Eine Rezension von Volker Strebel


Ein ganz normaler Wahnsinn

Michal Viewegh: Blendende Jahre für Hunde

Aus dem Tschechischen von Irene Bohlen und Kathrin Liedtke.

Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1998, 267 S.

 

17 Kapitel, ein Epilog und kein bißchen langweilig! Viewegh bietet eine breite Palette seines Könnens auf, um den Leser bei Laune zu halten: pointierte Dialoge, Tagebucheinträge, Zwischenkommentare, Erlebnisberichte. Und all dies wird sauber komponiert zu einem schlitzohrigen Entwicklungsroman. Ein Schelmenroman, der den Werdegang des Jungen Quido und auch dessen Familie nachzeichnet und erzählt. Der Ort der Handlung ist Böhmen in der Zeitspanne zwischen den 60er Jahren bis zum Ende des „realen Sozialismus“, dem Anbruch einer neuen Zeit zum Jahreswechsel 1989/90.

Eröffnet wird das Panoptikum im Parkett eines Prager Theaters. Eine junge, theaterbegeisterte Frau bringt ausgerechnet während einer Vorstellung von „Warten auf Godot“ in einer verfrüht einsetzenden Geburt ihren ersten Sohn, Quido, zur Welt. Ein verwöhntes Kind sollte es werden, altklug und fett. Und zu allem Überfluß zeigt es sich bald, daß Quido schriftstellerische Ambitionen hat. Immer wieder wird das erzählte Geschehen von Quidos Unterhaltung mit seinem Verlagslektor unterbrochen. Der Roman endet schließlich mit dem Satz: „Am 10. Oktober gibt Quido das Manuskript seines Romans Blendende Jahre für Hunde im Verlag „Tschechoslowakischer Schriftsteller“ ab.

Quido erzählt von der Herkunft seiner Eltern. Der Vater „wurde mit hoher Intelligenz in nie-drige Verhältnisse geboren“. In kräftigen Bildern werden die Lebensumstände dieser sogenannten kleinen Leute gezeichnet. Dazu die Großmutter, eine Kürschnerin: „Schwerfällig bewegte sie sich um die alte Schneiderpuppe herum, den Mund voller Stecknadeln.“ Der Vater wollte raus aus diesen Verhältnissen, aber Fluchtmöglichkeiten boten sich ihm keine. Da waren höchsten die Schallplatten von Louis Armstrong und Ella Fitzgerald oder das Kaffeehaus Demínka, wo er sich mit seinem Freund Zvára traf. Dieser brachte ihn auch mit seiner künftigen Frau und Quidos künftiger Mutter zusammen, „ein schlankes Mädchen mit Brille und dunkelblauem Samtkleid mit weißem Spitzenkragen“. Quidos Mutter kam aus besseren Verhältnissen. Die Wohnung ihrer Eltern lag am Platz der Pariser Kommune, hohe Decken, poliertes Klavier und tausend Bände in einer Mahagonibibliothek. Den kleinen Quido faszinierte der kulturelle Wechsel zwischen den beiden Großelternfamilien. Die einfachen Verhältnisse der Großeltern Josef und Vera sagten dem Kleinen besonders zu. Da flogen drei blaue Kanarien-vögel frei in der Wohnung herum. Was ihm nicht behagte, „war Großvaters Unsitte, mit den Wellensittichen das Essen zu teilen: Zuerst zerkaute er sorgfältig die jeweiligen Speise, dann öffnete er weit den Mund, und die Vögel kamen sofort herbeigeflogen, um in seiner vergilbten Zahnprotese zu picken und sich ihren Teil zu holen“.

Die junge Familie bekommt mit Pazo Zuwachs und Quido einen Bruder, ein ganz normales Leben bahnt sich an. Da fahren in Prag russische Panzer auf, und der kleine Quido verzweifelt schier, weil die Kanarienvögel versehentlich entflogen sind. Vieles ändert sich. Der proletarisierte Großvater Josef findet ein weiteres Mal bestätigt, daß die „Freundchen aus Jalta“ aufgehängt gehören, Großvater Jirí hingegen wird immer stiller und zieht sich gebrochen zurück. Die junge Familie zieht nach Sázava um und überwinter auf einer Terrasse, da die versprochene Wohnung anderweitig vergeben wurde. Die Zustände werden unhaltbar, Quido erkrankt. Beinahe geraten die Eheleute in Streit, als die Frau ihrem Mann auffordert: „Tu etwas!“ - „Bist du aber schlau. Was denn?! Sag mir eine einzige Sache, die ich hätte tun können und die ich noch nicht getan habe.“ Und gereizt fügt der Vater hinzu: „Außer dem Eintritt in die Kommunistische Partei.“ Die Zeit der „Normalisierung“ ist angebrochen. Aus einer neuen, ungewohnten Perspektive gibt dieser Roman ein Stimmungsbild dieser traurigen Phase einer zwanzigjährigen Stagnation mit ihren Insignien allgemeiner Verfallserscheinungen. Zwar bekommt die Familie doch noch ein vernünftiges Zuhause und die Großmutter Líba gleich noch als immerwährenden Gast hinzu (man denke dabei an Bohumil Hrabals unsterblichen Onkel Pepín), doch der Vater ist nicht der Typ, der sich bei den Machthabern in Szene zu setzen weiß. Er verliert seinen Beruf und arbeitet als Nachtwächter. Ganze Tage lang zieht er sich in seine Werkstatt im Keller zurück. Auch der erwachsen werdende Quido wird zum Entsetzen der Mutter schließlich Nachtwächter, was ihn selbst nicht weiter stört, da er bereits am Verfassen von Geschichten arbeitet. Um die Familie vom Mehltau einer traurigen Niedergeschlagenheit zu befreien, drängt Quidos Mutter ihren Sohn, mit seiner jungen Frau ein Kind zu zeugen. Das Baby änderte jedoch nichts vor allem nicht im Leben von Quidos Vater. Im Gegensatz zur sowjetischen Perestrojka! Jedoch sind dem Leser absurde Sprünge im Leben dieser Familie mittlerweile vertraut. Und wieder andererseits sind die Übergänge zwischen Roman und Wirklichkeit fließend, ein ganz normaler Wahnsinn alltäglich.

Bereits 1993 lag Irene Bohlens Übersetzung Blendende Jahre für Hunde in der Berliner editiion q vor. Eine Ausgabe für Kenner. In Böhmen bescherte dieser Romanerstling seinem Autor landesweiten Ruhm. Für dieses Buch war er sicherlich verdient.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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