Eine Rezension von Hans-Rainer John


Symbol, Utopie und Wirklichkeit

Michael Kleeberg: Ein Garten im Norden

Roman.

Ullstein Verlag, Berlin 1998, 592 S.

 

Die Geschichte, nicht unkompliziert konstruiert, verläuft auf drei miteinander verflochtenen Ebenen.

Die erste, annähernd in der Gegenwart angesiedelt, ist die einzige mit einer realen Handlung: Albert Klein, wie der Autor 1959 geboren, kehrt, von Sehnsucht getrieben, in die BRD zurück. Vor zwölf Jahren war er, angeekelt von der bundesdeutschen Wirklichkeit und deprimiert durch eine gescheiterte Liebe, nach Holland und Frankreich emigriert, hatte sein Geld mit der Erstellung von Softwaremanuals verdient. Jetzt, auf der Fahrt durch das Land, fühlt er seine Abneigung erneut bestätigt. Sogar die neuen Bundesländer, die ihm bei einem Besuch 1990 noch als erfrischendes Hoffnungsbild erschienen waren, sind inzwischen angeglichen (Gewerbeparks und Supermärkte rund um die Ortschaften!) und die freundlichen und offenherzigen Menschen, sofern nicht ganz aus dem Arbeitsprozeß geschleudert, durch Anpassung an die Marktwirtschaft korrumpiert. In Berlin wird er Zeuge eines krummen Grundstückdeals, an dem sein Cousin aus Dresden und sein Vater aus Hamburg beteiligt sind. Es geht um vier Hektar Land im Stadtzentrum, beiderseits des Grenzstreifens. In Hamburg, zunächst bei den Eltern unterkommend, frischt er alte Bekanntschaften auf und begleitet den Vater schließlich nach Berlin, wohin der des Geschäfts wegen eilig gerufen wird. Der Cousin ist mit Frau und Kind dort Opfer eines Überfalls geworden (unklar bleibt, warum und wer die Täter waren), und Alberts Vater wird überraschend als Besitzer des umstrittenen Grundstücks ermittelt (offen bleibt, wieso). Vater Klein wird so zwar Eigentümer der 50-Millionen-Immobilie, vermöge Einspruchs des Senats aber bis zur Klärung der historischen Verhältnisse (?) nicht unumschränkter Nutzer. Es wird eine Stiftung gegründet, und Albert findet als deren Vorsitzender ein Auskommen.

Die zweite Ebene ist metaphysischer Natur. In Prag begegnet Albert einem Antiquar, der ihm ein Buch mit leeren Seiten vermacht: Er, Albert, solle es erst schreiben. Der träumt sich nun eine Biographie zusammen, die ihm wünschenswert erscheint, wäre er 1989 geboren (ein Motiv, auch für diese Jahreszahl, bleibt der Autor schuldig). Während des Schreibprozesses erscheint ihm wiederholt der Archivar, der mannigfaltige Einwände geltend macht (eine Gelegenheit für philosophisch-literarische Erörterungen).

Die dritte Ebene ist fiktiver Natur: der eben erwähnte Lebenslauf. Albert ist danach das Kind früh verstorbener jüdischer Eltern, er lernt im renommierten Bankhaus von Pleißen, entwickelt große Begabung, spekuliert geschickt und erfolgreich, knüpft internationale Verbindungen, wird Teilhaber der Bank und mit 24 Jahren Millionär, verdrängt am Ende sogar den Seniorchef aus dem Geschäft. Mit dem Vermögen erfüllt er sich einen Traum. Er erwirbt vier Hektar Land in der Stadtmitte, entwickelt es zu einem kunstvollen Park mit englischem, französischem, japanischem Garten und Schwarzwaldteil, bestückt es mit zauberhaften Gebäuden und macht es zum exterritorialen Treffpunkt von internationalen Eliten aus Politik und Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft und zum Sitz eines Doku-mentationszentrums sowie einer Stiftung, die begabte Stipendiaten auf Weltreisen schickt. Mit aufkommendem Faschismus wird Albert jedoch durch den nach rechts abdriftenden von Pleißen in den Bankrott getrieben, als Jude von den Nazis schließlich enteignet und verjagt. Ob er ins Ausland zu fliehen vermag oder im Lande Opfer des Terrors wird, bleibt offen.

Kein Zweifel: Kleeberg kann gut erzählen, und er erweist sich als anregend, kenntnisreich und gedankentief. Aber er hat es sich diesmal zu schwer gemacht mit den drei Ebenen. Es geht ihm um die friedliche Verständigung der Völker, von denen keines eine Vormachtstellung beanspruchen soll. Dafür steht das Paradeisos, der Garten der Erinnerung an ein zukünftiges, utopisches Eden, Paradigma einer mit sich selbst versöhnten Welt - schön und gut. Aber die Realhandlung der ersten Ebene ist schwach, bleibt flach und wird unzureichend verbunden mit der dritten Ebene, der fiktiven. Die ist ganz sicher das Beste an dem Buch, hier entfaltet sich das literarische Vermögen des Autors am stärksten.

Daß er historische Figuren auftreten läßt, Stresemann, Briand und Chamberlain, Jaurès und Joseph Roth, Rolland, Austen und André Gide, Masaryk, Tagore und Chaplin, Thälmann, Schacht und Goebbels, ist sein Recht. Warum aber führt er uns so oft in die Irre? Da tritt Lassalle auf mit allen ihm zugeschriebenen Charaktereigenschaften - der Zeittafel nach kann es sich aber nur um seinen Enkel handeln. Da erscheint Heidegger als glühender Antifaschist, der schließlich vor den Nazis emigriert, tatsächlich aber erhielt der Philosoph nach dem Kriege Lehrverbot wegen seines Engagements für die Nazis. Und da findet sich schließlich auf 17 Druckseiten eine Hymne auf Richard Wagner, aber an der stimmt überhaupt nichts: Die Lebensdaten und -stationen sind falsch ebenso wie die Charaktermerkmale und die Titel seiner Opern, und Wagners Musik wird geschildert wie die von Hanns Eisler. Im Gespräch mit dem Archivar begründet Albert später das Verfahren mit seinem Haß auf den Opportunismus und Antisemitismus des Komponisten, der im übrigen nur eine „manisch-depressive Blasebalgmusik“ mit „permanenter krankhaft-elitärer Spannung“ geschaffen habe. Darüber kann man sicher geteilter Meinung sein, aber ist die wunschhafte Umdichtung historischer Tatbestände wirklich ein legitimes Mittel der Auseinandersetzung? Zweifel sind angebracht.

So stehen Licht und Schatten nebeneinander in diesem Werk, dessen Autor 1996 den Anna-Seghers-Preis erhielt, der mehrere Jahre in Paris eine Werbeagentur leitete und heute als freier Autor und Übersetzer in Burgund lebt. Er legte bisher die Romane Der saubere Tod (1987) und Proteus der Pilger (1993), die Novelle Barfuß (1995), die Komödie Terror in Normalien (1996) und den Erzählungsband Der Kommunist vom Montmartre (1997) vor.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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