Eine Annotation von Gerhard Keiderling


Mehringer, Hartmut/Schwartz, Michael/Wentker, Hermann (Hrsg.): Erobert oder befreit?

Deutschland im internationalen Kräftefeld und die sowjetische Besatzungszone (1945/46).

R. Oldenbourg Verlag, München 1999, 382 S.

 

Dieser Sammelband beschäftigt sich mit vielfältigen Aspekten eines Symposiums des Instituts für Zeitgeschichte München in Zusammenarbeit mit der Universität Mannheim im Juni 1995. Sein Titel irritiert, denn die Zäsurfrage von 1945: Erobert oder befreit?, dürfte für die Forschung eigentlich geklärt sein. Wenn gemeint sein sollte, die eingangs „idealtypisch“ vorgenommene Kontrastierung von „Kriegsende Ost und Kriegsende West“ als „Grundprägung 1945“ für deutsche Nachkriegsgeschichte festzuschreiben, so dürfte dies bedenklich stimmen. Auch der Untertitel ist ungenau. Lediglich drei einleitende Beiträge beschäftigen sich mit „Deutschland im internationalen Kräftefeld“, genauer gesagt, mit britischer und französicher Besatzunsgspolitik, während eine Betrachtung der sowjetischen Deutschlandpolitik im SBZ-Teil angesiedelt ist. Alle übrigen 13 Beiträge wenden sich spezifischen SBZ-Fragen zu: Reparationen, Arbeiterbewegung und bürgerliche Parteiengründungen, Aufbau der Landes- und Zentralverwaltungen sowie die Wahlen von 1946, Kirchenpolitik, Umsiedlerfragen, Sozialversicherung, Jugendfürsorge und Jugendpolitik. Verständlicherweise können nicht alle diese Beiträge hier gewürdigt werden. Wichtig sind beispielsweise die Darlegungen zum Aufbau der Sozialversicherung 1945-1947 von Dierk Hoffmann, die Analyse kommunistischer Religionspolitik und kirchlichen Neuanfangs 1945/46 von Gerhard Besier und die Grundzüge der Kirchenpolitik von SMAD und KPD/SED von Horst Dähn, weil diese Themenfelder lange Zeit im Schatten der Forschung lagen. Natalja Timofejewa verweist darauf, daß das von den SMAD-Kulturoffizieren herausgestellte Humanismus-Ideal der deutschen Klassik auch als deren Hoffnung auf eine Liberalisierung des Sowjetsystems zu begreifen war. So verdienstvoll die einzelnen Beiträge sind, sie repräsentieren aufgrund der verzögerten Herausgabe des Bandes leider nicht den aktuellen Forschungsstand.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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