Eine Annotation von Gisela Reller


Burliuk, David/Majakowskij, Wladimir: Cityfrau

Futuristische Gedichte.
Übertragen von Alexander Nitzberg.

Grupello-Verlag, Düsseldorf 1998, 108 S.

 

„Mit steter Liebe denke ich an David. Ein wunderbarer Freund. Mein wirklicher Lehrer. Burliuk machte mich zum Dichter“, sagte Majakowskij 1928, zwei Jahre vor seinem Tode.

In der Nähe der Stadt Charkow (Ukraine) wurde David Davidowitsch Burliuk (1882-1967) in der Familie eines Gutsbesitzers geboren. In dem georgischen Dorf Bagdady erblickte Wladimir Wladimirowitsch Majakowskij (1893-1930) als Sohn eines Forstmeisters das Licht der Welt. Burliuk besuchte verschiedene Gymnasien, erhielt danach eine künstlerische Ausbildung, begann 1901 Gedichte zu schreiben. Der elf Jahre jüngere Majakowskij fing ebenfalls eine Gymnasialausbildung an, mußte sie jedoch abbrechen. Nach dem Tod des Vaters war die Mutter mit den Kindern nach Moskau gezogen, wo die Familie große finanzielle Schwierigkeiten hatte und die Schulgebühr nicht mehr aufbringen konnte. Majakowskij begann auch eine Kunstausbildung, die er aber wegen Beteiligung an revolutionären studentischen Aktivitäten unterbrach; 1909/10 wurde er erneut verhaftet, seine ersten Gedichte schrieb er im Gefängnis. 1911 lernen sich Burliuk und Majakowskij kennen. Die gegenseitige dichterische Akzeptanz endet jedoch nach 1917, als Burliuk seine anarchistisch-futuristischen Dichtungen bis 1920 im fernen Sibirien fortsetzt und dann über Japan 1922 in die USA emigriert. Majakowskij hingegen stellt sich in den Dienst der Revolution.

Majakowskij ist uns vorrangig als „Schreihals der Revolution“ geläufig, und von Burliuk sagt Wolfgang Kasack, ein ausgewiesener Kenner für russische Literatur, daß er „kaum bedeutend und ohne Tiefe“ sei. In Alexander Nitzbergs Buch jedoch präsentieren sich beide als die wichtigsten Dichter der russischen Avantgarde. Die Ausgabe bietet zum erstenmal in deutscher Sprache eine repräsentative Auswahl aus ihrem futuristischen Frühwerk - „und beleuchtet die inneren Zusammenhänge ihrer Werke, voller geballter anarchischer Wortbrocken, provozierend grotesker Bilder und peitschender urbaner Rhythmik“. (Karl Dedecius)

Besonders interessant Alexander Nitzbergs Essay über die inneren Zusammenhänge der Werke Burliuks und Majakowskijs und die enorme Bandbreite des russischen Futurismus. Überzeugend stellt Nitzberg auch dar, daß die bisherigen Übersetzer Majakowskijs ihm nicht gerecht werden. So sagt er über Hugo Huppert, daß es ihm an der nötigen sprachlichen Subtilität fehlte, um einen Dichter vom Range eines Majakowskij zu übersetzen. Nitzberg: „Wenn Majakowskij (wörtlich übersetzt) schreibt: ,Die Menschen fürchten sich: Aus meinem Munde wackelt mit den Beinen ein unzerkauter Schrei‘, meint Huppert es folgendermaßen übersetzen zu müssen: ,Die Leute starrn: aus meiner Zahnlücke (!) / strampelt ein Schrei, halb zerkaut, halb verrülpst‘.“ Deutlich erkennbar, meint Nitzberg, sei jedenfalls die allgemeine Tendenz, Majakowskijs Verse zu vergröbern, seine Sprache zu vulgarisieren, sie „proletarischer“ zu gestalten. Da dieser Lyrikband zweisprachig erschienen ist, kann sich - zumindest jeder Russist - selbst ein Urteil bilden.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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