Eine Annotation von Gudrun Schmidt


Lentz, Georg: Märkische Spaziergänge von Rheinsberg bis Ribbeck

Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1996, 176 S.

 

Fontane und kein Ende - wer die Mark durchwandert, hat den Dichter meistens mit im Gepäck. Gemeinden und Fremdenverkehrsvereine recherchieren akribisch jedes Fleckchen märkischen Sandbodens, um Spuren auszumachen. Und die meisten werden fündig. Eine Beschreibung, eine Reminiszenz vom Altmeister der Erzählkunst, läßt sich vielerorts nachweisen und macht sich gut für den Werbeprospekt. Zudem brachte das vergangene Jahr zum 100. Todestag Fontanes eine Fülle ehrender Veranstaltungen, Lesungen, Werkausgaben, Reportagen. Die Mark und Fontane sind immer wieder für Entdeckungen gut.

Das ahnte wohl auch Georg Lentz, als er lange vor dem Jubiläumsjahr auf Erkundungen aus war. Er erzählt vom Ritter Kahlbutz, dem ein Mord anhängt und dessen mumifizierte Leiche trotz Computertomographie immer noch geheimnisumwittert bleibt. In Ribbeck sucht er nach dem „historischen“ Birnbaum, dessen Früchte der spendable Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland einst an die Dorfjugend verschenkte. Der Baum ist nicht mehr auszumachen, aber die Mär von ihm kennt dank Fontanes Gedicht jedes Schulkind. 1000 neugepflanzte Bäume werden die Legende auch künftig bewahren. Natürlich darf Rheinsberg nicht fehlen, der einstige Musenhof des Preußenkönigs Friedrich II. Dieses Prädikat wird Rheinsberg ewig beschieden sein, obwohl es eigentlich des Königs Bruder Heinrich war, der hier nahezu fünfzig Jahre Hof hielt und die Rheinsberger Atmosphäre prägte. Auch Georg Lentz wird mit seiner humorvoll-ironischen Betrachtung daran nichts ändern können. In Reckahn spürt er dem Wirken des aufklärerischen Gutsherrn und Schulreformers Friedrich Eberhard von Rochow, dem „deutschen Pestalozzi“ nach. Alte und neueste Familiengeschichte der Hardenbergs wird ebenso erzählt wie die der Arnims. Lentz trifft ABM-Kräfte als Schloßverwahrer oder Parkwächter. Wie würde sich das wohl bei Fontane lesen?

Ein Vorzug der feuilletonistischen „Spaziergänge“ ist, daß Geschichte mit Geschichten verbunden wird. Georg Lentz hat ein Gespür für Leute, macht in den Dörfern manche Originale aus, kann zuhören, nimmt Zwischentöne wahr. So entsteht ein vielschichtiges Zeitbild, das Kontraste und Widersprüche in den Dörfern nicht ausspart. „Kaisertreue“ (einmal Untertan immer Untertan) und „Rote-Socken-Fraktion“ - Anhänger gibt’s für beide Richtungen.

Georg Lentz, Jahrgang 1928, zog’s von seiner Geburtststadt Rostock nach Berlin und von da in die Welt. Er arbeitete als Verleger, Sachbuchautor, Romancier. Zu Hause ist er an der Loire und im märkischen Zernikow. Heimatliebe hat eben viele Facetten.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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