Eine Rezension von Henry Jonas


Zum Fressen gern

Slavenka Drakulic: Das Liebesopfer

Roman.
Aus dem Kroatischen von Astrid Philippsen.

Aufbau-Verlag, Berlin 1997, 228 S.

 

Wir alle haben sicher schon einmal einer lieben Person versichert, wir hätten sie zum Fressen gern. Aber wer hätte da wohl an eine Realisierung gedacht? Der Kroatin Slavenka Drakulic (50), durch Artikel, Romane und Sachbücher nahmhaft, ist es jedoch todernst damit. Sie läßt Tereza, eine junge Polin, und den Brasilianer José, beide Wissenschaftler, die ein Stipendium für drei Monate nach New York führt, aufeinanderstürzen.

Zwei Ausländer, verloren in einer wildfremden Gegend - das verbindet. Da eine gemeinsame Muttersprache fehlt, sprechen die Körper um so beredter. Übereilt, schicksalhaft schließen sich beide in einer verzehrenden, fast gewalttätigen Liebe, in der sich Küsse auf Bisse reimt, zusammen. Der Hunger aufeinander gebiert den Wunsch, sich gegenseitig mit sich selbst zu füttern und eins zu werden. „Wir ertranken ineinander, und der Abstand zwischen uns war völlig verschwunden.“ Bald meinen sie, nicht mehr ohne einander weiterleben zu können. Aber die Zeit verfliegt, und auf José warten in Sao Paulo Frau und Kind und auf Tereza in Warschau Vater, Verwandte und Freunde. Da beschließt Tereza, besessen von der unerträglichen Angst vor der Trennung und von dem Wunsch, mit José zu einem einzigen Wesen zu verschmelzen, den Mann zu töten und von seinem Leib zu essen, damit er in ihr weiterlebe. Anschließend zerstückelt sie die Leiche, verteilt die Reste auf verschiedene Mülldeponien, beseitigt in der Wohnung alle Spuren und steigt ins Flugzeug nach Warschau. „Ich fühlte mich gesegnet. In mir erwachte neues Leben.“

Das Alltägliche, Gewöhnliche (also eine Trennung unter Schmerzen) wirkt in der Kunst meist banal. Kunst bedarf der Zuspitzung, und eine Tragödie ist bekanntlich erst dann folgerichtig zu Ende geführt, wenn sie die schlimmstmögliche Wendung genommen hat. Selbstzerstörerischer Verzicht aufeinander wäre denkbar gewesen, oder Suizid oder gemeinsamer Liebestod. Aber Mord und Kannibalismus? Sicher nur als Brandmarkung des Abartigen, Absurden, Perversen. Aber Slavenka Drakulic sucht die Handlungsweise ihrer Heldin zu rechtfertigen. „Die Liebe gibt einem Menschen die absolute Macht über ein anderes Wesen. Ich habe das nur bis zum Ende ausgenutzt“, läßt sie Teresa sagen. Das aber ist kaum möglich, denn die ist grausam, widerlich und höchst kriminell, und die Liebe, die sie rechtfertigen soll, ist schon tot. (José vegetiert bereits lethargisch im Suff, Tereza lebt nur noch ihrem obsessiven Wunsch, den anderen ganz zu besitzen.)

Da ist die langfristige Tatvorbereitung, der Erwerb von Fleischermessern und Knochensäge („Als ich das Geschäft verließ, pfiff ich vor mich hin, als hätte man mir ein schönes Spielzeug geschenkt.“), da ist der gierige Verzehr des rohen Leichenfleisches (mit dem Bedauern, daß in Kochbüchern nichts über die Zubereitung von Menschenfleisch zu finden ist), und da ist die brutale Ausweidung der Leiche (frohen Mutes, beinahe stolz). Und neben der Schlächterei der tröstliche Kirchenbesuch, tiefer Schlaf, erquickender Kaffeeduft und appetitliches Frühstück! Da hilft auch alle religiöse Verbrämung nichts (Tereza bemüht den Vergleich mit der Hostie und dem Christus-Wort „Esset, das ist mein Leib“), Ekel, Abscheu und Widerwillen gegen die detailreichen Schilderungen vergällen jeden ästhetischen Genuß an der Sprache und Ausdrucksfähigkeit der Autorin, die ihrer Heldin keinerlei moralische Skrupel oder Zweifel gönnt, sondern sie befreit und unbelastet aus dem Gemetzel hervorgehen läßt. Als letztes Stück von José hat sie den Kopf im Kühlschrank aufbewahrt. Auf dem Flugplatz setzt sie ihn abschiednehmend auf einen Klodeckel, ehe sie ihn in einem Abfalleimer verschwinden läßt und ins Flugzeug nach Warschau steigt. „Mir ist warm und behaglich zumute“, packt sie sich dort in den Sessel. „Gut geht es mir nun ... Zum ersten Mal seit einem Monat bin ich irgendwie zufrieden und im Einklang mit mir selbst.“ Ethisch zu rechtfertigen ist das nicht, an Kleist und Penthesilea darf man nicht denken.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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