Eine Rezension von Horst Wagner


cover  

Nicht nur Fernsehgeschichte

 

Erich Selbmann: DFF Adlershof: Wege übers Fernsehland

Edition Ost, Berlin 1998, 473 S.

 

„Daß die Massenmedien der DDR prinzipiell die Unwahrheit verbreitet, die Tatsachen verfälscht, die Leser, Hörer und Zuschauer düpiert und in die Irre geführt hätten, ist falsch. Und daß sie, wenn sie hinter die bunte Fassade der kapitalistischen Welt blickten, auch nicht falsch lagen, bestätigte die Realität nach 1990.“ (S. 14) So macht der Autor gleich in der Vorbemerkung seinen Standpunkt deutlich. Aber er bekennt auch: „... das stets aufs neue angeordnete Verschweigen oder Verzögern, das umständliche und schwer zu durchschauende Verbrämen oder Verschlüsseln bestimmter Informationen gaben nicht nur dem DFF den härtesten Stoß. Sie schadeten auch der Gesamtpolitik, da ja die Bürger des Landes - die sich gleichzeitig auch aus den Nachrichtenquellen der anderen Seite informieren konnten- die Nachrichtenpolitik geradezu als einen Vertrauensbruch ansehen mußten. Das mitgetragen, das durchgeführt zu haben, darin lag die Verantwortung der Medien, ... auch meine Verantwortung.“ (S. 453)

„Wege übers Fernsehland“ ist nicht nur die erste umfassende Darstellung der Vorgeschichte, des Starts, der Entwicklung und des schließlichen Niedergangs des DDR-Fernsehens. Erich Selbmann, Sohn des KPD-Funktionärs, DDR-Industrieministers und späteren Schriftstellers Fritz Selbmann; Rundfunkjournalist von 1952-1959, danach Agit-Prop-Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin, Korrespondent in Moskau, Chefredakteur der Aktuellen Kamera (1966-1978) und schließlich (bis 1989) stellvertretender Vorsitzender des DDR-Fernsehkomitees und Leiter des Bereiches Dramatische Kunst, leistet damit gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion und teilweise sehr zugespitzten Auseinandersetzung um die Geschichte der DDR und die Gründe für ihren Zusammenbruch. Gibt er doch gleichsam als Insider nachdenkenswerte Einblicke in das politische und Medien-System des untergegangenen Staates, beschreibt ihre Stärken und Schwächen und das im Laufe der Zeit immer weitere Auseinanderklaffen von Ideal und Wirklichkeit.

Nach einer detailreichen Schilderung der Gründerzeit des DDR-Fernsehens (bei Programmaufnahme am 21. Dezember 1952 gab es im ganzen Lande 75 Fernsehempfänger) würdigt Selbmann vor allem anderen das „Sandmännchen“ als eine „Kultfigur, die niemals alterte“, als die Sendung, die es wie keine andere schaffte, die kleinen wie auch die großen Zuschauer an die Ost-Bildschirme zu binden und die deshalb auch heute noch von einigen dritten Programmen der ARD ausgestrahlt wird. In einer Art Zwischenkapitel gibt Selbmann einen Überblick über Struktur, Anzahl, Auflagen und Funktionsweise der DDR-Medien. Er nennt Gründe, warum der DDR-Blätterwald zwar immer dichter und scheinbar vielgestaltiger, inhaltlich aber einförmiger wurde, gibt jedoch gleichzeitig zu bedenken, „ob eine nicht-ideologische, sondern mit der Konkurrenz und mit dem Kapital begründete Gleichschaltung nicht ähnliche Wirkung zeitigt“. (S. 74) Als eine Glanzseite des DDR-Fernsehens beschreibt er anschließend die großen Fernsehromane der 60er Jahre wie „Gewissen in Aufruhr“, „Doktor Schlüter“, „Wege übers Land“, „Krupp und Krause“. Sie waren „Bildschirmbinder“, wie es dann in den 70er und 80er Jahren zwei Krimi-Reihen wurden: „Der Staatsanwalt hat das Wort“ und „Polizeiruf 110“. Als Gründe für solche Erfolge der DDR-Fernsehdramatik nennt ihr langjähriger Chef die gute Zusammenarbeit mit Schriftstellern und Fachleuten, die Schaffung eines eigenen Autorenstammes, den hohen künstlerischen Anspruch der Regisseure und aller Beteiligten; als Hemmschuh die aus dogmatischer Kunstauffassung resultierenden Eingriffe von oben.

Mit seinen Erfahrungen nicht zuletzt als Chefredakteur der Aktuellen Kamera beleuchtet Selbmann Hintergründe des Wechsels von Ulbricht zu Honecker, beschreibt die mit der Übernahme des Medienbereiches durch Joachim Herrmann eingetretene Verschlechterung der Arbeitsbedingungen (Dogmatisierung, Gängelei), räumt ein, „daß es schrittweise zu einer Entfremdung zwischen vielen Zuschauern und dem Medium kam“, weil die Aktuelle Kamera nicht nur langweiliger war als die Tagesschau, sonderm weil sie auch „Tatsachen, die in unsere Theorie noch unzureichend einbezogen waren, nur mit spürbaren Vorbehalten, mit Einschränkungen erwähnte oder sie ganz vernachlässigte - und das in einer Zeit, in der so viele neue gesellschaftliche Entwicklungen stattfanden ...“ (S. 150) Interessant in diesem Zusammenhang seine Gedanken über die sich später bitter rächende „Selektierung“ der Helsinki-Thematik (S. 202 ff.) und über die Herausbildung von drei unterschiedlichen „politischen Kulturen“ in der DDR (S. 355 ff.). Kritisch betrachtet Selbmann die in den 80er Jahren „zunehmende Erstarrung“ nicht nur der Medienpolitik und bezeichnet dabei die immer wiederkehrenden Protokoll- bzw. „Wortlautmeldungen“ sowie die ebenfalls von höchster Stelle geforderte „Erfolgspropaganda“ als „Mißachtung jeder Medienpsychologie“. Er beschreibt das „Versagen in der letzten Runde“, die Sprachlosigkeit des Sommers und Frühherbstes ’89, sowie den Versuch danach, „ein neues Gesicht“ zu gewinnen, wobei er einen kritischen Blick auf „den auch in Adlershof sehr schnell einsetzenden ,Enthüllungs-‘, ,Anklage-‘ und ,Verurteilungs-Journalismus‘“ richtet, „der eine gewisse Zeit alles dominierte.“ (S. 460)

Nachdem er, leider nur sehr kurz, auf die Abwicklung des DFF eingegangen ist, setzt Selbmann sich mit dem Begriff „Ostalgie“ auseinander und begrüßt den „Versuch vieler Menschen, doch zu erreichen, daß wichtige Ergebnisse und Erfahrungen ihrer Vergangenheit nicht noch weiter ins Abseits und ins Vergessen gedrängt werden.“ (S. 471) Am Schluß zitiert er als eine Art Quintessenz den Artus aus dem vom DFF gesendeten Christoph-Hein-Stück „Die Ritter der Tafelrunde“: „Ich weiß es, Lanzelot ... Wir haben den Gral nicht gefunden, und wie mir scheint, haben viele von uns aufgegeben, ihn weiter zu suchen. Vielleicht ist das eine Arbeit, die unsere Kraft überschreitet. Aber wenn wir den Gral aufgeben, geben wir uns selbst auf.“ - Alles in allem: ein Buch, das sich bei allem Fakten- und Gedankenreichtum leicht liest, weil es anschaulich geschrieben ist. Und in dem man gern mal wieder das eine oder andere nachschlagen möchte, wofür ein - leider fehlendes - Sach- und Personenregister sicher nützlich gewesen wäre.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite