Eine Rezension von Michael Herms


Ein hoher Preis für ein kämpferisches Leben

Herbert Crüger: Ein alter Mann erzählt
Lebensbericht eines Kommunisten.

GNN-Verlag, Schkeuditz 1998, 461 S.

 

Ein alter Mann hat viel zu erzählen, zumal in Annäherung an seinen 90. Geburtstag. Für Herbert Crüger, 1911 in Rixdorf, dem Kern des heutigen Berliner Stadtbezirks Neukölln, als dritter Sohn in „bescheidene Verhältnisse“ hineingeboren, wurden diese mit dem frühen Tod des Vaters und dem einsetzenden Ersten Weltkrieg noch „bescheidener“. So nimmt es kaum Wunder, daß sich seine Kindheitserinnerungen nicht nur mit Kohl, sondern eben auch mit „Kohldampfschieben“ verbinden. Dennoch gab es an der Ringbahn auch Kinderglück: an den Bahnanlagen, inmitten von „Kohlenklauern“, im Buddelkasten, bei sommerlichen Ausflügen ins ländliche Leben Prignitzer Verwandtschaft oder beim Stummfilm im Kino. Wenn dort der Strom ausfiel, riefen die Rixdorfer Jöhren „Det Jas is weg“, weil die Elektrizität im heimischen Haushalt noch unbekannt war. So etwas weiß heute nur noch ein alter Mann ...

Daß Crügers weitere Entwicklung sich vom Durchschnitt Gleichaltriger stark unterscheiden würde, war ihm nicht in die Wiege gelegt. Eine erste Weichenstellung erfolgte 1920. Nicht vielen Neuköllner Arbeiterkindern stand damals die schwere Pforte einer Oberrealschule offen. Crüger durchschritt sie und lernte das Innenleben mit den Erblasten preußischer Erziehungsideale und zaghaften Ansätzen sozialdemokratischer Reformpädagogik kennen. In der Freizeit gab es Angebote kirchlicher Jugendarbeit; mehr Spaß jedoch bei den Pfadfindern, einer Abspaltung der Wandervogelbewegung, die schon früh das „Trampen“ per Autostop einführten. Crügers Fernweh kamen ab 1927 ein paar Monate als Schiffsjunge auf Kleinfrachtern entgegen. Allein, die seemännische „Karriere“ fiel der weltweiten Rezession zum Opfer. In dem damit verbundenen politischen „Wirrwarr“ trat Crüger 1930 der sich in Berlin gerade erst formierenden „Hitler-Jugend“ bei. Einer Faszination ob der Kombination des „Nationalen“ mit dem „Sozialismus“ folgte Skepsis; der organisatorischen Spaltung die Gründung einer „Revolutionären Arbeiter- und Bauernjugend“ unter dem Einfluß des Hitler-Konkurrenten Otto Strasser. Die Schar blieb zahlenmäßig überschaubar, der zu begehende Weg nicht. Da die jungen „Nationalkommunisten“ Hammer, Sichel und das Schwert als Insignien gewählt hatten, ließ eine „bündnispolitische“ Fühlungnahme des kommunistischen Jugendverbands nicht lange auf sich warten. Bald trennten sich die Wege der „RABJ“-Mitglieder; einige gingen zur gestärkten HJ, andere fanden zum KJVD. Herbert Crüger hieß man, das offene Schwert nunmehr verdeckt zu führen - er wurde Mitarbeiter im militärischen Apparat des RFB. Nach der Machtübernahme der Nazis setzte die KPD auf die „Taktik des trojanischen Pferdes“. Crüger bekam den Auftrag, alte Verbindungen zu HJ-Führern zu reaktivieren. Seiner Verhaftung (August 1934) folgte die Einzelhaft in verschiedenen Gefängnissen und der Gang in die tschechische Emigration (Ende 1935). Bald stand die Frage, das republikanische Spanien auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen. Crüger tat dies als Mitarbeiter des spanischen Informationsdienstes, einem regierungsamtlichen Geheimdienst. Nach der bitteren Niederlage der Republik und der drohenden Besetzung der CSR gelangte Crüger ins Schweizer Exil. Unterbrochen von mehreren Internierungen, war er aktives Mitglied der kommunistischen Emigration (u. a. in der Bewegung „Freies Deutschland“) und lernte die Schauspielerin Mathilde Danneger kennen. Mehr als eine kleine „Emigrantennotgemeinschaft“, überstand diese Beziehung manch spätere Härten, an die nach dem Sieg über den Faschismus kaum zu denken war. Den beabsichtigten Weg nach Berlin beeinflußte wiederum die KPD. Sie setzte den Remigranten im Wiesbadener Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt ein. Das Ressort Jugendpflege-Jugendwohlfahrt füllte den frischgebackenen Ministerialreferenten voll aus, doch kaum war er eingearbeitet, entschied die Partei, er solle das mittlerweile CDU-geführte Ministerium verlassen und Parteiarbeit machen. Im Sommer 1949 delegierte ihn der Parteivorstand als Vizechef in den Landesvorstand des zur französischen Zone gehörenden Südwürttembergs. Für zwei Jahre lag Crügers politisches Betätigungsfeld in diesem Landstrich mit seinen eher gemütlichen Menschen. Doch nicht nur die Schwaben wunderten sich, als plötzlich, in Gestalt einer per Kurier übermittelten Weisung, „Stalin am Neckar“ Einzug halten wollte. (So lautet eine Kapitelüberschrift in Crügers 1990 im LinksDruck Verlag erschienen Buch Verschwiegene Zeiten, von dem noch die Rede sein wird.) Die Stalinisierung von SED und KPD verband sich mit großangelegten „Säuberungen“, zu deren ersten Opfern die Westemigranten zählten. Viele KPD-Funktionäre wurden vom ZK der SED nach Berlin beordert und auf das Gebiet der DDR verteilt. Crüger konnte im Berliner Umland als Wissenschaftler unterkommen; die Dannegger spielte bei Brecht/Weigel am BE und wechselte später zum Deutschen Theater. Ein Wochenendgrundstück und ein Segelboot waren bald angeschafft, und so schien einem glücklichen Leben nichts mehr im Wege zu stehen. Doch es kam anders. Zwar solidarisierte sich Crüger am 17. Juni 1953 mit seiner Partei, doch kamen ihm erste Zweifel an der Pacht der ewigen Wahrheit durch deren Führung. Dem Schock über die Enthüllungen Stalinscher Verbrechen durch den XX.Parteitag der KPdSU folgten wenige Wochen relativ freier und selbstkritischer Diskussion und der Überprüfung von Standpunkten. Hardliner im Politbüro nutzten die „Ungarn-Ereignisse“ zur politischen Abrechnung mit „Zurück- und Abweichlern“ auf allen Ebenen. In Schauprozessen, wie gegen Harich u. a. praktiziert, sollten sich gestandene Kommunisten „schuldig“ im Sinne konstruierter Anklagen erklären, so auch der „Westemigrant“ Crüger, unterdessen Dozent an der philosophischen Fakultät der Humboldt-Uni. Die „Konstrukteure“ kamen vom MfS, dessen Vernehmungspraktiken Crüger im „U-Boot“ in Hohenschönhausen und nach einer Prozeßfarce vor dem Potsdamer Bezirksgericht für drei Jahre in Bautzen II kennenlernte. Die spät zugelassene Lektüre von Marx/Engels-Frühschriften, das Auswendiglernen von Brechts „Hundert Gedichten“, die ungebrochene Haltung seiner Frau und Formen „stiller Solidarität“ von Genossen und Freunden bewahrten den Mann in Einzelhaft vor der psychischen Vernichtung. Die erhalten gebliebene Menschenwürde bewahrte ihn vor blindem Haß, doch hoffte er auf „Gerechtigkeit“ von Seiten der Parteiführung. Unter der Hand, so ZPKK-Chef Hermann Matern u. a., könne der unschuldig Bestrafte ja rehabilitiert werden, aber öffentlich sei das aufgrund einer befürchteten Sogwirkung nicht möglich. So wartete Crüger bis zum Jahr 1990. Erst dann bescheinigte ihm die SED-PDS seine „Parteiunschuld“, und ein Gericht kassierte das Unrechtsurteil.

Das ist für Crüger wohl das positivste Ergebnis im Rahmen der „Wende“. Von den meisten anderen befürchtet er, sie könnten zu ähnlichen Verhältnissen führen wie jenen, gegen die er als Jugendlicher zu kämpfen antrat und wofür er einen hohen Preis zahlte.

Crügers Lebensbericht ist subjektiv gehalten. Die sachliche Substanz seiner Vita findet sich in dem bereits erwähnten Buch Verschwiegene Zeiten. Wer aber wissen will, warum der Berichtende an welchen Schnittstellen seines bewegten Lebens sich so und nicht anders entschied, wer mehr über seine Zweifel und über Hintergründe seiner Hoffnungen erfahren möchte, sollte dieses Buch lesen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite