Eine Rezension von Helmut Hirsch


„Ein Maler läßt sehen, was er hört“

Bornstedter Dialoge Kunst ist Sprache.

Nicolai/Siegward Sprotte Stiftung Potsdam, Berlin 1997, 107 S.

 

„Ich habe angefangen zu malen mit zehn Jahren und male bis heute. Ist ihm denn nichts Besseres eingefallen als über 70 Jahre zu malen, könnte man fragen?“ Selbstsicher und ironisch nimmt der 1913 in Potsdam geborene Maler Siegward Sprotte seine Gewißheiten in eine Frage. Im Umgang mit Fragern ist er geübt. Denn seit Jahrzehnten führt er in Kampen auf der Insel Sylt Gespräche im Atelier. Nicht nur um die Kunst des Malers geht es in solchen Dialogen. Früh schon hat er sich meditativer Welterfahrung anvertraut. Sein rück- und vorwärtsblickender Text Kunst ist Sprache, eröffnet diesen Band.

Der Aquarellist Sprotte sieht das Ur-Erlebnis seiner Arbeit noch ganz deutlich vor sich: Es war 1916, das Kind spiegelte sich im Wasser einer Gartentonne in Bornstedt, wenige Schritte hinter der Orangerie von Sanssouci. Wer in solcher Umgebung aufwächst, gräbt sich als Gärtner in die Beete des Parks, oder er wird Maler. Der kleine Narziß war so begeistert von seinem Spiegelbild, daß er in die Wassertonne fiel. Überliefert ist der Satz: „So dunkel da unten!“ Aus heutiger Sicht kommentiert Sprotte diesen Satz so: „Das heißt doch wohl, daß ich mit offenen Augen hineingefallen war.“

Auch wenn er sieben Jahre danach nichts mit Bildern zu tun haben will, in der Schule beginnt, was nicht wieder aufhört. In den siebziger Jahren läßt er seine Sylter Ateliergespräche drucken, in einem steht der markante Satz: „Ein Maler läßt sehen, was er hört.“ Was wie ein Paradox klingt, ist allzeit Methode bei Siegward Sprotte. Begonnen hat alles in der Landschaft um Potsdam, wo ihn „das nahtlose Übergehen aus dem Privaten ins Öffentliche, aus Privatgärten in öffentliche Anlagen“ geprägt hat. Vielleicht eine zu schöne Voraussetzung für einen Maler. In seinen Aquarellen dominiert dennoch ein einfacher, karger Gestus; zum Wechsel von Kalligraphie und Farbigkeit kommt noch der manchmal etwas angestrengte Versuch hinzu, Lauschen und Schauen, Sehen und Hören mit ins Metier aufzunehmen. Aber da sind heikle Grate, unerklärbare Überschneidungen und Parallelitäten im Spiele. Sprotte ist ein Sprach-Maler, ja sogar einer, der darauf achtet, „wie jemand guckt, wie jemand blickt, was er für Augen macht, wenn er spricht. Die sehende Gestaltung ist mir nicht weniger wichtig als die Lautgestaltung beim Sprechen.“

Das Verhältnis von Sehen und Sagen nimmt Sprotte in seine Malerei auf. Dem Betrachter wird das nicht unmittelbar deutlich. Also versucht es der Maler mittels Sprache und Gespräch. Freilich ist es eine alte Erfahrung und eine Forderung: Der Künstler sollte bilden, nicht reden. Denn am Ende bleibt es doch Gespräch und wird kein Bild, das all diese Gesprächserfahrungen aufzunehmen vermag. Hinzu kommt, daß Siegward Sprotte sich eines mitunter raunend-exegetischen Sprechens bedient. Was ist eine „gesichtige Balance“? Ist es ein Zauber-, oder ist es ein feingesponnener Irrgarten: „Engagierst Du Dich simultan, siehst Du in das Sehen beim Sagen. Das simultane Zugleich von Sehen und Sehenlassen ist das Sagende im Sagen. Verfällst Du keinem Blickewerfen, verfällst Du keinem Wortemachen. Sehen und Sagen begaben einander.“

Es ist schwer, vielleicht sogar unmöglich, aus solchen geheideggerten Sätzen wieder herauszufinden. Sprotte spricht gern von „Parallelschaltung von Wort und Bild“, sein Wortspiel liest sich gut, verstehen läßt es sich wohl nur von Eingeweihten: „Ereignen und Eräugnen werden zeitlich nicht getrennt. Das Eräugnis ist das Ereignis.“ So kann man aber auch sprechen gegen den Wind, beim winterlichen Streifzug durch den Sizilianischen Garten in Sanssouci, die Lippen voller Raureif, die Stimmbänder dunkel und unkend.

Damit sich überhaupt Verständnis ereignet (oder eräugnet!), hat der sprachspielende Maler Siegward Sprotte seine Kampener Ateliergespräche ins Leben gerufen. So hat sich ein Kreis gebildet, der ein Eräugnis auch interpretiert, an der Klärung von Ur-Fragen teilnimmt, denn daß eine Frage wie „Was heißt sehen?“ immer wieder gestellt werden muß, leuchtet auch einem Blinden ein.

Es ist eine gute Tat gewesen, als Siegward Sprotte 1992 die „Siegward Sprotte Stiftung“ in Potsdam-Bornstedt gründete. Ziel dieser Stiftung ist die „Erforschung der Simultanität von Bilden und Sprechen, der Aufrechterhaltung der Balance von Bilden und Sprechen“. Im November 1996 wurden zum erstenmal die „Bornstedter Dialoge“ veranstaltet. Dieses Buch gibt einen Eindruck von den vielseitigen Versuchen zu den angekündigten Themen. Adolf Anselm Schurr zum Beispiel deutet das Werk Sprottes aus philosophischer Sicht. Sein Vokabular fliegt wie Flocken unter Wasser. Einem Maler und seinem Werk ist mit solchen Sprachblasen nicht beizukommen. Da wird die Tätigkeit des Malers „begriffen als immer schon eingelassen in einen interpersonalen Nexus“, mit einer „implikativen Rückverweisung auf die freie Selbst bestimmbarkeit“ aber hübschester Nonsens abgelassen. Erst wenn Sprotte wieder zitiert wird, lichtet sich der Nebel: „Ein jeder von uns erlebt in seinem Leben bei bedeutenden Begegnungen mit Menschen das gegenstandslose Sehen Auge in Auge: so entsteht Liebe, Freundschaft und Gespräch.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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