Eine Annotation von Sven Sagé


Sternweiler, Andreas: Liebe, Forschung, Lehre

Der Kunsthistoriker Christian Adolf Isermeyer.

Verlag rosa Winkel, Berlin 1998, 144 S.

 

Er hat ja so recht - der Roman Herzog! Unermüdlich fordert er: Erzählt euch eure Biographien! Verstehen, weiß der Herr Bundespräsident, setzt das Verständigen voraus. Verständigen sollten sich die Bundesbürger aus dem einen und anderen Frankfurt. Der heutige Rat an die Deutschen war schon immer ein Rat, der den Generationen, Berufsgruppen, Lebensformen gegeben wurde. Einer, der den Rat beherzigte, wie wenige, war der heilige Magnus, der Hirschfeld, der eifrig das Verständigen zwischen Heteros und Homos propagierte. Trotz dieser Pioniertat fällt unverändert vielen das Verständigen, gar Verstehen schwer. Sachlich und effektvoll bemüht sich auch das Schwule Museum in Berlin um das allgemeine Verständigen. Auch mit der Publikations-Reihe „Lebensgeschichten“. Geboten werden, ganz unpolemisch gesagt, demonstrative Dokumentationen, die das „Schwule Leben gestern und heute“ zeigen. Mit dem vierten Band der Reihe, die Andreas Sternweiler betreut, wird abermals ein Jahrhundert besichtigt. Das Beispiel gibt diesmal die Biographie des Christian Adolf Isermeyer. Der wer ist? Seinem Vokabular gemäß gesagt: ein Schöngeist. Einer, der das Jugendliche liebt. Einer, der für Goethe schwärmt und für die Kunst sowieso. Professor Isermeyer, der Kunsthistoriker, ist ein reger Neunziger (1908), der 1908 in der Harzstadt Goslar geboren wurde. Spricht der Mann über sich, so auf die schlichteste Art. Isermeyer sagt: „Ich bin in meinem Leben höchst unglücklich und höchst glücklich gewesen.“ Ein Allgemeinplatz! Doch Isermeyers höchstes Unglück und Glück hat entschieden mit seiner Entschiedenheit zu tun, unbeeinträchtigt als selbst- und weniger sendungsbewußter Homosexueller zu leben. In der Geschichte der Bundesrepublik und somit der bundesdeutschen Schwulenbewegung hat sich Christian Isermeyer als einer der drei Initiatoren hervorgetan, die 1961 an den Bundestag appellierten, den diskriminierenden Paragraphen 175 abzuschaffen. Die Darstellung von Isermeyers Lebensgeschichte ist die Darstellung eines ehrenwerten Lebens im 20. Jahrhundert. Ein Leben, das eine Ermunterung und Ermutigung nicht nur für Schwule ist. Ein Leben, das darin bestärkt, mögliches wirklich möglich zu machen. Mit dem vierten Band ehrt sich auch die Reihe „Lebensgeschichten“.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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