Eine Annotation von Willi Glaser


Melderis, Hans: Der biologische Urknall

Entstehung von Kosmos und Leben aus der Bewegung.

Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1999, 290 S.

 

Der Verfasser hat sich mit der Aufgabe, wissenschaftsgeschichtliche Kenntnisse wie auch aktuellen Wissensstand von Teilgebieten der Spezialdisziplin Biologie umfassend zu vermitteln und dabei gleichzeitig einen Beitrag zur Überbrückung der Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften zu leisten, ein sehr hohes Ziel gestellt. Um es vorwegzunehmen - das Vorhaben ist mit Bravour gemeistert worden.

In den beiden Hauptabschnitten „Kosmos“ und „Leben“ werden Analogien und grundsätzliche Unterschiede zwischen astrophysikalischer Urknalltheorie und der Entwicklung des irdischen Biokosmos aufgezeigt. Der Beweisführung zur Entstehung des Kosmos und des Lebens aus der Bewegung dienen die Grundsätze von der Gleichheit der Materie, aus der Lebewesen und das übrige Universum bestehen, und die Feststellung, daß die Naturgesetze ebenfalls allgemeingültigen Charakter tragen und für beide Bereiche gelten. In diesem Zusammenhang wird auch auf wesentliche Unterschiede in den Bewegungsvorgängen der biologischen und der unbelebten Natur verwiesen. Beiden Bereichen gemeinsam sind die drei fundamentalen Bausteine - up-Quark, down- Quark und Elektron, die das gesamte Universum bilden, also Galaxien, Sonnen, Planeten, Lebewesen.

Aus der Vielzahl hochinteressanter Detailinformationen sei hier der Untersuchungskomplex „Bewegung“ genannt. Der Autor vermittelt Wissenswertes zu den unterschiedlichsten Bewegungsformen:

Expansionsbewegung im Urknall, Bewegung der Planeten, Wärmebewegung des Wasserstoffs im Sonneninneren, Protonenbewegung bei der Photosynthese, unsichtbare Mikrobewegungen der Bewegungseiweiße, Ionenströme durch die Membranen der Nervenzellen. Diese unterschiedlichen Formen der Bewegung waren u.a. Voraussetzung bzw. sind Bedingung für die Bildung von Sonnen- und Planetensystemen, für kosmische Nischen, in denen sich Leben entwickeln kann, für biologische Energie auf der Erde.

So sieht der Autor schließlich Ähnlichkeiten und Parallelen in entscheidenden Phasen der Entwicklung des Makrokosmos als Expansionsbewegung von einem Punkt unendlicher Dichte und Temperatur ausgehend, bis zum Erscheinungsbild des uns heute bekannten Alls und der Geschichte des Biokosmos als Anfang und Evolution lebendiger Strukturen. Zum Vergleich dienen dabei u.a. die Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie im Urknall und andererseits die Tatsache, daß sich die einfache Verdopplung des DNS-Fadens als Träger der gesamten genetischen Information ebenfalls asymmetrisch vollzieht, wie auch die Protonenbewegung als Energiequelle der Sterne und des Lebens.

Beim Vergleich mit relevanten Veröffentlichungen der Wissenschaftsgeschichte findet man bei Melderis nicht nur ein präzises und breitgefächertes Wissensspektrum zu unterschiedlichsten Sachgebieten, sondern auch eine Vielzahl korrespondierender Denkansätze namhafter Vertreter der Geistes- und der Naturwissenschaften: von Aristoteles über Darwin, Goethe, Nietzsche bis Gell-Mann. Hervorzuheben ist das logische Herangehen bei der Vermittlung komplizierter Themenkomplexe, wie beispielsweise die Erläuterungen zum Olbers-Paradoxon oder zur Bedeutung der Relativitätstheorie.

Behutsam wird der Leser zu Themen jenseits wissenschaftlicher Alltagskost geführt und mit Grundgedanken der Quantentheorie und der Molekularbiologie vertraut gemacht. Man wird nicht schulmeisterlich belehrt, wohl aber so informiert, daß man sich zum Nachdenken angeregt fühlt, besonders der wissenschaftsgeschichtlich interessierte Leser wird von der gebotenen Bandbreite dieser Informationsfundgrube begeistert sein.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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