Eine Rezension von Henner Kotte


Ein Buch - zwei Stimmen

Brigitte Kehrberg: Der Kriminalroman der DDR 1970-1990 (Diss.)

Wissenschaftsverlag Dr. Kovac, Hamburg 1998, 205 S.

 

Erst Tote können zur Sektion freigegeben werden, und literaturwissenschaftliche Untersuchungen zelebriert man weiter günstigenfalls nach dem Ableben des Autors. Dann ist der Blick aufs Gesamtwerk ohne Einschränkungen möglich, kann man Zeitzeichen und Spuren (end)gültig deuten. Manchmal vergehen auch Staaten. Nach deren Untergang erst kann geprüft werden, ob es zu Lebzeiten in ihnen Literatur gab oder ob nicht, und wenn ja, welche. Die DDR ist Geschichte. Einige literarische Namen werden in Nachschlagwerken vermerkt werden. Wahrscheinlich nicht jene, die sich am sozialistischen Krimi versuchten. Was ist er denn überhaupt, dieser Krimi an sich und im besonderen?

Dieser Frage gehen ernstzunehmende Wissenschaftler selten nach. Haftet doch an sex and crime (ob zugunsten oder zuungunsten des Volkes) jener untilgbar niedere Geruch der unliterarischen Literatur. Anerkennenswert ist jede Arbeit auf diesem Gebiet. Auch Brigitte Kehrbergs Versuch, den „Kriminalroman der DDR von 1970-1990“ zu analysieren. Die Verfasserin sieht sich mit einer kaum ausgeprägten wissenschaftlichen Diskussion konfrontiert. Sie muß sich für diese Dissertation wissenschaftliche Methoden selbst erarbeiten. Und sie muß DDR-Kriminalromane lesen. „Graue Langeweile stellte sich ein, die Texte waren (...) von künstlerisch derart dürrer Qualität, daß sich eine literaturwissenschaftlich-ästhetische Annäherung an den Gegenstandsbereich als einigermaßen obsolet erwies. / Und die mühevolle Beschaffung der Exemplare von Altbuchhändlern nach Kilopreis etc. um so ärgerlicher erscheinen ließ.“ Wer hätte angesichts solcher Zumutungen nicht Geldsäckel und Nerven geschont. Brigitte Kehrberg aber blieb tapfer. Ihre Ergebnisse schließlich lohnen die Aufopferung nicht.

„Der Kriminalroman der DDR ist von den Entwicklungslinien, die das Genre bis zum Jahr 1989 durchgemacht hat, so total abgeschnitten, daß, pointiert gesagt, nur eine Benennungsanalogie besteht. Milder ausgedrückt: Der Kriminalroman der DDR ist eine ungleichzeitige Veranstaltung, weil er literaturhistorisch längst überkommende Muster wieder und wieder reproduziert.“ Der Vorwurf der Verfasserin verblüfft. Die DDR hat sich (spätestens seit dem 13. August 1961) nicht nur von literaturhistorischen Entwicklungslinien getrennt. Provinzialismus beklagt man noch heute von Dederonschürze bis Trabant 601 de Luxe. Im vormundschaftlichen Staat blieb Internationalität ein Fremdwort. Mangelnde Rezeption ist den Kriminalschriftstellern somit nicht vorzuwerfen, sie haben ja Doyle, Christie und Co. wirklich gelesen und hätten gern noch in andere Bücher geschaut (wie auch der Leser). Zum anderen strafte die „internationale“ Krimiszene den Kriminalroman in den Farben der DDR mit schierer Ignoranz. Wenn Kinder in der Grube spielen, sind sie nur von außen noch zu retten. Brigitte Kehrbergs eingangs ausgeführte Hypothese ist eine wahre Binsenweisheit.

Sie bleibt so nicht die einzige. „Der Kriminalroman der DDR steht immer unter der Dominanz einer ideologischen Vorgabe ... Deswegen dient der Kriminalroman der DDR dazu, Bilder und Wertevorstellungen von der und über die DDR zu affirmieren, sie massenhaft zu verbreiten und einzuüben ... Die ,kritische‘ Potenz des DDR-Kriminalromans besteht in einer je nach politischer Großwetterlage erwünschten (...) Symptomkritik, nie jedoch Systemkritik.“ Was hat die Verfasserin in einem totalitären System erwartet? Systemkritik?

„Der Kriminalroman der DDR reklamiert für sich die Intension, ,realistisch‘ zu sein.“ Der (ehemalige) DDR-Leser des Kriminalromans der DDR wird das auch noch heute bestätigen, beim Wiederlesen vieles wiedererkennen. Hierbei ist Brigitte Kehrberg auf der richtigen Fährte, wenn sie schreibt: „Für die Einschätzung der dargestellten Wirklichkeiten wird man öfters auf ,unbelegbare‘, aber dennoch höchst präsente lebensweltliche A prioris zurückgreifen müssen.“ Dies ist das geübte Zwischen-den-Zeilen-lesen. Das versucht auch die Verfasserin. Ihr ist bekannt, das in den Restaurants der DDR Schildchen mit dem Hinweis „Sie werden plaziert“ existierten. Die Verfasserin bemerkt, daß im Kriminalroman der DDR genau diese Schildchen gar keine Erwähnung finden, dafür aber freundliche Kellner, reichhaltiges Speisenangebot und dergleichen mehr. Ein gewichtiges Argument für die Verfasserin, dem Kriminalroman der DDR den „Realitätsbezug“ abzusprechen. Ein kurzschlüssiger Beweis, denn dies ist weder ein Pro- noch Contra-Argument. Es gab (vornehmlich in den Restaurants der DDR, wohin der Bürger seine westdeutschen Gäste ausführen wollte, in die City, ins noble Interhotel) gewiß diese Schildchen. Jedoch fand man in der Kneipe um die Ecke stets Platz und Zeit für den Kurzen und fürs Bierchen. Es entsteht der Eindruck, daß Brigitte Kehrberg beweisen möchte, was für sie eigentlich keines Beweises bedarf.

Die meisten Kriminalromane der DDR schildern in der sozialistischen Gesellschaft geschehene Verbrechen. So ist ihnen eine „kritische“ Potenz inhärent. Denn, so die These, nach einer Übergangsphase wird es Verbrechen nicht mehr geben. (Ausführlich geht die Verfasserin auch auf den Streit Hasso Mager - Fritz Erpenbeck zu diesem Thema und dessen Auswirkung auf den Kriminalroman der DDR ein.) Die Staatsführung der DDR hatte die Rechnung ohne den Menschen gemacht. Verbrechen gediehen auch im Sozialismus nicht zu knapp. Die offizielle Berichterstattung von Presse, Funk und Fernsehen verschwieg diese Tatsachen. Kaum, daß die Volkspolizei den Bürger um Mithilfe bat. Im Kriminalroman dagegen wimmelt es von Tätern aller Art, vom Kinderschänder (Horst Bastian: Die Brut der schönen Seele) bis hin zum (unwissentlich) tötenden Kind (Bernd Diksen: Das Vorurteil). Von Unterschlagungen auf Chefebene (u. a. Tom Wittgen: Das sanfte Mädchen) bis hin zur Bandenkriminalität (Horst Lohde: Im Dunkel der Nacht; Klaus Möckel: Die Damengang). Es existieren Heiratsschwindler, Trickbetrüger, Totschläger und Mörder fast aller Couleur. Und der Leser fand im Krimi Säufer, Schläger, S-Bahn-Penner (asoziales Leben stand gemeinhin unter Strafe und existierte demnach nicht; Tom Wittgen: Die letzte S-Bahn), wie auch das Phänomen der Sekten (Johannes Albrecht: Der Tod des Guru). Ein von der Einheitspresse sehr verschiedenes Bild. Kein Realismus? Sicher obsiegten letztlich die Ermittlungsorgane der DDR. Crime doesn’t pay, weiß auch Oberinspektor Derrick ganz genau und klärt alle seine Fälle auf (bis auf einen klitzekleinen). Realismus? Aber nicht immer waren die Volkspolizisten glorreiche Westernhelden im Kampf gegen das Verbrechen, auch sie kannten den Zweifel (vgl. Rudolf Bartsch: Der Mann, der über den Hügel steigt). Der Kriminalroman der DDR übte keine offene Kritik. Sicher. Systemkritik niemals. Aber vieles erkannte der geübte Leser der DDR als (nicht nur nach politischer Großwetterlage erwünschter) Symptomkritik sehr wohl. Die Verfasserin der Studie erkennt dies leider alles nicht. Sie klammert die Rezeption der Bücher völlig aus. Eine Notwendigkeit jedoch für die Analysen zur Literatur der DDR, zumal die Verfasserin den Kriminalroman der DDR „mit Fug und Recht unter dem Gesichtspunkt seiner „Funktion“ betrachtete. Hat er (ob schlecht, ob gut, ob uralt gewandet) denn nun funktioniert und wie? Genau das bleibt die Verfasserin aus Mangel an Beweisen schuldig.

Im Anhang letztlich wird dem Leser eine „Statistische Analyse des Kriminalromans der DDR“ offeriert. Das heißt, es wurde gezählt. Meine ganz private Auszählung von „Die Kriminalliteratur der DDR 1949-1990. Bibliographie“ zeitigt andere Ergebnisse. Nun ja, auch Zählsysteme sind halt verschieden. Die Quellen der in der DDR veröffentlichten Kriminalromane aus dem Ausland bleiben dunkel: „bibliografische Berichte der Deutschen Bücherei, Leipzig“. Deren Zahlen stimmen nicht. Aus Schweden wurden mindestens 14 und nicht 8 Romane publiziert. Welche Zahlen stimmen überhaupt? Dies kleinlich noch zur Faktenlage.

Was bleibt von der Lektüre? Überhaupt und gar nichts, außer dem Doktorhut aus Siegen für Brigitte Kehrberg (Herzlichen Glückwunsch!). Ein Blick in die professoralen Gutachten würde mich noch reizen, sie sind auch teuren Büchern nicht beigefügt. Eine Blamage weniger.

 

Anmerkungen eines Betroffenen

Als Autor von Kriminalromanen äußert man sich besser nicht zu den ohnehin spärlichen Kritiken oder gar zu literaturwissenschaftlichen Betrachtungen des eigenen Werkes. Krimis werden üblicherweise für Krimileser geschrieben, nicht für Literaturwissenschaftler - daraus resultieren zahlreiche Mißverständnisse.

Wenn ich im Fall der Frau Brigitte Kehrberg aus Neuss von dieser Regel abweiche, so tue ich das als in doppelter Hinsicht Betroffener:

- als ein in der Arbeit mehrfach genannter Autor von „extrem schlichten Texten“, der bereits im Inhaltsverzeichnis falsch geschrieben wird, was naturgemäß mißtrauisch gegenüber dem folgenden macht

- als betroffen darüber, daß sich das Ende des Kalten Krieges im Sommer 1997 noch nicht bis zum Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität - Gesamthochschule - Siegen herumgesprochen hatte.

Frau K. nennt ihre in der Schriftenreihe Poetica - Schriftenreihe zur Literaturwissenschaft publizierte Dissertation „eine Studie“ über den „ästhetisch dürren und symptomatisch platten Kriminalroman der DDR“. Dazu hat sie 150 unter beklagenswerten Umständen, die sie breit ausführt, erworbene Krimis gelesen und 15 davon für würdig befunden, ihnen mit dem im Verlauf eines vermutlich langen Studiums angelesenen Habermas-Adorno-Instrumentarium zu Leibe zu rücken.

Nun will ich Frau K. nicht übelnehmen, daß sie für ihre Zwecke noch einmal die abgestandene (und gänzlich folgenlose) Krimi-Diskussion zwischen Hasso Mager und Fritz Erpenbeck aufwärmt, der Reinhard Hillich bereits 1988 in seinem Band Tatbestand (aus dem Frau K. gerne und fleißig zitiert) zu einer literaturwissenschaftlich würdigen Ruhestätte verholfen hat, ja, ich will ihr sogar den Griff zum übelsten Agentenschinken (der nun einmal kein Kriminalroman ist) am anfang stand das ende ... (1954) von Hans-Joachim Geyer verzeihen. Sie ist auf dem mit spitzen Fingern und spürbarem Widerwillen ausgewählten Gebiet, auf dem sie zu promovieren beschloß, nicht allzugut informiert, sonst hätte sie Genaueres (und Lustiges) über jenen tatsächlichen Doppelagenten Geyer beispielsweise in Reinhard Gehlens Der Dienst oder Mary Ellen Reeses Organisation Gehlen gefunden. Daß der frühe Fallada-Freund und -Verehrer Geyer siebzehn Krimis verfaßt hat, ist im Kürschner nachzulesen. Nur sind die nicht in der DDR erschienen, sondern vor 1945 und/oder in Westdeutschland, und zwar unter dem Pseudonym John Kling.

Wie gesagt, nicht darüber will ich mit Frau K. rechten, die mich gemeinsam mit Klaus Möckel und Hartmut Mechtel unter der sich selbst beantwortenden Frage Systemkritik oder Symptomkritik? subsumiert und fortfährt: „Alle drei Autoren sind übrigens auch heute noch ,im Geschäft‘, alle drei gehörten zu denen, die ,dissidente‘ Überzeugungen gehabt zu haben wenigstens vorgegeben haben. (Ich danke für diese Informationen T. Wörtche.)“

Diese Denunziation ist, gelinde ausgedrückt, eine Unverschämtheit. Dr. Möckel und Hartmut Mechtel (dessen politisches Engagement in der Bürgerbewegung ihm in der DDR erhebliche Anfeindungen und Schwierigkeiten einbrachte und dessen Krimi Das Netz der Schatten 1997 mit dem Glauser-Krimipreis der Autoren für den besten Roman des Jahres - im Gegensatz zu Frau K.s Behauptung eine Auswahl unter allen deutschsprachigen Krimis - gewürdigt wurde) mögen sich selbst dazu äußern. Ich jedenfalls habe den mir hinlänglich bekannten Dr. Thomas Wörtche zu keiner Zeit zum Zeugen oder Sprachrohr meiner politischen Überzeugungen oder Aktivitäten ernannt. Was mich von T.Wörtche - nach einer anfangs von seiner Seite geradezu überschäumenden Freundlichkeit bei der Zusammenarbeit an einem längst dahingegangenen Kriminalmagazin - trennt, war schon 1992 im Freitag nachzulesen.

Was aber hat nun Frau K. an meinem Krimi-Erstling Poesie ist kein Beweis (geschrieben 1983, veröffentlicht 1986, Nachauflage 1987, und 1991 ins Schwedische übersetzt) auszusetzen? Da Frau K. über wenig Sinn für Ironie und keinerlei Kenntnisse der DDR-Realität verfügt, war ihr Spaß an der Lektüre naturgemäß stark gemindert. Ihre Schlußfolgerungen, die Darstellung jeweils einer „Verderberin“ bei Hartmut Mechtel und mir sei „für die Kriminalliteratur der DDR nachgerade topisch, ihre Sortierung zu anderen Außenseitern der Gesellschaft beredt“ nehme ich so überrascht zur Kenntnis wie die daraus abgeleitete Behauptung: „Vor der sexuell autonomen Frau hat (auch) der sozialistische Mann Angst.“ Daß Frau K. zum Beweis ihrer These die wörtliche Rede einer Nebenfigur und nicht den Autorenstandpunkt zitiert, gehört dabei zu den üblichen Taschenspielertricks des literaturtheoretischen Gewerbes.

Neben der topischen Sortierung ins gesellschaftliche Abseits werden mir aber noch andere unverzeihliche Mißgriffe angekreidet: „So bringt er es fertig, einen Homosexuellen darzustellen, ohne es zu wagen, ihn einen Homosexuellen zu nennen!“ - Nun ist der von mir karikierte Modefotograf Wilmar tatsächlich so angelegt, daß mein Held und Ermittler Conny (wie der Leser) bis zum Schluß im Ungewissen über dessen Sexualhabitus bleibt. Doch vergebens meine Feigheit: Frau K.s untrüglichem Blick entlarvt sich der Schwule sofort. (In meinem Roman Der siebente Winter [1989] spielt ein homosexuelles Paar eine Rolle - aber den hat Frau K. nicht gelesen, wie sie überhaupt von den meisten Autoren vorsichtshalber nur einen Titel ausgewählt hat.) Auf geradezu atemberaubende Weise hingegen durchschaut sie meine Bemerkung über gestylte DDR-Models. Auf „Farbfotos in großformatigen Journalen“ (literaturwissenschaftliche Anmerkung von Frau K.: Von denen es bekanntlich in der DDR so viele gab.) „fehlten ... ihre Füße, wahrscheinlich des unpassenden Schuhwerks wegen“. Fußnotenkommentar B.K.: „Kritik an der Schuhindustrie? Oder soll es sich, horrible dictu, um Transsexuelle, gar Transvestiten handeln?“ Dieses Geheimnis, werte Frau K., gedenke ich mit ins Grab zu nehmen.

Aber im Ernst: Nennt sich derlei Erbsenzählerei tatsächlich Literaturwissenschaft? Steht es einer Literaturwissenschaftlerin an, in ihrer Promotionsschrift statt eigener Recherchen das sichtlich vom Vorurteil geprägte Hörensagen Dritter zu kolportieren? Was hat Frau K. - die eifrig und höchst einseitig aus dem von mir herausgegebenen Autorenblättchen „Secret Service“ zitiert - daran gehindert, meine in TransAtlantik, Horch & Guck und anderenorts veröffentlichten Darstellungen zur eigenen Biographie wenigstens zur Kenntnis zu nehmen, statt mich und meine Kollegen als Leute vorzuführen, die „Überzeugungen gehabt zu haben wenigstens vorgegeben haben“?

In der überaus gehässig formulierten Einleitung ihrer Schrift stellt Frau K. Sachkompetenz und Qualifikation ihrer Kölner Kollegin Dorothea Germer (die mit ihrer Dissertation Von Genossen und Gangstern. Zum Gesellschaftsbild in der Kriminalliteratur der DDR und Ostdeutschlands von 1974 bis 1994 eine sachliche und fundierte Arbeit zum Thema geliefert hat) in Frage, denn die ließe „sich allerlei Ungereimtheiten gefallen, weil sie offensichtlich nicht nachfragen kann.“ Da ist Frau K. allemal besser: Sie, die (fast) alles von T. Wörtche und aus einer im „Secret Service“ veröffentlichten Meinungsäußerung einer ehemaligen Lektorin erfahren hat oder es mit der zitierten Sachkompetenz aus Büchern herausliest, kommt erst gar nicht erst auf die Idee zu fragen. „Wenn der DDR-Krimi ein ,kritisches Potential‘ gehabt hätte, hätte es ihn schlicht nicht gegeben, sowie es verschiedene Spielarten von Musik (Jazz etc.) nicht (oder nur marginal) gegeben hat“, behauptet sie munter und verärgert mit ihrer verabsolutierenden Unkenntnis auch noch den Jazzer in mir. Als einstiger Jazzrezensent der Weltbühne und Moderator einer Jazzsendung im Rundfunk (der DDR) weiß ich im Gegensatz zu Frau K., wovon die Rede ist. Aber sie, die nicht zwischen einem Mitglied und einem Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften zu unterscheiden vermag (S.82), dem Anglisten und Akademie-Mitarbeiter Dr. Hillich jedoch vorwirft, er könne die Romane James M. Cains nicht richtig einordnen, urteilt eben gerne über Dinge, von denen sie nichts oder wenig weiß. Julian Semjonow, Präsident der Internationalen Vereinigung der Kriminalschriftsteller (AIEP), war, wie Frau K. auf S. 100 zu melden weiß, „in der DDR persona non grata. Das Verbot einer Ausgabe der Zeitschrift ,Sputnik‘ wegen eines Textes von Semjonow war im Frühsommer 1989 eine der letzten großen Zensur-Aktionen in der DDR.“ Der „Sputnik“ wurde bereits im Oktober 1988 dreier Beiträge wegen verboten, von denen einer von Semjonow stammte. Dennoch weilte Semjonow danach zweimal in der DDR: im März 1989 und im Juni am Rande der in (West-)Berlin stattfindenden Criminale des Syndikats, an der sieben Krimiautoren aus der DDR teilnahmen. In meinem in der DDR-Zeitschrift „Sonntag“ (Nr. 27/89) abgedruckten Bericht heißt es dazu: „... AIEP-Präsident Julian S. Semjonow kam als ,Kommissar aus Moskau‘, im Gepäck den internationalen Almanach ,Detektiv und Politik‘ (Auflage 500 000, Preis 7 Rubel) und die Zeitschrift ,Streng geheim‘.“ (Auflage eine Million Exemplare). Wer schließlich behauptet, Wolfgang Schreyer sei in der DDR „bekannt und beliebt als der ,rote Wallace‘“ gewesen und die Mitarbeit seiner Frau an Unabwendbar mit der Zensur gleichsetzt, disqualifiziert sich vollends.

Es wäre leicht, die mit dem geballten fachchinesischen Vokabular und 698 mitunter sehr erheiternden Fußnoten aufgeschäumte Fleißarbeit der Frau K. mit einem Halbsatz von T.Wörtche abzutun: Schwurbel höchster Gaga-Stufe. Frau Kehrberg hat sich auf 205 ertragsarmen Seiten lediglich ihre Vorurteile über die DDR und den DDR-Krimi bestätigt - und mir die meinen gegen diese Art von Literaturwissenschaft.

Jan Eik


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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