Eine Rezension von Jürgen Birg


„ich trau’s mir zu“

Gespräche mit Ministerpräsidenten.

edition ost, Berlin 1998, 176 S.

 

Der Untertitel trifft nicht völlig zu und stimmt doch: Alle Interviewten waren (oder sind) in den letzten Jahren Regierungschef eines Bundeslandes. Als die Interviews geführt wurden, war Wolfgang Clement noch nicht Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, sondern der ebenfalls Befragte Johannes Rau. Von den anderen sind noch Reinhard Höppner, Heide Simonis und Bernhard Vogel im Amt. Der CDU-Politiker Berndt Seite wurde inzwischen (vom Mecklenburger SPD-Chef Harald Ringstorff) abgelöst, Oskar Lafontaine ist nach einem „Probelauf“ als Bundesfinanzminister nun Privatier. Völlig unbekannt sind wohl alle sieben nicht. Um so interessanter, was Gaus ihnen entlocken konnte. Wie bei allen anderen Interviews beeindruckt sein subtiles Fragen und sein Nachhaken. Bei für den Befragten kritischen und unangenehmen Momenten bleibt er dran, wird aber niemals gehässig. Den Interviewten zu entblößen ist nicht seine Art. Imponierend bleibt bei Gaus das intellektuelle Niveau und die Zielstrebigkeit seiner Fragen, selbst dann, wenn er sie manchmal fast selbst beantwortet. Seine Gesprächsführung zeichnet sich durch das Einstellen auf den Partner aus, man spürt ein echtes Interesse.

In allen Gesprächen geht es um die Einheit Deutschlands, um die Bewältigung der unterschiedlichen Vergangenheit in einer gemeinsamen Zukunft, um Probleme des Zusammenwachsens. Die Interviews datieren zwischen September 1992 und März 1997. Dieser Fünfjahreszeitraum ist nicht ohne Probleme, denn gleiche und ähnlich gestellte Fragen bewirken - von Charakter und politischen Standort des Befragten abgesehen - unterschiedliche Antworten, die durch die augenblickliche Situation geprägt sind. Die Interviewten vertreten - in der Reihenfolge schön gemischt - drei alte und drei neue Bundesländer (d. h. aber nicht, daß die jeweiligen Ministerpräsidenten auch aus diesen Ländern kommen).

Reinhard Höppners Selbsteinschätzung lautet, daß er durch die Politik „ein bißchen härter“ geworden, aber immer noch leicht „verletzlich“ sei. Höppner geht gegen die im Westen vorherrschende Meinung an, die DDR „wäre ein großes Gefängnis gewesen“. Zudem sei er sich nach der Wiedervereinigung nicht sicher, „wo mehr Moral oder Unmoral gewesen ist - im Osten oder im Westen“. Seine Erwartung von 1989, daß urwüchsige demokratische Kräfte tatsächlich Gesellschaft gestalten könnten, sieht er im Rückblick als „ein Traum von wenigen Wochen, bestenfalls wenigen Monaten. Dann sind wieder die gekommen, die klug wußten, wie es geht, und haben es uns flugs gesagt.“ Jedenfalls ist er sich darin sicher, daß das 1989/90 „scheinbare siegreiche System nicht die Lösung der Zukunftsprobleme“ ist.

Für das Gespräch mit dem zweiten ostdeutschen Ministerpräsidenten, Berndt Seite, der damals die CDU-geführte Regierung Mecklenburg-Vorpommerns leitete, wurde als Überschrift gewählt: „Gewissermaßen war ich Mitläufer. Natürlich war ich das auch.“ Von ihm erhält Gaus manch Bekenntnis: daß das Amt des Ministerpräsidenten schmeichele, daß eine Distanz zu den Bürgern notwendig sei, daß er Macht liebe, daß er im Dezember 1989 noch immer eine bessere DDR haben wollte. Seite wehrt sich gegen das Klischee, „daß die DDR-Bevölkerung 48 Stunden am Tag unterdrückt worden ist“ und „man in der SED sein mußte, um irgend etwas zu werden“.

Bernhard Vogel steht von den Interviewten als Bindeglied zwischen Ost und West (als einstiger Ministerpräsident), aus dem Westen kommend, wurde er im Osten (erneut) Ministerpräsident. Und aus dem Gespräch wird deutlich, daß ihm der Abgang, den ihm die CDU 1988 als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz bot, das gesamte Ränkespiel, die Kungeleien und Intrigen, tiefe Verletzungen zugefügt haben, die noch immer nicht völlig vernarbt sind. Seinem Interview merkt man an, daß es mehr als ein halbes Jahrzehnt zurückliegt, manches ließe sich heute bestimmt differenzierter und besser sagen.

Mit der Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Heide Simonis, redet Gaus zunächst über die „Macho- und Mode-Frage“. Das scheinbar Belanglose offenbart dennoch Tiefgang über Grundfragen eines seit den 60er Jahren neu auftauchenden Geschlechterverständnisses. Überhaupt geht es darum, was Frauen können und dürfen. Und gegenseitig spielen sie sich mit einem Schuß Humor die Bälle zu. Als Simonis sagt, „ich bin ein Biest, und das sagt jeder“, fragt Gaus nach: „Sind Sie ein Biest?“ - „Natürlich bin ich ein Biest. Aber das bedeutet nicht, daß alle Frauen Biester sind ...“ - „In welchem Sinne sind Sie ein Biest?“ - „Ich kämpfe für das, was ich gern haben will, und dann so lange, bis ich es habe, und wenn es zwei Jahre dauert. Das tun natürlich Frauen normalerweise nicht.“ Hartnäckig bleibt er bei der Frage, ob sie sich das Bundeskanzleramt zutraue. - „Sie wollen mich hier dazu verführen, daß ich sage, ich traue mir’s zu.“ Und schließlich kommt die Antwort: „... ich würde es mir zutrauen.“

Lafontaine vertrat in seinem Interview noch sehr prononciert die Auffassung, daß militärische Optionen in der Außenpolitik ein Irrweg sind und Deutschland keine kämpfende Truppen entsenden darf. Zum Nationbegriff präferiert er den Begriff der Kulturnation und wendet sich gegen eine Verengung auf das Deutschstämmige. Deutlich noch seine Ablehnung der Kernenergie, die für ihn ebenfalls in die Irre geht. Das Attentat 1990 während des Wahlkampfs hat Spuren hinterlassen, nachhaltiger offenbar, als in der Öffentlichkeit artikuliert und erkennbar.

Den Abschluß bilden die beiden Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Rau und Clement. Wie mit den anderen Gesprächspartner redet Gaus auch mit ihnen über persönliche Erfahrungen und Enttäuschungen. So kommt Persönliches nie zu kurz, ohne dies als Klatsch und Tratsch breitzutreten, so, wenn zum Vorschein kommt, daß Rau die Enkelin von Gustav Heinemann geheiratet hat und beide heute die Eheringe ihrer Großeltern tragen.

Die Interviews bleiben Zeitdokumente. Anders als später gefärbte Selbstbiographien vermitteln sie Denken und Ansichten des Befragten zum jeweiligen Zeitpunkt. Fast alle Politiker hat Gaus nach der Macht gefragt, und keiner konnte leugnen, daß er gerne Macht ausübt. Aber bei einer anderen Antwort hätten sie ansonsten wohl alle den falschen Beruf ...


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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