Eine Annotation von Maria Careg


Jaumann, Bernhard:Hörsturz

Kriminalroman.

Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1998, 314 S.

 

„Von allen Sinnen“ ist das Motto, unter das der Autor seine Krimiserie stellt, deren Auftakt Hörsturz bildet. Sprache, Gesang, Musik, Geräusche bilden nicht nur die akustische Kulisse, sondern den Gegenstand der kriminalistischen Untersuchung: Die junge Wiener Radiomoderatorin Ruth Strelecky erhält während einer Sendung einen ominösen Anruf. „Minnie“, eine Art Geräuschanarchistin, kündigt über den Äther Anschläge an, die den „Musikwahnsinn der Tourismusindustrie“ stoppen sollen. Wiener Schmäh und Wiener Walzer - die Kommerzialisierung nicht nur einer Kunstgattung, sondern eines Lebensgefühls, soll nach dem Willen der Anruferin unterbunden werden. Am selben Abend noch wird das Schuberthaus Opfer eines Anschlages, und alle, die „Minnie“ für einen schlechten Scherz gehalten hatten, sind nun gewarnt. Zu Hause erwartet Ruth die aufgeregte Stimme ihrer Schwester Miriam, einer beliebten Opernsängerin, auf dem Anrufbeantworter. Miriam selbst aber ist von diesem Moment an nicht mehr erreichbar, und nach dem spektakulären Brand des Wiener Opernhauses, dessen Zeuge Ruth wird, ist die Schwester spurlos von der Bühne und aus dem Leben verschwunden. „Der Flötist war nur mehr ein Schatten vor dem Feuerschein, doch er flötete, spielte der Glut entgegen, wiegte den Kopf, die Flöte. Wie ein Schlangenbändiger spielte er den züngelnden Flammen entgegen, ließ sie tanzen, hatte keine Angst vor ihrem Biß, vor ihrem Gift. Er spielte dem Tod zum Tanz auf, und der Tod begann sich zu wiegen, begann den Rhythmus aufzunehmen, es zuckte ihm in den Beinen, wie die Flammen zuckten, ungestüm noch, doch der Flötist zähmte sie, zwang ihnen seinen Takt auf ...“

Voller Unruhe forscht Ruth nach Lebenszeichen ihrer Schwester und gerät dabei in verwirrende Situationen, die sie schließlich selbst in Lebensgefahr bringen. Der Schlüssel zur Lösung ist die Stimme „Minnies“, in der Ruth sich selbst wiederzuerkennen meint. Die Auflösung des Falls ist erstaunlich, aber im Gegensatz zur flott und bizarr voranschreitenden Handlung eher unspektakulär. Bernhard Jaumann, der Autor dieses Ideen-Krimis, beweist, daß er seine Sinne sehr wohl beieinander hat. Aus wahrnehmungspsychologischer Sicht rankt er seine spannende Krimihandlung nahezu ausschließlich um den Hörsinn und bedient sich dabei oftmals surrealer Ausdrucksformen. Die Handlung ist stimmig trotz ihrer grotesken Elemente, die Sprache ist so wandelbar wie die Welt der Geräusche - von sinnlich-poetisch über absurd-verzerrt bis sachlich-klar. Jaumann weiß sein geschultes Musikverständnis derart intelligent in Szene zu setzen und in Worte zu fassen, daß dem Leser schließlich Hören u n d S e h e n vergeht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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