Eine Rezension von Daniela Ziegler


Ein Touristikpaket aus dem Jahre 1900

Egon Schallmeyer (Hrsg.): Hundert Jahre Saalburg
Vom römischen Grenzposten zum europäischen Museum.

Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1997, 196 S.

 

Anläßlich des 100jährigen Jubiläums der Saalburg bei Bad Homburg präsentiert der Direktor des Saalburgmuseums Egon Schallmeyer als Herausgeber ein Beitragswerk. Autoren unterschiedlicher Fachrichtungen, Historiker und Archäologen, Konservatoren und Archäobotaniker, behandeln das Phänomen Saalburg, wobei kein Aspekt des wiederaufgebauten römischen Kastells - ob historisch oder touristisch - außer acht gelassen wird.

Ein paar Informationen zur „Entstehungsgeschichte des Museums in Wilhelminischer Zeit“: Auf Wunsch und mit Unterstützung von Kaiser Wilhelm II. wurde der Wiederaufbau des alten Kastells in den Jahren 1897/98 begonnen, nachdem die Ausgrabungen, die August von Cohausen seit 1871 ausführte, abgeschlossen waren. Der Baumeister und Planer Louis Jacobi widmete sich der Rekonstruktion und der Einrichtung eines Museums. Das Saalburgkastell war nicht die erste archäologische Stätte, die man im 19. Jahrhundert ganz oder teilweise rekonstruierte. Berühmte Beispiele sind die Wiederaufbauten des Dioskuren-Tempels in Agrigent (1836-1845) und von Teilen Pompejis (1875ff.), eine „Mode“, die damals bereits umstritten war.

So weit, so gut. Jedoch sind Museen nicht nur „Bestandteil bürgerlicher Kultur, sondern auch Mittel monarchischer oder nationaler Repräsentation“ (S. 50). Und so lag das Interesse des Kaisers nicht nur in der Erhaltung eines historischen Denkmals, sondern auch daran, sich mit dem ehrgeizigen Projekt zu schmücken. Im Grunde mag ihm die Saalburg als Mittel kaiserlicher Selbstinszenierung gedient haben - ganz nach dem Vorbild der römischen Kaiser.

Deutlich wird dies an der Feier zur Grundsteinlegung am 11. Oktober 1900, bei der die Steigerung ins Sakrale durch die Verwendung antiker Weiheformeln und den Einsatz von Weihrauch und Eichenlaub unübersehbar war. Zwar griff die Feier auf römische Vorbilder zurück, der Anspruch des Kaisers, der offenbar von seinem Gottesgnadentum überzeugt war, stieß jedoch bei kritischen Beobachtern aus dem In- und Ausland auf Kritik (S. 38). Namhafte Gelehrte hatten sich bei der Feier schaudernd im Hintergrund gehalten und „Ernst Fabricius ..., Lehrstuhlinhaber für Alte Geschichte in Freiburg, ... war hinterher katzenjämmerlich zumute“. Theodor Mommsen, führender Althistoriker des Reiches und Vorsitzender der Reichs-Limeskommission, hatte sich vorher entschuldigen lassen. (S. 55)

In diesem Zusammenhang könnte man sich als Berliner so am Rande überlegen, wie der Wiederaufbau des Hohenzollernschen Stadtschlosses einzuordnen wäre und welche Art von Ehrgeiz sich unter dem Mantel des historischen Interesses verbergen könnte.

Einige Beiträge beschäftigen sich mit der „Vermarktung der Saalburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts“: Jenseits jeglicher Politik ist die Saalburg im Hohen Taunus bis heute ein Anziehungspunkt für Urlauber, die Naturerlebnis mit geistiger Anregung würzen wollen, und von daher den großen archäologischen Parks wie Aalen und Xanten an die Seite zu stellen. Nachdem die Ruine schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Ausflugsziel für Wanderer gewesen war, entsprachen Wiederaufbau und museale Aufbereitung zweifellos dem Bedürfnis einer breiten Öffentlichkeit. Für die gute Erreichbarkeit sorgte eine Straßenbahn, die von Bad Homburg direkt zu dem Kastell führte. Für eine Stadt dieser Größenordnung war um die Jahrhundertwende der Bau einer Straßenbahn ein Ausnahmefall. Der Erfolg sprach jedoch für die Investition. Aus Restauration, guter Erreichbarkeit, Erholung in der Natur, Bildungsanspruch und Andenkenhandel entstand ein regelrechtes „Touristikpaket“ erster Güte und modernster Machart. Begleitendes Marketing - beispielsweise durch Sondermarken, Postkarten mit und ohne Kaiser, Kinder- und Jugendliteratur, Modellbögen des Kastells zum Ausschneiden sowie die Präsenz der Saalburg in der Seifen-, Schokoladen- und Weinwerbung - sorgte für den Bekanntheitsgrad - ein Verfahren, das heutigen Konsumenten wohlvertraut ist.

Doch nun zum Schwerpunkt „Die Saalburg im Spiegel der Forschung“, den archäologischen Daten, die den Schluß dieses Werkes bilden (warum eigentlich?). Das Römerkastell im Hohen Taunus war zur Zeit Domitians in den 80er Jahren des 1. nachchristlichen Jahrhunderts entstanden und wurde bis in die Mitte des 3. Jahrhunderts hinein genutzt. Da im römischen Grenzabschnitt zwischen Nordsee und Inn allein fünf Legionslager und 92 Hilfstruppenlager nachzuweisen sind, ist das Kastell also eines von vielen. Wie die meisten militärischen Stützpunkte zog es Handel und Wandel an. In benachbarten Marketender-Siedlungen boten verschiedene Berufsgruppen ihre Dienste an.

Detaillierte Zeichnungen veranschaulichen die Uniform und Bewaffnung eines römischen Legionärs. Die Beiträge über die römerzeitliche Vegetation sowie die kulinarischen Möglichkeiten im römischen Hessen informieren über antike Eßgewohnheiten. Experimentierfreudige Hobbyköche finden dort Rezepte, etwa für römische Gerstensuppe oder gefülltes Spanferkel. Literarisch am glänzendsten leuchtet das kulturhistorische Schlußlicht der Oberstudienrätin Monika Balzert („Lappalien! Mundtücher, Mappen und maps“), das einen Überblick über antike Servietten und ihre moderne Wiederkehr bildet.

Traditionell folgen „Zabern Bildbände zur Archäologie“ der gewohnten dreispaltigen Aufmachung inklusive qualitätsvoller Fotos auf festem hochwertigem Glanzpapier. Tradition verpflichtet, erleichtert aber nicht immer die Lesbarkeit: Liest man bei Kunstlicht, weiß man manchmal nicht, wie man die Leselampe drehen soll, da das Licht stets auf dem Papier reflektiert. Gäbe es da nicht eine weniger aufwendige Lösung? Die Landkarte, die man vermißt, läßt man sich vielleicht vom Verkehrsverein Bad Homburg zuschicken, denn in erster Linie regt das Buch dazu an, die Saalburg selbst in Augenschein zu nehmen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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