Eine Rezension von Klaus M. Fiedler


Wunderwelt des Kleingedruckten

Volker Kluge: Olympische Sommerspiele
Die Chronik I und II.

SVB Sportverlag Berlin, Berlin 1997 und 1998, 934 S. bzw. 848 S.

 

Am 10. August des Jahres 1932, exakt um 8 Uhr, begann das letzte olympische Kapitel einer aus heutiger Sicht kuriosen Sportart, des Tauhangelns. Bei den Olympischen Spielen in Los Angeles traten an diesem Morgen fünf Kämpfer aus zwei Ländern (USA und Ungarn) an und ermittelten die Medaillengewinner. Es siegte Raymond Henry „Benny“ Bass (USA) in 6,7 Sekunden vor William Jackson Galbraith (USA/6,8 Sekunden) und Thomas Francis Connolly (USA/7,0 Sekunden).

Diese Informationen sind in verschiedenen Standardwerken der olympischen Sportgeschichte nachzulesen. Doch Volker Kluge gibt sich in seiner auf vier Bände konzipierten Chronik der Olympischen Sommerspiele, von denen die ersten beiden Bände vorliegen (Band I - Die Sommerspiele von 1896 bis 1936, Band II - Die Sommerspiele von 1948 bis 1964), mit diesen allgemein zugänglichen Daten nicht zufrieden. Er forscht weiter; er gräbt, akribisch, mit wissenschaftlicher Neugierde und Pedanterie, immer tiefer und fördert erstaunliche Details ans Tageslicht. Man dürfe keine Zeit verlieren, begründete er einmal in einem Gespräch seine Unrast, sein Bemühen, möglichst schnell ein solches Mammutwerk zu vollenden. Die Zahl der für seine Recherchen so wichtigen Zeitzeugen, gerade aus den Anfangsjahren der olympischen Geschichte, würde naturgemäß immer kleiner werden. Denn gerade an diese Zeitzeugen, an ihre Schicksale, möchte Kluge erinnern. Für ihn sind die Olympischen Spiele nicht nur dürre Zahlenwerke, sondern Ausdruck der politischen Gegebenheiten und Einflüsse und vor allem Menschenwerk.

Die Fülle der Informationen, die Volker Kluge zusammengetragen hat, sucht in der gewiß nicht kleinen olympischen Fachliteratur ihresgleichen. Zunächst listet der Autor in jedem Kapitel, das einer olympischen Sommer-Veranstaltung gewidmet ist, das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf und gibt in den Anmerkungen Hinweise zu neuen Mitgliedern. Anschließend beschreibt er die allgemeine historische Situation der Olympiade, bezogen auf die jeweils zurückliegenden vier Jahre. Ausführlich widmet er sich dann der Organisation der Spiele bis hin zu statistischen Details über berichterstattende Journalisten, Medaillen, Zuschauer, Diplome, Literatur. Auch im nun folgenden sportlichen Ergebnisteil geht Kluge weiter als vergleichbare Standardwerke: Er nennt nicht nur, wie allgemein üblich, die ersten sechs einer jeweiligen Disziplin, sondern alle Starter mit ihren Ergebnissen, einschließlich der Vorkämpfe.

Doch damit nicht genug. Nun kommt nämlich das Kleingedruckte; nun kommen die Anmerkungen, Ergänzungen, Vertiefungen. Das sind zum einen technische Details, Erläuterungen von sportlichen Regeln oder Besonderheiten bestimmter Sportarten. Zum anderen aber ist Volker Kluge bemüht, in diesen jedem Kapitel angefügten Anhängen so viele Informationen über die Sportler zu vermitteln wie irgend möglich. Das eingangs erwähnte Tauhangeln kann als ein Beispiel gelten. Im Anhang des Kapitels über die Sommerspiele 1932 in Los Angeles finden wir zunächst folgende Erläuterung zum Tauhangeln: „Das Hangeln oder Seilklettern geschah an einem acht Meter langen Tau. Die Haltung der Beine war beliebig. Gestartet wurde aus sitzender Stellung. Jeder Teilnehmer hatte drei Versuche; die kürzeste Zeit kam in die Wertung.“ Und über den Goldmedaillengewinner, den US-Amerikaner Raymond Henry „Benny“ Bass, lesen wir: „Bass (*1910) war an der Marine-Akademie in Annapolis, die er 1931 absolviert hatte, Boxer und Ringer. Nachdem er sich auf das Hangeln konzentriert hatte, wurde er für Los Angeles nominiert. Während des 2.Weltkrieges war er Kommandeur eines Unterseebootes, und er führte zwölf U-Boote in die Bucht von Tokio. Er brachte es bis zum Admiral, und nach seinem Abschied von der Marine wurde er Grundstücksmakler.“

Volker Kluge, von dem bereits ein ähnlich umfangreiches Werk über die Olympischen Winterspiele vorliegt (siehe Berliner LeseZeichen 10/11/96), wird im Sommer 1999 den dritten Band seiner Chronik (Die Olympischen Sommerspiele von 1968 bis 1984) herausgeben. Am Vorabend der Olympischen Spiele des Jahres 2000 in Sydney soll dann sein „Jahrhundertwerk“ mit dem vierten Band (Die Spiele von 1988 bis 1996) abgeschlossen sein.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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