Eine Annotation von Hans-Rainer John


Mosbach, Petra: Opernroman

Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1998, 352 S.

 

Wer gern ins Theater geht, vorzugsweise in die Oper, und dann vielleicht sogar „Tristan“, „Figaro“, „Fidelio“, „Fledermaus“ und das Brahms’sche „Deutsche Requiem“ drauf hat, der liegt mit diesem Buch richtig, denn es ist ein Insider-Roman, der mit Vorkenntnissen rechnet. Wahrscheinlich wird er deshalb in den Opernhäusern zum Kauf angeboten. Dem Leser, der die Oper aus dem Parkettsessel kennt, wird nun auch der Bereich erschlossen, der hinter dem Vorhang liegt, und er erfährt so manches Desillusionierende, von dem er sich nie träumen ließ. Petra Mosbach (43) war zehn Jahre als Dramaturgin und Regisseurin an verschiedenen Bühnen tätig und kennt das Metier. Sie schöpft aus diesem Wissen, das sie präzis gespeichert hat, und erzählt vom Werden einer Inszenierung („Ein Blick hinter die Kulissen“) wie auch vom Wirken und Leben, von den Sorgen, Freuden und Leiden, dem Ehrgeiz und den Intrigen, den kleinen und großen Katastrophen jener Leute, die jenseits des eisernen Vorhangs tätig sind - vom Intendanten und Dirigenten über die Sänger, Tänzer und Choristen bis zur Theatersekretärin und Inspizientin, dem Orchestermusiker und Bühnentechniker.

Wir werden an ein Mittelklasse-Theater geführt (1000 Plätze, drei Sparten), nach dem fiktiven Neustadt am Rhein, wo große Kunst nur in Ausnahmefällen entsteht. Die Sehnsucht aller künstlerischen Mitarbeiter, die etwas erreichen wollen, geht deshalb in Richtung der Großstadttheater wie Mannheim oder Köln, an denen die Voraussetzungen besser sind, aber der Absprung gelingt selten, und der Absturz zu einer noch kleinere Bühne oder gar aus dem Beruf heraus ist immer nahe. Bei jedem Leitungswechsel droht Nichtverlängerung, da sind Solidarität und Kollegialität begrenzt. Im täglichen Konkurrenzkampf ist sich jeder selbst der Nächste, jeder läßt alle Minen springen, um seinen Platz zu behaupten.

Das Buch ist gemäß den eingangs genannten Produktionen strukturiert und erzählt in jedem der fünf Kapitel schlaglichtartig, sachlich, aber mit menschlicher Anteilnahme von einem Dutzend jeweils beteiligter Theaterleute. Das sind meist kurze Skizzen, nicht tiefgehend, oft abrupt abbrechend und zur nächsten übergehend. Aber dennoch wird jedesmal trotz Kürze und Fragmentierung ein bewegendes und unverwechselbares Schicksal sichtbar, und am Ende runden sich die Kurzporträts und Miniaturen zu einem stimmigen, absolut authentisch wirkenden, allerdings auch zutiefst betroffen machenden Bild.

Nur in zwei Fällen geht die Autorin darüber hinaus und verweilt länger beim Schicksal einzelner Personen. Babs begleitet als Regieassistentin fast alle der behandelten Inszenierungen: Sie ist intelligent und mit ausgesprochenem Kunstsinn begabt, erkennt aber, daß ihr der Aufstieg zur Regie verwehrt bleiben wird. Als ewige Assistentin zu altern liegt ihr nicht, so entscheidet sie sich für eine dauerhafte Partnerschaft, wird schwanger und sagt der Theaterwelt ade. Auch der Korrepetitor Jan ist hochbegabt, er hat eigentlich das Zeug zum Dirigenten, aber seine Lauterkeit wird nur mit Kündigung belohnt. Ohne berufliche Zukunft und an Aids erkrankt, zieht er sich zu seinem schwarzen Freund nach Kalifornien zurück. Er stirbt dort in einem schäbigen Hotel just in jenem Moment, da Peggi, die einst in Neustadt als Isolde reüssierte, an der New Yorker MET debütiert. Aufstieg und Untergang - aus Neustadt stammten sie alle.

Hier die Weltkarriere, dort der Kampf noch, die Urne unter die Erde zu bekommen - das sind die einzig romanhaften Züge und bei Gott nicht die besten Seiten in dem sympathischen, gescheiten Buch, das sonst wie eine große, gutgeschriebene Reportage anmutet - ehrlich, rückhaltlos, kenntnisreich und genau. Das Buch ist kein literarisches Ereignis, bietet aber dem Kenner eine stets interessierende, zutiefst berührende Lektüre. Und vielleicht ermöglicht es, gerade weil es sich so unambitioniert ausschließlich auf die Theaterwelt konzentriert, die in vieler Hinsicht grausame Welt hinter der Bühne als Sinnbild zu empfinden für eine Gegenwart, in der die Voraussetzungen nicht besonders gut sind, daß der Mensch des Menschen Freund sein kann.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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