Eine Rezension von Volker Strebel


Wespe, verkorkt

Ladislav Novák: Verzwoffnung

Aus dem Tschechischen von Stefan Teichgräber.
Einmalige, numerierte und signierte Auflage in 150 Exemplaren.

Buchwerkstatt Thanhäuser, Ottensheim an der Donau 1997, 56 S.

 

Verzweiflung und Hoffnung, zwei ungleiche Brüder wie Schatten und Licht, gehen beim tschechischen Dichter Ladislav Novák eine merkwürdige Verbindung ein. Verzwoffnung weist keinen Weg fürs Leben, es sei denn, man geht ebenso aufs Ganze und ergibt sich den Gedichten dieses bemerkenswerten Bandes. Sechs „topologische Zeichnungen“ des Autors unterteilen das poetische Varieté. Das Spiel mit Formen verwundert nicht weiter, wenn man Ladislav Nováks visuelle Texte kennt - sie verraten den Graphiker. Doch der Formenreichtum dient bei den Gedichten keiner lediglich einseitigen Illustration, sondern vermag verblüffende Kapitel der Wahrnehmung aufzuschlagen. Die Textgruppe „Erotomagische Stellungen“ zum Beispiel versammelt in der Geste des gutgemeinten Ratschlags Einsichten - oder besser, im luziden Sinne, Durchsichten: „FLAMMENSTELLUNG // ** In absolut unbeweglicher Stellung fühle die / Bewegung deiner Haare. / ** Auf einer mäßigen Anhöhe an einem windigen Tag. / ** Das Verjagen schlechter Gedanken.“

Andere Gedichte besingen die mährische Heimat des Dichters. Ladislav Novák betont sein Leben und Arbeiten in Trebíc - „Viele glänzende Möglichkeiten habe ich vertan / aber die bei weitem beste von allen / ist diese Existenz hier wie inkognito / in Trebitsch in der Metropole Südmährens // irgendwo am Rande der Milchstraße“. Trebíc und Poesie - unwillkürlich muß man an den Dichter Jakub Deml denken, der unbeirrbar in diesem ländlichen Winkel sein riesiges dichterisches Werk vorangetrieben hatte. Neben der kleinen Anordnung von „Imperativen“ und „Schwarzen Bräuchen“ spricht die „Anleitung, wie man sich vor Bildern benehmen soll“ eine besonders betörende Sprache: „VOR DAS ,STILLEBEN‘ VON MORANDI // stell eine durchsichtige Flasche, in der eine lebendige / Wespe verkorkt ist.“ Aber auch der jähe Ausbruch ist möglich, der den Teilnehmer an zahlreichen internationalen surrealistischen Ausstellungen ausmacht: „VOR SEINEM SELBSTBILDNIS IM SPIEGEL // schneide dir mit der Rasierklinge in die Lippe.“

Ladislav Novák, geboren 1925 im böhmischen Turnov, verdiente seinen Lebensunterhalt als Lehrer. In seiner Vorliebe für experimentelle poetische und bildnerische Arbeit fungierte er als Mitarbeiter in verschiedenen Avantgarde-Zeitschriften. Auch als Übersetzer von afrikanischer und Eskimo-Dichtung in das Tschechische trat er hervor. Konrad Balder Schäuffelen hatte im Jahr 1970 zum ersten und letzten Mal ein kleines Büchlein mit Texten von Ladislav Novák ins Deutsche übertragen: Geschichte für bewegte Rezitation (Literarisches Colloquium Berlin). Um so erfreulicher ist es, daß mit Stefan Teichgräber ein jüngerer Übersetzer gewonnen werden konnte, der sich mit viel Verständnis der Verse von Ladislav Novák angenommen hat.

Die Verzwoffnung gibt es als einmalige, numerierte und signierte Auflage in lediglich 150Exemplaren. Ein weiteres Mal hat die Edition Thanhäuser sich eines Autor aus Mitteleuropa angenommen. Vom Tschechen Petr Borkovec in der Übersetzung durch Christa Rothmeier und vom Slowenen Drago Jancar liegen bereits Titel vor, ebenso vom ungarischen Dichter László Márton. Handsatz, Handpressendruck und japanische Fadenheftung kennzeichnen diese Liebhaberausgaben, die Holzschnitte wurden direkt von den Birnholzstöcken abgezogen.

Für Freunde der Buchkunst bietet die Edition Thanhäuser allemal wertvolle Fundstücke.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite