Wiedergelesen von Monika Melchert


„Wie immer - Deine alte Mila“

Emilie und Theodor Fontane: Der Ehebriefwechsel

Große Brandenburger Ausgabe.
Herausgegeben von Gotthard Erler unter Mitarbeit von Therese Erler.

Aufbau-Verlag, Berlin 1998, 2366 S.

 

„(...) ich will Alles ertragen, kann ich nur bei Dir sein“, schreibt Emilie Fontane ihrem Mann 1855 nach London. Da sind sie fünf Jahre verheiratet, und Theodor ist dabei, sich in England eine journalistische Existenz aufzubauen. Die Briefe der beiden fließen nur so hin und her und versuchen die Trennung zu kompensieren. In der fast fünfzigjährigen Ehe der Fontanes werden Briefe eine bedeutende Rolle spielen. Sie sind Mittel des Austausches über Berufliches und Familiäres, über Gesellschaftsklatsch und die entstehenden Bücher des Mannes, und immer wieder über die Sehnsucht nach einander. Die drei aufwendig gestalteten Bände enthalten gut kommentiert rund 570 Briefe von Theodor an Emilie, das sind zehn Prozent aller bekannten Briefe des Schriftstellers, und ca. 180 Briefe von ihr an ihn. Ein enormer Materialfundus. Zusätzlich wertvoll dadurch, daß unter den insgesamt 751Briefen 70 bisher unveröffentlichte bzw. unvollständig edierte Texte publiziert werden. Die Ausgabe wurde von Gotthard Erler, dem Herausgeber der Großen Brandenburger Ausgabe, wiederum mit einer kenntnis- und detailreichen Einleitung versehen, so daß sich dem, der nur genügend Leselust und Ausdauer mitbringt, ein großes Lesevergnügen erschließt - Szenen einer Ehe mit allem Auf und Ab einer langen Partnerschaft.

Das Gros der Briefe geht dabei zwischen London und Berlin hin und her, was mitunter auch bedeutet: zwischen großer und kleiner Welt. Die äußere Unruhe und Mobilität - häufiges Wechseln der Berliner Mietwohnungen - ist auch ein Synonym für die ständige Bewegung innerhalb der Partnerschaft: Von Angekommensein konnte jahrzehntelang keine Rede sein. Sein berufsbedingtes Wechseln zwischen Berlin und London zumal und auf die Kriegsschauplätze Europas sorgte immer wieder für Abwechslung, ja Unruhe. Doch sie gerade sind auch die Bedingung für das Entstehen der Briefe - wären die Fontanes immer zusammengeblieben, wären wir als Leser leer ausgegangen. Berlin ist dabei immer wieder Ausgangs- und Endpunkt ihrer Reiselust. Über die Jahrzehnte lassen die Texte so die Entwicklung des Paares verfolgen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der preußischen und später der Reichs-Hauptstadt als kulturellem Ort, Zentrum für Theater, Musik und Literatur. Ein bedeutendes Stück Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts wird in dieser Ehe faßbar, die eine lange Strecke Zeit zu durchlaufen hatte, auf deren Kurs Biedermeier und Vormärz, Restauration und Gründerzeit, Bismarck-Ära und Jahrhundertwende Wegmarken darstellten.

Emilies Sehnsucht nach Geborgenheit bleibt ein ständiges Dilemma dieser Ehe. Mit vier Kindern, die sie häufig allein aufzuziehen hat, und drei weiteren Söhnen, die zwischen 1852 und 1855 innerhalb von drei Jahren im Säuglingsalter sterben, ist dieser Wunsch nach sozialer Absicherung nur allzu verständlich: Sie will endlich ohne Sorgen leben können und „dazugehören“. Er aber, der Dichterblut in sich fühlt, will unterwegs sein, seine Freiheit nicht für Kanzleiluft und in Redaktionsstuben verkaufen. Nicht immer ist da Harmonie zwischen den Partnern. Besonders daß ihr Mann einige wichtige berufliche Entscheidungen trifft, ohne sie einzubeziehen, moniert Emilie zu Recht. Eine langweilige Ehe jedenfalls haben die Fontanes niemals geführt. Wer vor wenigen Jahren Günter Grass’ Roman Ein weites Feld gelesen hat, hat zusätzlich einen anschaulichen romanhaften Hintergrund für die Eskapaden des Ehemanns parat. Vor allem aber wird diese Ausgabe des Ehedialogs endlich auch Emilie Fontane gerecht. In der literaturgeschichtlichen Überlieferung spukt das Bild vom Hausdrachen Emilie, die ihren begabten Mann nicht gebührend zu schätzen wußte - das wird nun gründlich revidiert. Der Leser wird Zeuge eines tiefen Vertrauens und Vertrautseins zwischen beiden Partnern. Ist einmal Emilie auf Reisen, z. B. in der Sommerfrische, gesteht er ihr brieflich: „Wie ich mich mit des Lebens Notdurft abfinden werde, weiß ich noch nicht.“ Er vermißt sie! Wenn sie 1870 allein mit der zehnjährigen Tochter Martha nach England reist, zeigt es sich, daß Emilie eine selbständige und, ja, moderne Frau ist, für die Berlin neben London „wie ein Dorf“ erscheint. Auch die schriftstellerische Kooperation ist Teil ihrer Ehe; wie bei vielen Dichterfrauen oder -schwestern, die im Hintergrund, von der Öffentlichkeit übersehen, ihrem Mann schreiben halfen. So auch hier: Teile von Fontanes London- und Italien-Tagebuch hat Emilie verfaßt! Sie liest seine Manuskripte als erste, bekundet ihre Meinung über Buchprojekte und Artikel. Ihr Urteil ist ihm wichtig. Vor allem freut es ihn natürlich, wenn Emilie seine eigene Einschätzung teilt. Abendelang „papeln“ sie über Kunstfachliches, über das Machen von Literatur. Oft geht es recht gelehrt zu: Er doziert ihr über neueste Kunsteindrücke, über die er Kritiken in der „Vossischen Zeitung“ veröffentlicht. Fontane stellt hohe Anforderungen, auch an Emilies Briefe; verlangt stets „ein bißchen Esprit“. Er ist der Meister, der selbst dann, wenn nichts Wesentliches mitzuteilen ist, der Form des Briefes ihren Reiz abzugewinnen weiß. Diese Texte sind in ihren schönsten Beispielen literarische Miniaturen in der Manier des 19. Jahrhunderts.

Viele der Briefe sind Liebesbriefe. Emilie ist eine Frau voller Zärtlichkeit und Sinnlichkeit, die es auch gern hat, wenn man ihr sagt, wie sehr man sie vermißt. „Mein Theo“, „Geliebter Mann“, „Mein Herzensmann“ lauten die Eröffnungsformeln, und schon unter den Briefen der Zweiunddreißigjährigen heißt es: „Wie immer - Deine alte Mila“. Sie scheut sich nicht, von ihrer Sehnsucht nach Erotik zu sprechen. „Deine Herzlichkeit erquickt mich u. ich fange immer mehr an, mit dem Maaß u. der Art Deiner Liebe zufrieden zu sein.“ Hört man auf die Untertöne, ist wohl auch etwas von Anpassung ihres großen Liebesbedürfnisses an den eher nüchternen Theodor Fontane zu spüren. Eine Ehe in Briefen, die es an Spannung mit Fontanes Romanen durchaus aufnehmen kann.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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