Eine Rezension von Henry Jonas


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Ein geheimnisvolles Buch

 

Andreas Englisch: Die Petrusakte
Roman.

Ullstein Verlag, Berlin 1998, 304 S.

 

 

Marion Meiering, 29 Jahre, hübsch und wohlgestaltet, Architekturstudentin, klopft eines Tages im italienischen Kurort Ariccia an die Pforte des 500 Jahre alten Palazzo Chigi und fragt, ob sie den Palast besichtigen dürfe. Der hier einsiedlerisch domizilierende Hausherr, Fürst Alessandro Chigi, erliegt sofort ihren Reizen, und sie zieht in die ehemalige Waffenkammer ein. Ein Verlag, der sie mit literarischen Übersetzungen beschäftigt, schickt ihr das Buch eines unbekannten Autors, das überraschenderweise ihr eigenes Leben in allen Details beschreibt. Es endet dort zwei Tage nach ihrem 30. Geburtstag, und die Beisetzung erfolgt in der Krypta der Kirche von San Nicola in Ariccia, die seit Jahrhunderten zugemauert war.

Zur gleichen Zeit erhält Ariccia zwei neuberufene Geistliche: den altehrwürdigen Propst Sante della Cave und den jungen, unkonventionellen Vikar Vincenzo Peo. Natürlich muß die tiefbetroffene Marion nun Peo becircen, damit er ihr hilft, die Krypta zu finden und zu öffnen. Beide stoßen auf die Gebeine des Zauberers Simon aus Samaria, von dem in der Bibel in allgemeiner Form, in den um 150 n. Ch. entstandenen und 1957 in Ägypten wieder aufgefundenen „Akten des Petrus“ aber weit konkreter die Rede ist. In dieser Legendensammlung haucht Simon nämlich sein Leben in Ariccia aus, und sein Gegenspieler, der Apostel Petrus, ist darin mit Frau und Tochter versehen - von Zölibat also keine Spur. Die Sache erregt Aufsehen und hat zweierlei Folgen. Erstens hält Fürst Chigi nun Marion für besessen, wobei sich mystische Ängste und sexueller Neid überlagern. Er kerkert sie ein und bedroht ihr Leben. Und zweitens stellt der Propst nach den vorliegenden Wahrheitsbeweisen vor der Vatikanischen Glaubenskongregation den Antrag, die Petrusakten künftig als Gottes Wort anzusehen. „Daß die Petrusakten stets abgelehnt wurden, weil Petrus in diesen Schriften verheiratet ist und eine Tochter hat, ist nur falsch verstandene Schamhaftigkeit. Es gibt, wie wir alle wissen, in der Bibel keine Stelle, die die Priester zur Ehelosigkeit verpflichtet.“ Damit wird der Papst ersucht, die Aufhebung des Zölibats zu erwägen.

Am Ende stellt sich heraus, daß alle Geschehnisse inszeniert worden sind.

Die Konstruktion knarrt verzweifelt. Da hilft auch nicht der Griff zu abgehobenen literarischen Sprachbildern, die zu Sätzen wie den folgenden führen: „Als hätte ihm seine Erinnerung eine Machete in die Hand gegeben, schlug Peo sich durch das Unterholz seiner jüngsten Eindrücke.“ Einen „temporeichen Kirchenkrimi“ kündigte der Verlag an, aber es handelt sich eher um ein umständliches Buch, das über weite Strecken der Spannung entbehrt. Die Anhäufung von rätselhaften Vorgängen, Aberglauben, Mystik und Gewalt motiviert den Leser wenig, wenn er erst zum Schluß erfährt, um welche Beträge es eigentlich geht.

Dem Autor Andreas Englisch (36), ständiger Korrespondent für den Vatikan, der den Papst auf allen Auslandsreisen begleitet, mag das priesterliche Gelübde der Ehelosigkeit wohl tatsächlich überholt vorkommen, er streitet für mehr Freiraum für die Geistlichkeit und für die Lösung von antiquierten kirchlichen Dogmen, aber die Technik eines guten Kriminalromans ist ihm noch fremd. Er will uns lehren, daß sich eine Geschichte wie die vom Zauberer Simon nicht zwischen zwei Buchdeckel sperren läßt, daß sie ein Eigenleben hat, mächtig werden, alles an sich reißen kann, daß sie weitererzählt, nicht vergessen werden will. Er hat aber noch keine überzeugende Form gefunden, dieses Anliegen erlebbar werden zu lassen. Denn der Mangel in der Konstruktion wird weder durch gedankliche Tiefe noch durch lebendige Zeichnung der Charaktere ausgeglichen. Englisch schildert seine Figuren so oberflächlich und widersprüchlich, daß sie nicht immer wirklich interessieren. Und auch die Drahtzieher, die die Geschehnisse in Gang setzen, bleiben völlig unprofiliert.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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