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... Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns

(Franz Kafka)

Im Gespräch mit Manfred Hübner, Buchhandlung „Ansichtssache“

 

Herr Hübner, nach der Wende im Prenzlauer Berg, im sogenannten berüchtigten Szene-Kiez am Kollwitzplatz, eine Buchhandlung aufzumachen, schien ja kein Abenteuer zu sein, sondern eine sichere Bank.

Also ein Abenteuer war es wohl von Anfang an. Es war ein interessanter Kiez; hier hatten viele Leute etwas bewegt, um die DDR zu demokratisieren und auch etwas bunter zu machen. Es war ein großes und sehr kritisches intellektuelles Potential, welches sich in allen möglichen Kultur- und Kunstaktionen manifestierte. Da haben wir uns gesagt, hier kann eine kleine Buchhandlung Kunden finden, hier haben wir eine Chance mit einem individuellen Programm.

Gut, aber wie kommt ein promovierter Kulturwissenschaftler dazu, sich auf so ein für ihn relativ unbekanntes Terrain zu wagen, denn Sie sind ja nicht Buchhändler von Beruf.

Nein, und ich muß ganz offen und ehrlich sagen, es war auch zu keiner Zeit mein Traumjob. Das kommt mir heute ein bißchen zugute, weil es immer ein wenig schwierig ist, wenn man ein Hobby zum Beruf macht ... Wir haben - wie viele akademische Kollegen aus dem Osten - eher aus der Not eine Tugend gemacht. Das führt noch heute dazu, daß sich sehr viele Kollegen, vor allem Verlagsvertreter aus den alten Bundesländern und aus Westberlin, über die auffallend große Anzahl von Akademikern im ostdeutschen Buchhandel wundern. Das liegt wohl daran, daß man an den Universitäten für uns aus den unterschiedlichsten Gründen keinen Bedarf mehr hatte. Ich hatte einen zeitlich begrenzten Vertrag an der Humboldt-Universität, und als er abgelaufen war, war ich eben draußen.

Prägen Studium und berufliche Erfahrung das Sortiment der Buchhandlung, die man einrichtet?

Auf jeden Fall prägen berufliche Erfahrungen, Werte und Verhaltensmuster, die man nun einmal mitbringt, das Sortiment, aber auch die Mentalität des Buchhändlers. Das Sortiment natürlich dahingehend, daß man zuerst logischerweise versucht, historische, politisch-kritische und wissenschaftliche Themen ein bißchen mehr zu favorisieren. Die andere Seite ist eigentlich mehr das mentale Verhalten des Buchhändlers. Er muß ja plötzlich ein Kaufmann werden und begreifen, daß er in allererster Linie eine Ware verkauft und daß das, was er selber interessant, gut und lesenswert findet, nicht unbedingt die Zustimmung seiner Kunden finden muß. Da tun wir Seiteneinsteiger aus dem Osten, die es eigentlich gewohnt sind, ganz anders zu denken, uns oft ein bißchen schwer.

Wir haben eben keine traditionelle „Verkäufer-Mentalität“ ausprägen können ... So kommt es eben immer wieder vor, daß der Buchhändler, nach seiner Meinung gefragt zu einem Buch, zwar nicht absolut abrät, aber immerhin empfiehlt, die 49,80 DM besser anzulegen.

Bis zur Wende waren es die sogenannten Alternativen, die Intellektuellen und andere gegen den Strich Denkende und Handelnde, die als Bewohner des Käthe-Kollwitzplatzes, der Husemannstraße, der ganzen Gegend hier ihren Stempel aufdrückten. Inzwischen soll der Prenzlauer Berg, wie man hört, zur Hälfte neue Bewohner besitzen, teils durch Zuzüge aus den, wie es so schön heißt, alten Bundesländern, aber sicherlich auch durch Zuzüge aus anderen Ecken. Wie hat sich denn das auf das Interesse an Literatur und Kunst ausgewirkt, und wie spürt das hier der Buchhändler?

Ja, das sind gleich sehr viele Fragen auf einmal. Auf jeden Fall haben sich nicht nur die ganz normale Sozialstruktur im Kiez, sondern auch die alte Prenzlauer-Berg-Szene kräftig verändert. Nicht wenige haben sich in ihren Berufen etabliert, sind in die Politik gegangen oder haben eine Kneipe aufgemacht. Andere haben es nicht geschafft oder sind einfach weggezogen. Die Gruppen und Beziehungen haben sich also mehrfach umgeschichtet. Wir merken das vorrangig bei den Autoren, die hier aus dem Kiez stammen und zum Teil noch hier wohnen. Wir versuchen zwar, soweit das möglich ist, ihre Werke im Sortiment zu repräsentieren, aber das wirtschaftliche Ergebnis ist für einen Buchhändler im Prenzlauer Berg eher bescheiden. Man schenkt sich die Bücher oft gegenseitig abends in der Kneipe, und so ist der „Marktwert“ der Autoren aus dem berühmten Prenzlauer Berg oft in Stuttgart oder München höher als hier im eigenen Kiez. Ansonsten merken wir natürlich, daß der soziale Verdrängungs- und Entmischungsprozeß in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Fakt ist - bei aller Kompliziertheit dieses Prozesses -, daß eine sehr starke Umschichtung stattgefunden hat und stattfindet und daß die materiellen Hintergründe ganz entscheidend sind. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn junge Menschen, Anfang 20, annoncieren, daß sie eine moderne Wohnung suchen mit allem Drum und Dran, mit moderner Heizung, Badezimmer, abgezogenem Dielenfußboden und dafür bereit sind, locker 13 DM und mehr pro Quadratmeter zu zahlen, dann ist das schon eine Größenordnung, bei der viele Ostdeutsche, selbst die, die noch Arbeit haben, nicht mehr mithalten können oder nicht mehr mithalten wollen. Viele wollen eben nicht nur für die Miete leben und arbeiten. Es ist auch unverkennbar, daß es sehr viele junge Menschen aus den alten Bundesländern auf den größten „Abenteuerspielplatz Europas“ zieht, deren Hauptbeschäftigung darin besteht, sich „auszuprobieren“ und dabei das Geld ihrer Eltern auszugeben.

Was dem Buchhändler aber nichts ausmacht?

Wie die „jungen Erben“ sich auf auswärtigem Terrain ausleben, sollte eigentlich mehr den Sozialwissenschaftler in mir interessieren oder vielleicht noch den betroffenen Anwohner. Diese zwei Seelen in meiner Brust bekämpfen sich schon tagtäglich, eigentlich sind es wohl drei Seelen. Der Anwohner (wir wohnen ja auch im Kiez), der das alles natürlich mit großem Mißtrauen beobachtet, was hier vonstatten geht, weil er sich durchaus auch bedrängt und verdrängt fühlt. Da ist der Kulturwissenschaftler, der natürlich immer dazu neigt, diese sozialen Vorgänge zu analysieren und zu bewerten, und da ist schließlich der Buchhändler, dem das alles eigentlich egal sein sollte, der sich so schnell wie möglich auf seine neuen Kunden umstellen müßte. Dabei treten aber die ersten deutlichen Kommunikationsschwierigkeiten der ostdeutsch sozialisierten Buchhändler mit ihren westdeutsch sozialisierten Neukunden auf. Anfänglich war das für beide Seiten eine spannende Sache. Wir sind sehr daran gewöhnt gewesen, kritische Leser, kritische Kunden zu haben, die sich relativ wenig für Bestseller-Listen interessierten. Unsere Stammkundschaft aus den ersten Jahren setzte sich etwa gleichmäßig aus Ostlern und Westlern zusammen, die nach eigenen Vorstellungen gesucht, gekauft und gelesen haben. Zog es anfänglich die kritischen, unangepaßten Geister in den Kiez, die gerade das Unfertige, Unorthodoxe, Alternative und sozial Vielschichtige zu schätzen wußten, so sind es jetzt zunehmend „Muttis Lieblinge“, die sich vor Begeisterung über den morbiden Charme des Verfalls gar nicht lassen können. Klaus Schlesinger hat es unlängst in seinem Buch beschrieben: Wenn ein Mitzwanziger am Kollwitzplatz aus seinem Achtzigtausend-Mark-Cabriolet steigt und mit besitzergreifender Geste mitteilt, daß er es hier schön findet ..., nun ja, dann wissen wir „Eingeborenen“ mitlerweile, welche Stunde uns geschlagen hat. Viele mag dieser Frust vielleicht abstoßen, aber ich stehe dazu. Sowenig, wie man den Kakao, durch den man gezogen wird, noch saufen muß, sowenig muß man diese bornierten Neureichen eine Elite nennen! Aber zum Thema: Der selbstbewußte Käufer, der seine eigenen Wertvorstellungen hat, der weiß, was er lesen und kaufen will, und daher den Bestseller-Verheißungen der Werbung, der Literatur-Päpste und der Kaufhaus-Ketten eher ablehnend gegenübersteht, scheint allerdings auch im Prenzlauer Berg auszusterben. Mit ihm sterben wohl dann auch die kleinen Anbieter, die Tante-Emma-Läden, die kleinen Buchhandlungen, die Antiquariate ...

Wie lassen sich denn gegenwärtig Ihre Käufer von solchen Bestseller-Listen stimulieren? Sind sie davon unbeeinflußt, behaupten sie ihre eigenen Interessen, oder wie ist das heute?

Im Augenblick spüren wir einen Übergang, ich bin mir selber noch nicht so sicher, wohin das endgültig gehen wird. Welche Gruppen sich hier durchsetzen werden und vor allem, welche Gruppen unsere Kunden bleiben oder werden. Es ist immer noch sehr vielschichtig, aber es gibt einen Trend, der in die geschilderte Richtung zielt, und da kommt natürlich eine größere Dimension ins Spiel. Berlin wird gegenwärtig, im wahrsten Sinne des Wortes, „aufgemischt“ von großen Anbietern, jetzt auch auf dem Buchmarkt. In anderen Bereichen vollzieht sich das schon seit längerer Zeit. Große Ketten kommen nach Berlin, Kaufhäuser, Einkaufscenter und Arkaden entstehen en masse und bieten eine (scheinbare) Warenvielfalt mit dem entsprechenden kommunikativen Spektakel, alles wunderbar geeignet, auch den Buchkunden auf die großen Stapel der Sonderangebote zu lenken. Die Verkaufsfläche pro Einwohner hat in Berlin deutlich zugenommen und wird wohl noch weiter zunehmen. Nur die Kaufkraft der Berliner konnte mal wieder nicht mithalten. Diese Kaufkraft müssen sich aber immer mehr Anbieter teilen. Bei diesen Verteilungskämpfen wird mit harten Bandagen gekämpft. Viele Serviceangebote zielen wohl, so glaube ich, weniger auf den Kunden, als vielmehr auf die Masse der kleinen „Mitbewerber“, die irgendwann nicht mehr mithalten können. Hinzu kommen noch die virtuellen Märkte im Internet. Da verkündete kürzlich einer der ganz Großen, daß er allein im Internet schon im ersten Jahr mit Millionenumsätzen rechnet, selbstverständlich wolle er dabei keinem Konkurrenten etwas „abziehen“. Im Buchhandel sind eben nur „Gutmenschen“ tätig. In der Praxis wird dies dann wohl nur funktionieren, wenn alle Leser im Prenzlauer Berg gleichzeitig im Lotto gewinnen ... Noch eine bisher vollkommen unübliche Praxis im Buchhandel: Es gibt immer mehr große Anbieter, die anfangen, Tische und Pulte hinzustellen, damit sich die Kunden aus den Büchern, die sie noch nicht gekauft haben, etwas rausschreiben können. Sie dürfen sie auch ins Café mitnehmen, wo notfalls auch der Kaffeefleck nicht weiter stört, wenn man sich entscheidet, es nicht zu kaufen.

Das ist doch aber leserfreundlich!

Vielleicht ist das alles leserfreundlich, aber wie lange? Schließlich sind auch Dumpingpreise erst einmal kundenfreundlich. Aber alle Erfahrungen besagen, wenn der Markt erst einmal mittels Dumping „bereinigt“ wurde, die Konkurrenz also auf der Strecke geblieben ist, teilen die „Marktführer“ diesen unter sich auf, und die Preise steigen dann wieder munter.

In der Marktwirtschaft hat ja in den letzten 20 Jahren der Trend zugenommen, das Buch zum Film, den Film zum Buch herauszubringen. Und nun haben seit einigen Monaten zum erstenmal die Ostdeutschen das Vergnügen, einen ihrer Lieblingsautoren in einem dreiteiligen Fernsehfilm gewürdigt zu sehen. Hat das Auswirkungen auf die Ausgabe des „Ladens“, auf die Bücher von Strittmatter überhaupt, gibt es da eine Rückkopplung?

Bei uns kaum. Ich muß das bei uns so betonen, weil es durchaus bei meinen Kollegen ganz anders gewesen sein kann. Wir hatten von vornherein Strittmatter im Sortiment; die Bücher sind aber nicht sonderlich gut gegangen. Das lag schlicht und einfach an der Besonderheit dieser Ecke, nämlich der starken Ost-West-Mischung. Die einen kannten die Bücher von Erwin Strittmatter bereits, andere lehnten sie ab, weil er nicht gerade ein Guru der alternativen Literaturszene war, unsere „Neubürger“ aus den alten Bundesländern kannten ihn in der Regel gar nicht. Unmittelbar nach dem Film hat sich bei uns in dieser Beziehung nichts Wesentliches geändert. Persönlich glaube ich, daß Strittmatters Stil, die Art, alltägliche Geschichten zu erzählen, dem Volk aufs Maul zu schauen, ohne sich gleichzeitig anzubiedern, in der deutschen Literatur-Szene mit ihrer Kunstsprache, den gemachten Hits und den häufig konstruierten Sujets nicht gerade „in“ ist.

Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie anfangs in Ihrer Buchhandlung Schriftsteller-Lesungen oder zumindest literarischen Veranstaltungen in Verbindung mit Ausstellungen, Veröffentlichungen durchgeführt. Ist das noch weiter im Programm, oder hat sich das, wie in vielen anderen Buchhandlungen, als nicht tragfähig erwiesen?

Es ist noch im Programm, aber wir haben unsere Erwartungshaltungen und unsere Aktivitäten deutlich zurückgefahren. Wir haben von vornherein nicht auf rein klassische Lesungen gesetzt, sondern sehr stark auch auf Veranstaltungen mit Diskussions-Charakter, wo dann natürlich auch bestimmte Sachbuch-Themen favorisiert wurden. Das ist im großen und ganzen gut angekommen. Aber unsere anfangs etwas euphorischen Absichten, dies regelmäßig durchzuführen, haben wir nicht durchgehalten. Es liegt, glaube ich, auch daran, daß in Berlin einfach ein Überangebot an kulturellen und künstlerischen Veranstaltungen herrscht. Dieser Event-Kult hat zur Folge, daß kleine Veranstalter nie auch nur annähernd die Resonanz auf ihr Angebot voraussagen können. Nur selten kann man dies über Vorverkauf irgendwie steuern. Die Reaktionen sind auch ganz unterschiedlich, und wir mußten feststellen, daß ein Veranstaltungspublikum nicht unbedingt auch Kundschaft ist.

Buchhändler hier im Kiez zu sein - bedenkt man die allgemeinen und besonderen Schwierigkeiten dieses Gewerbes in heutiger Zeit - verführt nicht gerade zu rosigen Zukunftsperspektiven. Haben Sie schon darüber nachgedacht aufzugeben, sich zu verändern?

Was heißt nicht rosig, das wußte schon Karl Marx vor vielen Jahren, daß der Kapitalismus nicht unbedingt rosige Zukunftsversionen produziert, und so gesehen bin ich nun mal Marxist. Wenn man trotzdem immer wieder Illusionen, Hoffnungen hat, ist das wohl eine ganz menschliche Komponente. Im Augenblick haben wir ein bißchen den Eindruck, daß das „rheinländische Kapital“ in Berlin einen wirklich urkapitalistischen Normalzustand wiederherstellen will. Die Großen steigen mit einem unwahrscheinlichen Aufwand an Geld, Kapital und Macht ins Geschäft, so daß es in vielen Fällen für uns nicht mehr durchschaubar ist, wo die Kapitalmengen herkommen und was der vorrangige Zweck dieser Unternehmungen ist, ob man wirklich immer nur die Absicht hat, Bücher zu verkaufen, oder ob man nicht ganz andere Intentionen hat, zum Beispiel den „Markt zu bereinigen“. In puncto Buchpreisbindung konnte man das unter anderem in England sehr deutlich beobachten. Nach der Aufhebung der Buchpreisbindung hat es kurzzeitig Vorteile für die Kunden gegeben, die vorhandenen Bücher wurden verramscht. Danach herrschte wieder Normalität, große Verlage und Ketten haben den Markt unter sich aufgeteilt. Das Ergebnis ist, daß die Qualität der Bücher nicht unbedingt gestiegen ist, daß es ganze Marktsegmente gibt, die überhaupt nicht mehr angeboten werden, und die Preise sind auch gestiegen, da die Konkurrenz, die angeblich so das Geschäft belebt, diesen Prozeß nicht überlebt hat. In dem Sinne wirkte Konkurrenz auf Preise und Angebot durchaus positiv. Ich überlasse es dem Kunden zu beurteilen, ob dieser Zustand für ihn von Vorteil ist. Schön wäre es nur, wenn er dies tun würde, bevor das „Kind im Brunnen liegt“ ... Vielleicht wird dann in 10 oder 15Jahren wieder im Sinne dieser langen Wellen etwas passieren, es können sich wieder bestimmte Nischen am Markt etablieren, Verlage und Buchläden entstehen. Das wird eine Weile so gehen, und bei diesem Rhythmus wird es in ein paar Jahren wieder eine Welle geben, wo sich das große Kapital sagt, nun müssen wir aber mal die Menge der Kleinen wieder abräumen, denn sie binden zuviel der Kaufkraft. Also im Augenblick habe ich den Eindruck, daß es nach so einem Muster ablaufen könnte. Ich weiß auch nicht, ob man es verhindern kann und ob es überhaupt jemand verhindern will.

Sie haben sich ja mit der Gründung eines Verlages noch ein anderes Standbein geschaffen. Das wird ja sicherlich nicht weniger problematisch sein als das der Buchhandlung?

Ob es ein Standbein ist, wird sich herausstellen. Das ist natürlich in der oben geschilderten wirtschaftlichen Landschaft fast die nächste Idiotie. Wir wollen, mit sehr starkem Blick auf den Osten, Autoren, die bisher keinen Verlag gefunden haben, eine Chance geben, überhaupt erst einmal auf den Markt zu kommen. Auch unser (Autoren-)Verlag kann nur funktionieren mit einer Druckkostenbeihilfe durch die Autoren. Wir haben aber versucht, diese in einer vertretbaren Größe so zu kalkulieren, daß sich Autor und Verlag Risiko wie Gewinn teilen.

Und was sind die Themen?

Im Augenblick kann man das so absolut noch nicht sagen. Wir haben mit Texten zum Geburtstag des Architekturkritikers Bruno Flierl angefangen. Das ist, wie gesagt, der erste Versuch gewesen. Wir werden versuchen, Texte von jungen Autoren und Wissenschaftlern zu favorisieren.

Ich höre von anderen kleinen Verlagen, daß sie oft das Risiko eines Flops getragen haben, wenn sie unbekannten Autoren eine Veröffentlichungschance gaben, aber im Erfolgsfalle die großen Verlage die Autoren übernahmen. Haben Sie schon solche Erfahrungen gemacht?

So gut sind wir noch gar nicht, daß man uns gute Autoren wegnehmen könnte, aber ich kenne das Problem. Genaugenommen gibt es nur die Möglichkeit, das Elend der jungen Autoren brutal auszunutzen und ihnen sofort einen wasserdichten Knebelvertrag aufzuzwingen, der sie fest an den Verlag bindet. Das können wir gar nicht, da stehen wir uns wohl selbst am meisten im Wege. Ansonsten sehe ich eigentlich überhaupt keine Chancen, dies zu verhindern, das ist der normale Gang der Welt. Da werden die Kleinen immer im Hintertreffen sein. Es gibt aber ein Element auf dem Markt, welches eigentlich mehr moralisch geprägt ist: Der erfolgreiche Autor kann selbst entscheiden zwischen mehr Geld und individueller Betreuung. Aber wie gesagt, das sollte man auf keinen Fall voraussetzen, denn nach moralischen Kriterien funktioniert die Marktwirtschaft wohl höchst selten.

Sie lektorieren auch?

Natürlich, die Kommunikation zwischen Autor und Verlag ist schließlich für beide ein wichtiges Moment, und der Computer kann nun mal nicht alles ersetzen ...

Eine Frage, die wir zum Schluß allen Buchhändlern und Verlegern stellen - was lesen Sie zur Zeit?

Ich muß jetzt ernsthaft nachdenken, nicht weil ich um eine Antwort verlegen bin, sondern weil ich überlege, was zur Zeit auf meinem Nachtschrank liegt, denn nur spät am Abend komme ich überhaupt noch zum Lesen, ansonsten ist der Tag ausgefüllt. Viele glauben eigentlich, daß der Buchhändler es wahnsinnig gut hat, weil er den ganzen Tag lesen kann. Täte er dies, dann hätte er es nicht mehr lange gut, also: Er kommt selten zum Lesen. Wenn die Jalousie heruntergeht, dann muß in so einem kleinen Betrieb die Abrechnung, das Bestellen und der ganze bürokratische Kram erledigt werden, was bei weitem nicht immer lustvoll ist. So bleibt dann nur noch ein bißchen Freizeit, und da liegen dann meistens so fünf oder sechs verschiedene Bücher parat. Also, ich habe jetzt, natürlich auch angeregt durch den Film, in den „Laden“ und in den „Wundertäter“ reingelesen, auf dem Nachtschrank liegen neben der FBI-Akte von Leo Trotzki die Tagebücher von Brigitte Reimann (Ich bedaure nichts), Ruth Fischers Stalin und der deutsche Kommunismus und von Tita Gaehme Dem Traum folgend, ein Buch über Carola Neher.

Sie haben mal ein Buch gemacht über den „Deutschen Durst“. Gibt es denn da ein Vorhaben, sich mal wieder mit einem eigenen Produkt an die Öffentlichkeit zu wagen?

Der deutsche Durst bei Edition Leipzig 1994 war ein schöner Erfolg für unser Autorenteam- meine Frau ist übrigens Koautorin und meine erste Lektorin bei allen Projekten. Immerhin hatte der „Spiegel“ einen zweiseitigen Artikel gebracht und damit eine durchaus positive Medien-Resonanz losgetreten. Das neue Projekt ist noch nicht spruchreif (ein bißchen abergläubisch sind wir auch). Es wird aber auf jeden Fall wieder eine Kultur- und Sozialgeschichte.

Das Gespräch führte Hans-Jürgen Mende


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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