Eine Rezension von Friedrich Schimmel


„Keine Rücksicht nehmen, in keiner Hinsicht“

Max Aub: Jusep Torres Campalans

Aus dem Spanischen von Eugen Helmlé und Albrecht Buschmann.
Mit einem Nachwort und einer biographischen Notiz von Mercedes Figueras.

Gatza bei Eichborn, Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1997, 440 S.

 

Dieses Buch ist spannend erzählte Kunstgeschichte. Weder historischer Roman noch Künstlerbiographie im engeren Sinne, wird hier Kunstgeschichte aus dem Leben des 1886 in Katalanien geborenen Jusep Torres Campalans lebendig inszeniert. Jusep, fünftes Kind von sechzehn eines armen Bauernpaares, das in einer Schnapsfabrik arbeitet, wird Schreiber in einer Anwaltskanzlei, wo er als besonders guter Schriftkünstler auffällt. Dann macht er in Barcelona die folgenreiche Bekanntschaft mit dem jungen Pablo Ruiz, der sich später Picasso nennen wird. Picasso weiht ihn nicht nur in die Bordelle ein, er vermittelt ihm, neben Gris und Braque, auch die Elementarschule der modernen Malerei. Jusep wird ein anarchistischer Maler, erfindet den Kubismus, schließt sich später dem konstruktivistischen Niederländer Mondrian an.

Er will alles verändern, in seinem „Grünen Heft“, das der Biographie beigefügt worden ist, verkündet er einmal: „Mit Dynamit malen, die Leinwand explodieren lassen.“ Doch es kracht und splittert auch im Leben des wilden Mannes und Malers einiges. Seine deutsche Geliebte umreißt das Schicksal eines offensichtlich doch nur mittelmäßigen Malers abschätzig: „Du hast nichts zu sagen, deshalb bringst du auch nie etwas Großes zustande.“

Jusep streitet wild mit Kollegen, die von Kunsthändlern entdeckt werden wollen, und - bestürzt und niedergeschmettert vom Verfall anarchistischer und sozialistischer Ideale am Beginn des Ersten Weltkrieges - flieht schließlich nach Mexiko. Hier spürt ihn 40 Jahre später sein Biograph, der Schriftsteller Max Aub (1903-1972) auf, verwickelt ihn in Gespräche, entdeckt das Werk des unbekannten Malers neu und schreibt diese Biographie. Die flimmernde Geschichte dieses abenteuerlichen Lebens erregte großes Aufsehen, als Jusep Torres Campalans 1958 in Mexiko erschien. Im Originalbuch wie auch in dieser schönen Ausgabe wurden zahlreiche Zeichnungen und farbige Bilder abgedruckt, die auf den ersten Blick das Werk eines bislang unbekannten Kubisten sein mußten. Gleichzeitig zur Buchveröffentlichung wurde auch eine Ausstellung mit Bildern von Jusep Torres Campa-lans in einer Galerie in Mexiko-Stadt eröffnet. Die Begeisterung war groß. Eine erstaun-liche Entdeckung, die rasch hohes Lob einheimste. Die Dichter Octavio Paz und Carlos Fuentes äußerten sich begeistert, letzterer beschrieb sogar eine Begegnung mit dem Verschollenen, der Maler Siqueiros rühmte sich der Bekanntschaft mit „Jusep“. Und Pablo Picasso, der in dieser Biographie mehrfach als wortkarger und anhaltend lächelnder Zuhörer auftritt, ließ sich nichts anmerken. Denn an allem stimmte etwas nicht. Alles pure Erfindung von Max Aub, der einen raffinierten literarischen Coup inszeniert hatte, der nicht nur Kenner getäuscht und verblüfft hatte, sondern auch Selbsttäuschungen erzeugte.

Die Biographie eines vergessenen Weggefährten von Picasso ist erfunden und doch wahr. Denn wahr ist, daß Max Aub alle im Buch erwähnten Maler gekannt hat, daß er selber gemalt hat, sich intensiv mit dem Kubismus und mit der Moderne auseinandergesetzt hatte. Nicht Jusep wurde in die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts eingeschmuggelt, Max Aub war es, der für einige Zeit diesen Platz besetzt hielt. Ein fulminantes Schelmenstück war gelungen, und dieses Vergnügen empfindet auch noch heute der Leser, wissend, daß alles doch nur ein großer Spaß war. Aber es ist auch purer Ernst im Spiel. Schon das Vorwort von Aub verrät, worum es ihm ging: „Heutzutage werden genauso viele Lebensbeschreibungen von Farbklecksern gelesen wie zur Zeit von Cervantes Ritterromane, weil die Leute dem Ruhm vertrauen, den die hohen Notierungen an der Pariser und New Yorker Börse verheißen, die doch nur von den Agenten jener ,Kunstfiguren‘ geschickt manipuliert werden.“

Wer dieses Buch mit Interesse liest, spürt selbst, daß hier der moderne Kunstbetrieb, der schon zu Beginn des Jahrhunderts mit seinen Auswüchsen zu wuchern begonnen hatte, persifliert wird. Die Gier nach Erfolg, die Betonung der eigenen Wichtigkeit, es strotzt geradezu von allem in diesem Buch. Jusep, der Held, legt in Paris schnell seinen Geschmack fest. Anfangs ist das wie ein Artisten-Galopp durch die Kunstgeschichte von Mantegna bis zu Courbet. Danach wird kopiert. „Ein Maler“, sagt Jusep von sich, „erschafft sich immer selber“, und fügt noch hinzu, ein Dichter ebenso. In der Tat, hier stimmt jedes Wort. Denn der sehr artistisch begabte Max Aub schaffte beides. Er erfand, mit Unterstützung selbstgemalter Bilder, Leben und Werk des Jusep Torres Campalans. Und er ging in seinem umfangreichen erzählerischen Werk sogar noch einen Schritt weiter. Der Scherz mit der eigenen Person war es ihm wert und lieb, daß er auch eine „Übersetzte Anthologie“ mit Texten von den alten Ägyptern bis zur Gegenwart und die Biographie eines imaginären Schriftstellers samt dessen Werken herausgab, die - man lese es mit Genuß - allesamt seiner Phantasie entsprungen sind.

Kunst und Kunstbetrieb werden in dieser fiktiven Biographie heftig aufs Korn genommen. Den Figuren des Buches macht es Spaß, Händler und Sammler arg zu täuschen. Anzulocken durch Kopien, zumeist nur durch Kopien von Kopien. Und über Picasso, der nicht täuschte, heißt es: „Er erfindet, damit du kopieren kannst. Wohlgemerkt, neunzig Prozent aller Maler haben nie etwas anderes getan. Davon kann man leben, es ist einträglich.“

„Das Grüne Heft“, der Biographie unmittelbar folgend, enthält kurze Notizen, Maximen, auch Aphorismen, die ganz der Kunst, ihren Vorzügen, ihren Fragwürdigkeiten, ihren Prozessen gewidmet sind. Eröffnet wird diese Sammlung, natürlich von Jusep geschrieben, mit dem sarkastisch eindeutigen Motto: „Keine Rücksicht nehmen, in keiner Hinsicht.“

Wer das schöne, kenntnisreich geschriebene Nachwort von Mercedes Figueras „Wie kann es Wahrheit ohne Lüge geben?“ erst zuletzt liest, hat sich die seltsam-monströse Spannung lange aufgehoben. Was mancher schon ahnte, wird nun noch durch verschiedene Zitate aus Gesprächen mit Max Aub manifestiert. Das Spiel von Erfindung und Authentizität, von Wahrheit und Lüge, wird anschaulich durch Verstellung durchgespielt. Es bleibt, auch mit dem hier erwähnten Umberto Eco dabei: „Die gängige Vorstellung von ,Fälschung‘ setzt ein ,echtes‘ Original voraus, mit dem man die Fälschung vergleichen müßte.“ Bezogen auf diese Biographie und auf das „Grüne Heft“ heißt das, die Figur Campalans ist echt, zumindest aber eine „perfekte Fälschung“.

Max Aub mochte seinen Helden Jusep Torres Campalans. In einem Gespräch 1963 erklärte er: „Durch die Welt ist ein derartiger Ruck gegangen, sie hat sich so verändert, daß die Probleme, die uns früher so leidenschaftlich interessierten, jetzt tote Buchstaben sind; es bleibt Don Jusepe, ich grüße ihn in Freundschaft.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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