Eine Rezension von Bernd Grabowski


Brückenbauer der Bildung

Werner Voigt: Walther Victor - Ein Weg nach Weimar
Lebens- und Gefühlswelt eines leidenschaftlichen Publizisten.

Verlag Frieling & Partner, Berlin 1998, 96 S.

 

Literaturkenner, die hier autobiographische Streiflichter des Journalisten und Publizisten Walther Victor (1895-1971) vermuten, befinden sich im Irrtum. Zu der Annahme, Victor hätte in der dritten Person über sich selbst geschrieben, verleitet sowohl die Autorenangabe wie auch der Inhalt. Der Name des Autors nämlich ist identisch mit einem Pseudonym Victors, den dieser während der Nazizeit für seine Zeitungsartikel und für sein Leben in der Illegalität angenommen hatte. Und der jüngere, der echte Werner Voigt (Jg. 1938), der seit 1957 mit dem älteren, dem erfundenen Werner Voigt befreundet war, breitet Kenntnisse über Erfahrungen und Ansichten Walther Victors aus, über die sonst kaum ein Außenstehender verfügt.

Selbstverständlich beschreibt Voigt manche seiner Gespräche mit Victor, gibt Einblick in seine Korrespondenz mit ihm, zeigt gemeinsame Fotos. Aber er skizziert auch Lebensabschnitte Victors vor seiner ersten Begegnung mit ihm, gibt Informationen von der Witwe Victors weiter, zitiert aus dessen Tagebucheintragungen, Notizen, Erinnerungen und journalistischen Arbeiten. So beschreibt er eine wenig bekannte Episode auf dem Reichstreffen der Sozialistischen Arbeiterjugend 1920 in Weimar, auf dem unter Mitwirkung Victors ein Hakenkreuz verbrannt wurde.

Da Weimar eine wesentliche Rolle bei Victor spielte, gruppiert Voigt auch seine Betrachtungen um diese Stadt, zeichnet Viktors Weg nach Weimar nach. Dahin übersiedelte Victor schließlich 1961. Dort fand er dann auch auf dem Friedhof seine „letzte Wohnung“.

Schon lange vorher war der „Brückenbauer der Bildung“, wie Arnold Zweig treffend formulierte, mit der Stadt Goethes und Schillers verbunden. Das ergab sich vor allem aus seiner Arbeit über die deutschen Klassiker. Und Weimar war auch der Sitz des Verlages, bei dem Victor seit 1949 die mit einem Goethe-Band eröffnete Reihe „Lesebücher für unsere Zeit“ herausgab, die nach dem Tod ihres Begründers weitergeführt und erst mit dem Ende der DDR eingestellt wurde.

Besonders interessant ist natürlich die Vorstellung des „unbekannten Victors“. Einiges davon läßt Voigt schon gucken. So gibt er ein paar Sätze aus einem 1944 geschriebenen Zeitungsartikel wieder: „Die Russen haben eine Diktatur, die GPU terroristische Akte begangen, Stalin brutale Morde begehen lassen? Ich weiß, man spare es sich, mich auf all das hinzuweisen, ich werde nicht fehlen, wenn es an der Zeit ist, dies zu diskutieren.“ Aber damals zählte für den aus einer jüdischen Familie stammenden Sozialdemokraten lediglich, daß die Russen gegen die Mörder seiner Genossen, Freunde und Verwandten kämpften. Und später „diskutierte“ er diese Frage nur in verschlüsselter Form mit seinem Tagebuch. Offen diskutiert hat Victor jedoch in der DDR über literaturtheoretische und kulturpolitische Fragen, was ihm nicht nur Freunde machte. Weitgehend unbekannt dürften auch Victors Lebensgewohnheiten sein. Sein Arbeitstag, so weiß Werner Voigt, begann gewöhnlich mitten in der Nacht zwischen zwei und drei Uhr. Am Vormittag las er Zeitung, beantwortete die Post, nahm Termine außer Haus war. Der Nachmittag war oft angemeldeten Besuchern vorbehalten. Nur wenige kennen die noch unerschlossen im Archiv lagernden Briefe, die über hundert nicht gedruckten Gedichte und die unter verschiedenen Pseudonymen erschienenen Arbeiten. Voigt macht darauf neugierig; ob er auch mal die Leserschaft mit entsprechenden neuen Werkeditionen Victors überrascht?

Selbst seinem Vertrauten Werner Voigt unbekannt sind Walther Victors Memoiren, die er größtenteils 1967/68 unter dem Titel „Und wo hast du dich so lange herumgetrieben?“ niedergeschrieben hat. Denn diese, so hat ihr Verfasser verfügt, dürfen nicht vor dem Jahr 2001 veröffentlicht werden. Wohl zu Recht geht Voigt davon aus, daß Victor damit aufschlußreiche Innenansichten eines überzeugten Sozialisten bietet und damals herrschende Tabus über manche Zeitgenossen und Zeiterscheinungen in der DDR bricht.

Wenige Tage vor seinem Tod bat Walther Victor seinen Freund, unbedingt für die Herausgabe seiner Memoiren zu sorgen, „und sei es im Ausland“. Auf denn, Werner Voigt, das Jahr 2001 ist nicht mehr fern! Ich bin schon jetzt gespannt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 3/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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