Literaturstätten


Ars Amandi - Inspirationen einer Titelaufnahme

 

Nicht nur Bücher, sondern auch Buchantiquariate „haben ihre Schicksale“ - insbesondere dann, wenn schon ihre Gründungsgeschichte ins Zwielicht doppeldeutiger Begriffe getaucht ist.

Gesine Karges Unternehmen „Ars amandi“, spezialisiert auf Erotica, Sexualwissenschaft und Kuriosa, stellt sich selbstbewußt allen Vorurteilen entgegen, auf die einschlägige Publikationen treffen. Aber gerade aus diesem Grund führt sie auch keine erotische Buchhandlung mit der Gefahr einer eher sensations,geilen‘ Laufkundschaft, sondern ein Versandantiquariat (Poschingerstr. 10, 12157 Berlin/Steglitz, Tel. 855 34 52). Interessenten sind hier nach vorheriger Anmeldung durchaus willkommen - und der Erfolg gibt ihr recht: Bisher kam es noch nie zu unangenehmen Szenen zwischen Käufern und der Geschäftsinhaberin, vielleicht auch, weil das Preisniveau der angebotenen Ware alle Hoffnung auf den schnellen Genuß von vornherein dämpft.

Dennoch war die Gründungsidee durchaus handfest und geradezu eindeutig zweideutig: „Berieben“, „fingerfleckig“, „abgegriffen“ - die Kategorien aus dem Auktionskatalog ihres zeitweiligen Arbeitgebers, des Hauses Jeschke, Meinke und Hauff, verloren im inspirierten Blick von Gesine Karge plötzlich ihre analytische Unschuld und wurden zu imaginären Benutzungsspuren eifrig gelesener Erotica. Sie aus ihrem Randdasein im Karton „schweinischer Bücher“ zu befreien, ist das Ziel von „Ars amandi“. Trotz der überaus einleuchtenden Idee waren die Anfänge mühsam: Zunächst einmal mußten die halb verborgenen Bände in den „Schmuddelecken“ von Kollegen entdeckt, in Kommission genommen und vertrieben werden, bevor ein eigenständiges Unternehmen daraus werden konnte. Seit langem hat sich Ars amandi vom Zwischenhandel verabschiedet und einen eigenen umfangreichen Bestand aufgebaut - nebst einer Dependance in Paris.

Der internationale Kundenstamm von etwa 600 Interessenten wird mit 4 Katalogen jährlich beliefert, darüber hinaus mit 8 bis 10 Listen, die Spezialangebote aufführen.

Inzwischen sind die Kataloge selbst zu begehrten Sammelobjekten geworden. Rote Seidenbänder, Tortenspitzen oder mehrfach aufklappbare Titelseiten lassen die Reise durch die erotische Literatur zu einem Abenteuer eigener Art werden, das den interaktiven Benutzer verlangt. Und ihm sind neben Frühwerken erotischer Literatur (Bücher aus dem 18.Jahrhundert sind ebenso zu finden wie Lebenshilfe-Zeitschriften aus dem Berlin der 20er Jahre, amerikanische Pin-ups aus den vierziger und fünfziger Jahren sowie frivole Graphiken) sicher auch die Kuriosa willkommen: Von Aschenbechern über Statuetten bis hin zu Kartenspielen gibt es kaum einen Gegenstand, der sich nicht mit erotischen Assoziationen aufladen ließe - ein schöner Beweis für die Treffsicherheit spontaner Intuitionen, selbst bei der langweiligen Titelaufnahme! Claudia Albert


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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