Eine Annotation von Gisela Reller


Sonia Mikich: Planet Moskau

Geschichten aus dem neuen Rußland.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1998, 240 S.

 

Die Fernsehjournalistin Sonia Mikich war fast sechs Jahre lang Fernsehkorrespondentin der ARD- „Meine schönsten, aber auch meine schlimmsten Jahre.“ Sie hat ab Mai 1992 durch ihre zahlreichen Fernsehberichte und Features unser Bild von den dramatischen Umbrüchen in Rußland mit geprägt. Ich habe sie oft bestaunt, zum Beispiel wenn sie - 1952 geboren, in England aufgewachsen, Tochter eines serbischen Vaters und einer deutschen Mutter, Halbslawin also - aus der Kriegshölle Tschetschenien berichtete oder als einzige westliche Journalistin den gut versteckten tschetschenischen Separatistenführer Dudajew interviewte. „Das wahre Leben findet nicht auf Pressekonferenzen statt, sondern wo es knallt und stinkt“, lautet das journalistische Credo der Mikich.

Die Vollblutjournalistin Mikich frönt in ihrem Buch nicht der eigenen Eitelkeit, was man von vielen Korrespondenten-Büchern nicht gerade sagen kann. Ihre Geschichten - über die unfreiwillige Braut von Chiwa, über Andrej, der sich zur Mafia durchschlägt, über die abtreibungswillige Mascha, über die Liebe der Rentner im Ismailowski Park, über das Landleben und seine Kollektivhexen ... - haben literarische Qualität, auch ihre Reportagen und Berichte sind brillant geschrieben. Nur - mit der Mischung kann ich mich nicht ganz anfreunden - zumal der Untertitel ihres Buches „Geschichten aus dem neuen Rußland“ lautet.

Die Mikich versucht das „zauberhafte Volk“ der Russen zu begreifen, ohne von russischer Seele zu faseln oder davon, daß man Rußland lieben muß, um es zu verstehen. Übrigens hat sie - die studierte Soziologin, Politologin und Philosophin - Gabriele Krone-Schmaltz, die mit dem unverwechselbaren herzigen Pony, ein Jahr nach einer Urlaubsvertretung abgelöst. Die literarisch begabte Mikich, nach eigener Aussage eine westliche Konsumverweigerin, wird dagegen von ihrer mondänen russischen Freundin Xenia auf ihren biederen Haarschnitt aufmerksam gemacht. Überhaupt hat die Mikich in Rußland unverwechselbare Freunde: aufgeblasene, ordinäre, nationalistische, todesmutige, ausgestiegene - interessant alle und kameradschaftlich, nur kochen können sie leider nicht. Die russische Küche findet Sonia Mikich denn auch geschmack- und konturenlos. „Nie wieder Borschtsch! Nie wieder Pelmeni!“ Statt dessen deutsches Sahnegeschnetzeltes!!! Liebe Sonia Mikich, Sie wünschen sich, in fünf Jahren noch einmal als Korrespondentin nach Rußland zu kommen, um zu sehen, was aus dem Land geworden ist. Dann schaffen Sie sich Freunde mit russischen Müttern und Großmüttern an. Die russische Küche kann mit der französischen - von der Sie als Frankreich-Korrespondentin sicherlich schon bald schwärmen werden - durchaus mithalten.

Der Verlag hat das Buch der Sonia Mikich - seit 1995 als erste Frau Leiterin eines großen ARD-Auslandsstudios - mit einem, wie ich finde, fragwürdigen Schutzumschlag versehen: Den Kreml als Winzling neben dem eindrucksvoll-großen Kopf der Autorin. Planet Mikich statt Planet Moskau? Das wäre des Guten denn doch zuviel.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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