Eine Rezension von Melissa Buschmann


Blaubart oder Unschuldslamm - das ist die Frage

Joan Hess: Liebhaber mit kleinen Fehlern

Ein Claire Malloy-Krimi.

Econ Taschenbuch Verlag, Düsseldorf und München 1998, 288 S.

 

Joan Hess, eine bekannte Stimme im großen Chor der amerikanischen Kriminalliteratur, hat auch hierzulande längst ihre Fans - dank Sheriff Arly Hanks und Claire Malloy, der eigenwilligen Heldinnen ihrer beiden Krimiserien. In ihren Stories, die im ländlichen Milieu oder in der Provinz angesiedelt sind, spielen Schauplatz und Ermittlerin stets eine zentrale Rolle. Während Polizeichefin Arly Hanks mit dienstlichem Auftrag über das „wilde“ Leben in dem hinterwäldlerischen Dorf Maggody wacht, versucht die alleinerziehende Mutter und Buchhändlerin Claire Malloy, in der kleinen Universitätsstadt Farberville höchst eigenmächtig Licht in das Dunkel krimineller Abgründe zu bringen.

Bei aller Unterschiedlichkeit haben Marlowes Schwestern, die seltener als Privat- und um so häufiger als Hobby-Detektivinnen von sich reden machen, eines gemeinsam: Ihre Geschäfte - ob Schreibbüro, Party-Service, Buch- oder gar Reptilienhandlung - gehen schlecht, als wäre das Voraussetzung für ihren Erfolg als Amateurschnüfflerinnen. Auch Claire Malloy unterscheidet sich, was Geldsorgen, Probleme mit ihrem Lover, unstillbare Neugier und kriminalistischen Spürsinn betrifft, nicht grundlegend von den weiblichen Detektiven anderer Krimis. Was jedoch nur wenige ihrer Zunftgenossinnen mit Claire teilen, sind nervenzerfetzende Diskussionen, in die sie als Mutter einer schrillen, stocksturen pubertierenden Tochter tagtäglich verwickelt wird. Das ist durchaus bemerkenswert, zum einen, weil die Tatsache, daß die Protagonistin als Mutter gefordert wird, nicht nur eine biographische Randnotiz ist, sondern das Profil der Figur und die Handlung entscheidend prägt. Claire entwickelt sich nicht eindimensional, ist nicht ausschließlich Heldin. Die Einblicke in ihr soziales Umfeld und in ihren (weiblichen) Alltag, das Ringen mit Problemen, die die wirklichen Frauen im wirklichen Leben haben, fördern die Glaubwürdigkeit der Detektivin und die Identifizierung mit ihr. Und ihre Probleme als Mutter verdienen auch deshalb hervorgehoben zu werden, weil die Mutter-Tochter-Beziehung eine sprudelnde Quelle für temperamentvolle, wunderbar amüsante, treffsicher pointierte Dialoge ist. Von Teenieallüren gestreßte Eltern werden Claire um die stoische Ruhe und Schlagfertigkeit beneiden, mit denen sie die Attacken ihrer Tochter Caron auf Nerven und Portemonnaie zu parieren versteht.

Soviel also ist mal gewiß: Den Himmel auf Erden hat Claire Malloy nicht, zumal sich ihr „Book Depot“, wie schon gesagt, in der Talsohle befindet und ihr Freund, ein wahnsinnig gutaussehender Lieutenant der Farberviller Polizei, seine vielen Talente in letzter Zeit vor allem dazu mißbraucht, sie wütend zu machen. Zum Glück aber hat sie ein fröhliches Naturell und ein flottes Mundwerk sowieso, was sich in einem durchweg vergnüglichen (Ich-) Erzählton niederschlägt, und überdies ihre Freundin Luanne, die dafür sorgt, daß sie auf andere Gedanken und der Krimileser auf seine Kosten kommt. Luanne nämlich hat den Mann ihrer Träume gefunden, der nur einige winzige Fehler hat: Er soll seine erste Frau ertränkt und seine zweite Gattin Becca, die, so die einhellige Meinung, geradezu überirdisch gut und schön, ein Ausbund an Perfektion und also eine Kandidatin für den Heiligenschein gewesen ist (ein Schelm, der Arges wittert), durch eine Bootsexplosion getötet haben. Außer einem hartnäckigen Sheriff glaubt niemand daran, daß Dick Cissel Blaubart höchstpersönlich ist, aber mit seiner Verfolgungswut ist Captain Gannet drauf und dran, Luannes Glück zu zerstören. Keine Frage, daß Claire Malloy ihrer besten Freundin da zur Seite stehen muß. Zu beweisen, daß Cissel unschuldig ist wie ein Lamm und der widerliche Sheriff sich irrte, würde für sie, die bekannt, berühmt und berüchtigt dafür ist, daß sie sich gern einmischt, sehr befriedigend sein. Aber für den erhofften „Lustgewinn“ wird sie natürlich wieder einmal Federn lassen müssen ... Übrigens, ihre Recherchen führen sie in ein Vogelschutzgebiet und eine obskure Gesellschaft, die darüber wacht.

Friedrich Glauser meinte, die Handlung eines Krimis lasse sich auf eineinhalb Seiten erzählen, der Rest sei das entscheidende Füllsel. Bei Joan Hess sind das neben einer spannend verwickelten, temporeich erzählten Handlung eine Vielzahl origineller Figuren, ein gründlich recherchiertes, atmosphärisch dicht gestaltetes Milieu, vor allem aber ihr „einzigartiger Humor und ihre präzisen Dialoge“.

Daß Mord für Joan Hess eine ernste Sache ist, wie sie in einem Interview erklärte, kann ich nach der kurzweiligen Lektüre dieses Romans mit seinem ebenso leicht - wie freihändig in Szene gesetzten turbulenten Showdown allerdings nicht bestätigen. Ernsthaft zu rügen ist das aber nicht.

Liebhaber mit kleinen Fehlern ist der Roman einer Autorin, die ihr genrespezifisches Handwerk souverän beherrscht und im übrigen über erstaunliche ornithologische Kenntnisse verfügt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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