt im Amt, wie es sich gehört, weil das üble Spiel der First Lady nicht publik wird. Es liest sich wie aus dem Leben gegriffen, wie ein Vorgriff auf den übernächsten Präsidenten.

Wieder einmal zeigt sich an diesem Buch, daß der Allerhöchste durchaus ein gestaltbares Subjekt in der US-Literatur sein darf, im Gegensatz etwa zu Deutschland und Frankreich, wo man die Präsidenten und die Regierungschefs (noch) aus der Trivialliteratur auszuklammern pflegt. Bei diesem Buch kommt es dem kritischen Leser allerdings so vor, als habe der Autor ins Weiße Haus gegriffen, weil es - wie auch in diversen Filmen - beinahe zum guten Ton gehört, einen fiktiven Präsidenten auftreten zu lassen, und weil man auf diese Weise die Palette der handelnden Personen um einen Farbtupfer bereichern kann. Silva hätte jedoch ohne das Weiße Haus ein ebenso spannendes Buch schreiben können, denn das sich allmählich anbahnende und dem Höhepunkt zustrebende Duell Agent kontra Killer hätte die Geschichte ganz allein getragen. Aber wenn es denn auch noch der Duft dieses Hauses sein sollte ... Da beide Kontrahenten noch leben, wäre übrigens eine Fortsetzung, „Der Maler II“, denkbar.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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