Eine Rezension von Manfred Werner


„Die Art Analysen braucht der historisch interessierte Leser ...“

Falk Küchler: Die Wirtschaft der DDR
Wirtschaftspolitik und industrielle Rahmenbedingungen 1949 bis 1989. Wirtschaftspolitische Studien.

FIDES Verlags- und Veranstaltungsgesellschaft, Berlin 1997, 160 S.

 

Der in der thematischen Linie „Forschung und Vision“ erschienene Band enthält drei Studien, in denen Falk Küchler mit Hilfe makroökonomischer Methoden Aspekte der Wirtschaftspolitik des zweiten deutschen Staates im Zeitraum von 1949 bis 1989 darlegt. Dabei geht der Autor auch auf solche für die DDR-Wirtschaftsgeschichte so wichtigen Tatbestände wie die Reparationsfrage, den Volksaufstand vom 17. Juni 1953, das Neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft (NÖS), die Ablösung Walter Ulbrichts durch Erich Honecker, die erste und die zweite Ölpreisexplosion, das RGW-Vertragspreissystem und das Mikroelektronikprogramm ein.

Küchler behandelt zunächst die Funktion des Staatshaushalts als wirtschaftspolitisches Instrument der Regierung. Er zeichnet den Weg von der Zentralisation finanzieller Mittel durch den Staatshaushalt in den fünfziger Jahren unter dem Zwang der Reparationszahlungen bis 1953 und unter den Bedingungen des Aufbaus einer einheimischen Schwerindustrie über Dezentralisierungstendenzen in den sechziger Jahren als Ausdruck einer liberaler gestalteten staatlichen Finanzpolitik bis hin zu Rezentralisierungstendenzen in den siebziger Jahren. Diese waren vornehmlich darauf zurückzuführen, daß „westliche Kredite nicht mehr in dem Umfang zur Verfügung standen“ und die DDR „große Anstrengungen unternehmen“ mußte, „um durch verstärkte Exporte ihre Verbindlichkeiten abzutragen“ (S. 33). Wie der Autor ausführt, entwickelten sich gerade in den achtziger Jahren „die Staatseinnahmen und -ausgaben deutlich schneller als das gesellschaftliche Gesamtprodukt, das Bruttoinlandsprodukt sowie das produzierte Nationaleinkommen“ (S. 33).

Als nächstes arbeitet Falk Küchler den direkten Einfluß des Außenhandels auf die Volkswirtschaft der DDR heraus und setzt sich mit wesentlichen Kategorien des Außenhandels (Warensaldo, Außenhandelsbilanz, Austauscheffekte des Außenhandels) auseinander. Die von ihm verdeutlichte Abhängigkeit der Investitions- und Akkumulationsentwicklung von außenwirtschaftlichen Prozessen „ergab sich aus dem schon in den fünfziger Jahren hohen und bis 1989 tendenziell wachsenden Außenwirtschaftsbeziehungen der DDR-Ökonomie“ ( S. 68).

Im dritten Beitrag geht der Autor der Frage nach, welche wesentlichen Trends in der Energiewirtschaft der DDR nachweisbar sind und welche ökonomischen und politischen Überlegungen diesen zugrunde lagen und welche gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen aus ihnen resultierten. So erwies sich z.B. der in der unmittelbaren Nachkriegszeit bestehende Kohlenmangel „als der den Wiederaufbau Deutschlands am stärksten hemmende Engpaß“, insbesondere für das Verkehrswesen der sowjetischen Besatzungszone (S.87). Die unzureichende Steinkohlenversorgung führte 1945/46 zur Umrüstung der Dampflokomotive auf Braunkohlenbefeuerung, wofür die ingenieurtechnischen Erfahrungen fehlten, was zu großen Ausfällen führte. Auch die spätere Umstellung auf Erdöl als Primärenergieträger in den siebziger Jahren und die 1979/80 erfolgte „energiepolitische Wende“ hatten „elementare Bedeutung“ für die ostdeutsche Volkswirtschaft, insbesondere das Verkehrswesen (teilweise Rückverlagerung des Gütertransports von der Straße auf die Schiene; Elektrifizierung eines Teils der Reichsbahnstrecken; Ausbau des Straßenbahnliniennetzes bei gleichzeitiger Reduzierung des Omnibuslinienverkehrs).

Küchler führt die Probleme der vierzigjährigen Wirtschaftsentwicklung der DDR vornehm lich auf objektive Tatbestände zurück. Gerade durch seine in diesem Band dargelegte Auffassung, wonach in erster Linie ökonomische und politische Gründe die Spielräume für eine eigenständige Wirtschaftspolitik in der DDR begrenzten, unterscheidet sich die Meinung des Autors deutlich von der anderer Forscher, die die ostdeutsche Wirtschaftsentwicklung mehr als eine Aufeinanderfolge subjektiver Fehlentscheidungen begreifen. Das unterstreicht deutlich der Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler in seinem Vorwort wie in seinen Nachbemerkungen, wenn er meint, daß die in diesem Band vereinten Studien sich „dem wißbegierigen und kritischen Leser als Korrektiv zur gegenwärtigen Hauptströmung der Geschichtsbetrachtung der DDR“ empfehlen (S. 14). „Die Art Analysen braucht der historisch interessierte Leser als Ergänzung und Korrektiv der Memoiren- und Befragungsliteratur mehr als bisher. Küchlers Studien führen zu einem notwendigen und hoffnungsvollen Anfang.“ (S. 149)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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