Eine Rezension von Sebastian Kiefer


Ein Meister der Form und des Wortes

Daniela Rippl: Vladimir Nabokov
Sein Leben in Bildern und Texten.

Alexander Fest Verlag, Berlin 1998, 176 S.

 

Als unsere Großeltern ihr Leben noch vor sich hatten, kurz vor dem Ausbruch des ersten europäischen Infernos, ließ Debussy seinen Monsieur Croche einen Stoßseufzer tun: Groß sei Bachs Musik, schrecklich groß, so daß „man ernstlich nicht mehr weiß, wie man sich hinsetzen und verhalten soll, um des Anhörens würdig zu sein“. Der Nabokovianer kennt das Gefühl nur zu gut: Wie, nach der Lektüre - oder besser, nach des Meisters epitheta-gespickten Kaleidoskopsätzen noch den Mund auftun, ohne sich zu schämen? Hierzulande hat man allerdings so seine Schwierigkeiten mit solcherart Schreibkunst. Nichts könnte deshalb gelegener kommen, um dem deutschsprachigen Leser aus den Kinderschuhen in Sachen Nabokov zu helfen, als ein nicht gar zu dickes, fußnotenfreies und dabei wohlfeil bebildertes Bändchen, garniert mit kleinen Appetithäppchen im Originalton. So dachte man im Hause Alexander Fest und - recht so, steht doch der Hundertste vor der Tür, und wir wollen nicht etwa mit leeren Händen dastehen, zumal der letzte deutschsprachige Versuch in dieser Richtung einigermaßen unglücklich ausgegangen ist.

„Das ,Schreibpapier‘ von Nabokovs Leben mit der ,Lampe seiner Kunst‘ zu durchleuchten“, das habe sie sich vorgenommen, läßt uns die Autorin im Abspann wissen und dankt einem halben Dutzend gelehrter Leute für den Beistand auf ihrer langen, „freudvollen und qualvollen Reise“ zu und mit Vladimir N. Gut, daß dies alles nicht im Vorspann, sondern ganz hinten nach den Nachweisen steht, sonst wäre der Leser früher darauf gestoßen und hätte alles mögliche erwartet, eine Gesamtschau des Abgottes aller Stilisten womöglich, die sich im Angelsächsischen längst niemand mehr zutraut, und nicht das, was es nun einmal ist: ein eleganter Bilderbogen, gediegen kollektioniert, mit kurzen, informativen Verbindungstexten, wobei Nabokov rechtzeitig immer mal wieder selbst zu Wort kommt, um uns zu betäuben mit akrobatischen Einlagen. Das eine oder andere Foto ist neu, gewiß, und die Texte dazu sind mit Liebe und Sorgfalt gewählt. Es ist anrührend, wenn uns das Ergebnis einer offenbar in Eile auf den pausbäckigen Sohn Dimitrij gehaltenen Kamera gezeigt wird und der stolze Papa obendrüber von der „neuen Welle der Evolution“ spricht, die den Zweijährigen erfaßt hatte, als er den noch halb im Bild befindlichen Blechapparat überreicht bekam, „einen ein Meter zwanzig langen silbernen Mercedes-Rennwagen, der wie ein Harmonium mittels innen angebrachter Pedale angetrieben wurde“. Solche Verbindungen thematische „Konstellationen“ zu nennen, wie es die Autorin im Vorwort tut, ist wohl ein wenig übertrieben ausgedrückt. Wenn wir den greisen Meister durch eine Kinolinse spähen sehen und unten von der „Doppelbödigkeit“ der Wirklichkeit reden hören, so ist das gewiß eine hübsche Korrespondenz, nicht mehr und nicht weniger. (Eigenartig allerdings, daß die Autorin glaubt, des geringen Platzes für den Text ungeachtet, so manches zweimal sagen zu müssen - einmal in den Zwischentexten, dann in den Bildkommentaren.)

Alles in allem genommen weiß man - über den Augenschmaus hinaus, den das Buch ohne Zweifel bietet - nicht genau, für wen es geschrieben wurde. Der Geübte wird kaum Neues finden. Für den Einsteiger dagegen ist die feine Skizze des Phänomens Nabokov, die das Buch einleitet, ziemlich harte, abstrakte Kost. Donald Mortons kleines, doch höchst konzentriertes Nabokov-Büchlein, das einzig erhältliche (zuverlässige) in deutscher Sprache, leistet hier gewiß bessere Dienste, zumal es zugleich ins Werk einführt, und das ist eigentlich unumgänglich bei einem Autor, der, was man vielen anderen nur nachsagt, „ganz in seinem Werk gelebt“ hat. (Rippl hat Morton offensichtlich hier und da benutzt, auch wenn sie uns das verschweigt.) Obwohl Morton das Biographische auf ein gutes Dutzend Seiten komprimiert, finden sich Episoden, die, wenn man sich Nabokov schon von den Schichten seiner Sozialisation her nähert, schärfere Schnitte in die Tiefe legen, als es auch die sorgfältigste Zusammenstellung von Bild und Text vermag: Die Gabe der Synästhesie etwa, die von kaum zu überschätzender Wichtigkeit für das stilistische Modulationsgenie Nabokovs war, wurde ihm nicht in die Wiege gelegt, sondern durch seinen ausgeprägten Hang zur Mathematik (der sich allerdings bald verlieren sollte) einerseits und die besondere mütterliche Fürsorge, die dem oft kränkelnden Knaben galt, andererseits gefördert. Und weil die Mutter Laienmalerin war, entwarf sie für den Wonneknirps Vladimir ein regelrechtes Trainingsprogramm, um Gedächtnis und Empfänglichkeit für Farben und Konturen immer weiter zu verfeinern. Lust an der Präzision, häufige Krankheit und dadurch Absonderung von der Welt bei gleichzeitiger bedingungsloser Fürsorge, die alles daransetzt, die schnöde Wirklichkeit nur wohldosiert und in ästhetischen Mustern Einzug halten zu lassen in das Gemüt des umhätschelten Knaben: Das sind Kräfte einer Sozialisation, die einen Ästheten hervorbringen, für den der Tod nur mehr eine „Stilfrage“ war, „ein bloßer literarischer Kunstgriff, eine musikalische Auflösung“. Die Metapher von der Lebensreise hielt er für „eine dumme Illusion“ (wie wir Rippls Auswahl entnehmen können): „Wir gehen nirgends hin, wir sitzen zu Hause. Die andere Welt umgibt uns immer (...) In unserem Haus sind die Fenster durch Spiegel ersetzt; die Tür ist bis zu einer bestimmten Zeit geschlossen; aber durch die Ritzen dringt Luft herein.“

Dennoch: Es ist ein schmuckes Album geworden, eine geistreiche Unterhaltung für den Feierabend des Nabokov-Liebhabers, eine willkommene Ergänzung für den Kenner. Es gibt eine Ahnung von den ätherischen Melodien aus dem Inneren des gläsernen Sprachlabyrinthes, in dem Nabokov fortlebt. Und das ist nicht wenig.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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