Eine Rezension von


Ramses II. - Ein Herrscher ohne Furcht und Tadel?

Christian Jacq: Ramses

Die Schlacht von Kadesch
Deutsch von Annette Lallemand, Band 3, 448 S.

Die Herrin von Abu Simbel
Deutsch von Ingrid Altrichter, Band 4, 446 S.

Im Schatten der Akazie
Deutsch von Ingrid Altrichter, Band 5, 448 S.

Wunderlich Verlag, Reinbek 1998

 

Vor einiger Zeit wurden die ersten beiden Bände der großen Roman-Biographie, die Ramses II. verherrlicht, Der Sohn des Lichts und Der Tempel der Ewigkeit, hier besprochen („ Denn Ramses hat treue Freunde: Ameni, Acha und Setaou vor allem, mit denen er einst studierte, und Leibwächter Serramanna, und wenn wirklich mal keiner aufpaßt, ist immer noch Schlächter da, der wachsame Löwe, der jedem Attentäter das Genick zerbeißt. So könnte Ramses eigentlich mit seiner schönen und klugen Gemahlin Nefertari glücklich leben, wenn nicht die Hethiter die unterworfenen Stämme in Palästina, Lybien und Syrien den Ägyptern abspenstig gemacht hätten. Ein Feldzug, entschlossen unternommen, schafft Abhilfe und sichert wieder die Grenze zum Hethiterreich. Das aber ist weiterhin militant, rüstet auf, zeigt sich angriffslustig, und so muß Ramses mit 20 000 Kriegern in seinem 5.Regierungsjahr nochmals in die Schlacht. Bei Kadesch gerät das ägyptische Heer in einen Hinterhalt und zerstiebt in wilder Panik vor den Angreifern. Da aber verwandelt ein Gott den Pharao in eine menschliche Kampfmaschine, die allein Tausende von Kriegern zu besiegen und die Niederlage in einen Sieg zu verkehren vermag. Die Hethiter geben sich geschlagen, bekennen sich zu Vasallen, und Ramses kehrt als umjubelter Sieger heim.

Die Herrin von Abu Simbel behandelt die nächsten 16 Jahre. Der Kampf um die Vorherrschaft in den Pufferstaaten zwischen Ägypten und dem Hethiterreich tobt weiter, bis Achas aktive Diplomatie bewirkt, daß nach dem Tode des Hethiter-Herrschers Muwatalli der Thron an dessen rational kalkulierenden Bruder Hattuschili fällt und Muwatallis aggressiv-brutaler Sohn Uriteschup, sein erbitterter Rivale, nach Ägypten emigrieren muß. Unter dem Druck der aufkommenden Macht der Assyrer schließen Ägypter und Hethiter einen Friedensvertrag und Beistandspakt. Ramses unternimmt eine Nilreise nach Nubien und ordnet den Bau der Tempelanlagen von Abu Simbel an, die Nefertari gewidmet sind. Unterwegs verübt Chenar drei Anschläge auf ihn, die aber mit Hilfe der Götter wunderbarerweise abgewehrt werden. Deshalb putscht Chenar nubische Stämme gegen den Pharao auf, er wird aber von den Stammeshäuptlingen getötet, als sich die Aussichtslosigkeit erweist. In der Hauptstadt sucht indes Dolente eine Vergiftung der Königin zu organisieren, und Ofir will den Ramses-Sohn Kha mittels Magie zur Strecke bringen. Aber das Komplott fliegt auf, Ofir wird zum Tode verurteilt und Dolente verbannt. Am Ende weiht der Pharao, nun 43 Jahre alt, die Tempelanlagen in Theben und Abu Simbel ein. Dabei stirbt Nefertari - sie hat ihr Leben gegeben, um Kha aus dem bösen Zauber Ofirs zu retten.

Zwölf Jahre später setzt Im Schatten der Akazie ein. Ramses hat inzwischen Iset, die Mutter seiner Söhne Kha und Merenptah, geheiratet. Da droht der Hethiterfürst Hattuschili mit Krieg, wenn nicht seine Tochter Gemahlin des Pharao wird. Natürlich weist Ramses den Vorschlag zurück, aber Iset nimmt sich das Leben, um den Frieden zu sichern. Die neue Ehe wird geschlossen, aber nicht glücklich. Maat-Hor erweist sich nicht als fähig, die Aufgaben der Königin zu erfüllen, und spinnt Intrigen. Sie wird zu einem Leben in vergoldeter Zurückgezogen heit verurteilt, der Frieden mit den Hethitern aber bewahrt. Indes sucht Uriteschup, nun in Ägypten ansässig, unterstützt von dem syrischen Stammeshäuptling Malfi, die Macht von Ramses auszuhöhlen. Aber die Widersacher werden gestellt und niedergerungen. Ramses regelt mit Merenptah seine Nachfolge und stirbt im Alter von 89 Jahren friedlich unter der Akazie, die er zu Beginn seiner Regierung pflanzte.

Der französische Ägyptologe Christian Jacq vermag prächtig zu fabulieren und sich auch sprachlich knapp und elegant auszudrücken (wenn man von einigen hymnischen Übersteigerungen und ins Kitschige abrutschenden Versuchen der Poetisierung absieht, die unterlaufen, wenn er die Größe des Pharao, die Schönheit seiner Frau Nefertari, die Erhabenheit der Gottheiten und den Frieden der Natur zu preisen sucht). Er erweist sich als phantasiereicher, routinierter Erzähler. Er strukturiert die breit angelegte Handlung souverän, hält sie ständig in Fluß, spart nicht mit Spannungsmomenten. Er kommt mit einem relativ kleinen Personenensemble aus, das er sehr effektiv durch alle fünf Bücher führt. So kommt es, daß man die Bände leicht und schnell durchliest.

Zugleich ist man betroffen über die naive Abenteuerlichkeit, die haarsträubende Märchenhaftigkeit, die Fülle der jeder Logik entbehrenden Unwahrscheinlichkeiten, mit der Jacq vereinfachend, gut und böse, schön und häßlich schematisch trennend, ein Tableau entwirft, bei dem der Romancier den Ägyptologen opfert. Die Figuren sind eben eindimensional, nicht wirklich reich, interessant und widerspruchsvoll, es mangelt nicht an der ständigen Wiederholung von Standardsituationen, -dialogen und -betrachtungen, und es überwiegt ein unbestimmt-mystisches Vokabular („Die Mächte der Finsternis“, „Das Böse, das im dunkeln verharrt“, „Der Kampf gegen Chaos und Finsternis“).

Aus den Schulbüchern wissen wir, daß sich in der Ramsessidenzeit der Sklavenbesitz erweiterte, die Ausbeutung intensivierte, die wirtschaftliche Lage verschlechterte. Während die Preise stiegen, wuchs die Korruption unter der Beamtenschaft, und die Zentralgewalt mußte sich mit dem steigenden Einfluß der Priesterschaft auseinandersetzen. Der Erzähler aber hat das Bild Ägyptens maßlos geschönt und idealisiert. Bei ihm steht das Land schlechthin für Glück, Seelenruhe und Frieden, für Reichtum, sozialen Ausgleich und Gerechtigkeit. Hier walten Sonnengötter, und die Landschaft ist schön, hell, übersichtlich, sanft und angenehm. Es gibt nicht nur keine Sklaven, Ägypten zwingt sogar seine Handelspartner, den menschenunwürdigen Sklavenhandel aufzugeben. Die Feinde Ägyptens dagegen, die Hethiter, stehen für kaltes Machtstreben, Eroberung und Landnahme, für Hinterhalt und Intrige, für Kampf und Blutvergießen. Bei ihnen walten Höllengötter, und die Landschaft ist wild, kalt, dunkel, unfreundlich und beklemmend, die Fürsten sind beschränkt, kulturlos und militant und trachten einander nach dem Leben. Und wenn die Geschichtsbücher vermelden, daß es Ramses nie gelang, die Hethiter aus Nordsyrien zu vertreiben und daß er die Schlacht bei Kadesch verlor, so ist er bei Jacq durchaus der Überlegene, und aus Kadesch kehrt er als Sieger heim.

Neben solchen „Geschichtskorrekturen“ stehen rührende Kinderbuch-Szenen. Da begegnet der junge Ramses zum Beispiel einem hinkenden Löwen im Busch; indem er ihm den schmerzenden Dorn aus der Tatze zieht, macht er sich den Löwen zum lebenslangen Freund, der ihn wie ein Wachhund behütet und seine Feinde zerfleischt. Überhaupt muß man sich nicht so große Sorgen ob der Bedrohung des Herrschers durch Intriganten, Mißvergnügte und Widersacher machen: Die Götter sind mit Ramses, und so werden die Gegner meist von Vipern totgebissen, von herabstürzenden Statuen erschlagen oder von der Leiter gestürzt, ehe sie ernstliche Störfaktoren werden können.

Aber geradezu kindisch ist, wie der Autor Magie in die Handlung mischt, nämlich so, als ob er selbst heute noch daran glaube. Die personenkultartige Überhöhung der Ramses-Figur, die göttlich, unantastbar, überirdisch, makellos erscheint und im Volk nur Liebe, Ehrfurcht, Verehrung, Bewunderung und Anbetung erfährt, ist wohl doch das auffälligste Merkmal. Nicht nur, daß er dem Feinde entgegenprescht, „eher einem Gott als einem Menschen gleichend, die pure Verkörperung der Macht, schneller als der Sturmwind, flinker als ein fliehender Schakal, gleich einem Stier, der seine Feinde niedertrampelt“, während seine Generale und Soldaten vor Furcht zittern. Nein, Ramses regieren zu sehen ist, „als beobachte man einen Steinmetz, der das Antlitz einer Gottheit meißelte“. Er „holt sich Rat bei der Sonne, den Winden, der Seele seines Löwen“, und er meint, Herrscher sollten „ihr Leben der Liebe, dem Glauben und der Pflicht verschreiben und die Mittelmäßigkeit, Niedertracht und Hofart ablehnen, um eine Kette aus menschlichen Lichtern im Dienste des göttlichen Lichts zu bilden“.

Deshalb werden Handwerker, selbst wenn Tempel in Rekordzeit entstehen sollen, nur auf Grund von Freiwilligenmeldungen eingestellt, und zudem spricht der Pharao mit jedem einzelnen.

Mit seiner Gattin Nefertari verbindet ihn eine „unendliche Liebe, so glühend wie der Sommerhimmel und so sanft wie ein Sonnenuntergang über dem Nil“. Tiefes Verständnis verbindet ihn mit seinen Kindern, und selbst zu seinen Tieren hat Ramses „eine tiefe, geheimnisvolle Zuneigung gefaßt“. Ist Vollkommeneres denkbar? Kein Wunder, daß das Volk immer wieder im Chor singt: „Er leuchtet wie die Sonne, er belebt uns wie das Wasser und der Wind, wir lieben ihn wie Brot und schöne Stoffe, denn er ist der Vater und die Mutter des ganzen Landes, das Licht der beiden Ufer.“

Wie ist es möglich, daß solche Sicht (die Erzählerperspektive geht kaum über die der Romanfiguren hinaus) vom Leser akzeptiert wird? Ist die Unzufriedenheit mit den widerspruchsvollen Zuständen der Gegenwart und die ständige Begegnung mit Egoismus und Eigensinn der heutigen Herrscher der Grund für die Sehnsucht nach paradiesischer Gerechtigkeit und menschlicher Größe und Selbstlosigkeit, wie sie in solchem Konstrukt zum Ausdruck kommt? Aber ist es nicht auch gefährlich, weil es nur Illusionen weckt und Kraft nimmt zur Analyse und Bewältigung der Alltagsprobleme? Vor allem entstammt es ja dem Reich der Phantasie, denn die Kolossalstatuen und Grabmälertempel waren ja wohl mehr Mittel der Selbstdarstellung als der Selbstlosigkeit, mehr Ausdruck der Hybris, die viele Opfer forderte, als der Bescheidenheit. Ein Ägyptologe muß das natürlich wissen. Warum nur mutet er uns eine andere Sicht zu?

Am Ende noch ein Lob dem Verlag. Die Übersetzungen sind vorzüglich. Sie werden fast (druck-)fehlerfrei geboten - heutzutage schon ein kleines Wunder. Und die Schutzumschläge und Einbände (Gestaltung Susanne Müller) sind nahezu überladen prachtvoll.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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