Eine Rezension von


Bildhauer und Brückenbauer

Serge D. Mangin: Annäherungen an Ernst Jünger

Langen Müller, München 1998, 119 S., 121 Abb.

 

Der seit 1970 in Deutschland lebende Bildhauer Serge D. Mangin verdankt seinen internationalen Bekanntheitsgrad vor allem den von ihm geschaffenen Porträts berühmter Persönlichkeiten wie Luciano Pavarotti oder Henry Miller. Im April 1990 wandte sich Mangin an Ernst Jünger, den er „als einen der großen Zeugen der Tragödie dieses Jahrhunderts“ betrachtete, mit der Bitte um Einverständnis für ein Porträt. Jünger willigte ein, und eine Freundschaft begann, wiewohl die beiden, vor allem zu Beginn ihrer Sitzungen, eher zögerlich, ja mißtrauisch einander gegenüberstanden. Mangin schreibt von seinen Vorbehalten, die von seiner Jünger-Lektüre herrührten. Er zitiert einschlägige Stellen aus Jüngers Strahlungen über den Ersten und auch Zweiten Weltkrieg.

Mangin führt immer wieder ausgiebig Textstellen aus Jüngers Büchern an, berichtet von den Gesprächen mit ihm. An manchen Stellen bildet sich auf diese Weise ein Dialog der Tagebücher. Dann reagiert Jünger wieder mit einer Postkarte, und auch dies wird als Faksimile belegt. Überhaupt ist dieser Band in seiner reich bebilderten Aufmachung anschaulich und eindrucksvoll gestaltet. Bereits im September 1990 sind sich die beiden so nahe gekommen, daß eine gemeinsame Reise nach Kreta unternommen wird, wo Mangin ein Häuschen besitzt. Die Reiselust des 95jährigen Ernst Jünger war ungebrochen. Auf dem Flughafen von Heraklion, berichtet Mangin, „hatten die Metalldetektoren ständig gepiepst, als Ernst Jünger die Kontrolle passierte: Es waren die Granatsplitter aus dem Ersten Weltkrieg, die er noch immer im Körper trug“.

In verschiedenen Anläufen gelingt es Serge D. Mangin, das Denken und die Lebenskraft von Ernst Jünger zu skizzieren: „Jeden Morgen nimmt er ein eiskaltes Bad. Im Winter, bei einer Wassertemperatur von 4°C, bleibt er nicht lange drin, ab 12°C Wassertemperatur mehrere Minuten. Hier schwimmt er jeden Nachmittag. Er scheint steif und fest an dieses Mittel zu glauben. Zum erstenmal erscheint er mir naiv.“ Als gestalte er eine Plastik, berücksichtigt Mangin die unterschiedlichsten Aspekte, um sich auf diese Weise einem Gesamteindruck zu nähern. Aussprüche und Anekdoten lockern nur vordergründig den Band auf, sie ermöglichen Zugänge, die durch Vorurteile und Unwissenheit verstellte waren. Mangins „Annäherungen“ beschreiben die Jahre 1990-1998. „Ich gestehe ihm, daß ich zuviel Bier trinke, und er antwortet erheitert: ,Mit Bier kann man sich nicht betrinken.‘ Er leert fast eine Flasche Wein pro Tag.“ Aber Mangin und Jünger unterhalten sich auch über philosophische und politische Probleme, die Tragödien dieses Jahrhunderts.

Durchaus möglich, daß es gerade der Franzose Mangin ist, der den frankophilen Jünger zum Sprechen bringt: „Célines ,Reise ans Ende der Nacht‘ hat Jünger fasziniert. Seine frühere Abneigung ihm gegenüber erscheint Jünger nun übertrieben. Célines fanatische antijüdische Haltung während der Zeit der Okkupation hatte ihm äußerst mißfallen: ,In der Schule des Unglücks hätte man ihnen beistehen müssen!‘“

Mangin genießt es, mit dem greisen Ernst Jünger das Leben neu verstehen zu lernen, und läßt sich willig von Jüngers scheinbar unverwüstlichem Hedonismus anstecken. Sein Zugang zu Ernst Jünger erlaubt es ihm, Fragen und skeptische Einwände zuzulassen. Als er sich an seinem letzten Besuch in Wilflingen innerlich von Jünger verabschiedet hatte, tröstet er sich mit einem Gedanken des großen französischen Schriftstellers Julien Gracq. Serge D. Mangin weiß, daß er „in dieser bereichernden und anregenden Vertrautheit seines Werkes weiterleben wird, wie man zwischen verborgenen Schätzen lebt“.

Anstelle eines Vorwortes werden einige Sätze des französischen Botschafters anläßlich einer der Vernissage von Serge D. Mangin angeführt. François Scheer betont unter anderem die länderübergreifende Wirkung des Künstlers: „Sie gehören zu der kleinen Gruppe der ,Vermittler‘ zwischen mehreren Ländern, mehreren Kulturen, und wir brauchen mehr denn je Menschen wie Sie ...“

In seiner Arbeit als Bildhauer wird Serge D. Mangin zum Brückenbauer. Die authentische Darstellung des Menschlichen überwindet das Trennende zwischen Menschen. Kunst kennt keine Grenzen.

Als Mangin das Jünger-Porträt beendet hatte, schrieb der Schriftsteller in sein Tagebuch: „Jedenfalls war es ein großer Tag: Er hatte mein gültiges Altersbild geschaffen.“ Mit dem vorliegenden Band unterstreicht Mangin seine Leistung einer Annäherung. Der in München lebende Franzose hat dem deutschen Publikum einen großen Schriftsteller vermittelt, der oft umstritten war: „Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, vor allem den jüngeren Lesern zu helfen, einen Autor zu entdecken, dessen schönste Zeilen und universale Sensibilität uns alle angehen, ganz besonders in der heutigen Zeit.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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