Eine Rezension von Fritz Langner


Werbung - die große Verführerin

Oliviero Toscani: Die Werbung ist ein lächelndes Aas

Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 1997, 196 S.

 

Wer kennt nicht die umstrittenen Werbekampagnen des italienischen Textilunternehmens United Colors of Benetton? Plakate, die einen neugeborenen Säugling, die blutgetränkte Kleidung eines jungen Soldaten, der im Krieg in Ex-Jugoslawien getötet wurde, oder einen Aids-Kranken zeigen, führten auch in Deutschland zu heftigen Diskussionen. Diskussionen in ihrer ganzen Spannweite: vom Verständnis für das Anlegen der Kampagnen bis zu absoluter Ablehnung und zum Verbot der Plakate in Deutschland.

Oliviero Toscani, der Werbechef und Fotograf des Benetton-Unternehmens, stellt sich in seinem Buch dieser Diskussion. Er gibt einen Einblick in die Philosophie der Plakat-Kampagnen von United Colors of Benetton und erklärt ihr Anliegen, das darin besteht, nicht für einzelne Produkte zu werben, sondern für die Marke, indem durch die Plakate mit dem Firmensignum die Aufmerksamkeit der Menschen herausgefordert wird. Und das mit Motiven, die weit ab vom eingefahrenen Klischee der herkömmlichen Werbung liegen. Es sind Motive, die die Menschen persönlich berühren und zum Nachdenken zwingen, die dem Betrachter keine Meinung vorgeben, die ob ihres Inhalts und ihrer Ausdrucksstärke ungewöhnlich ergreifend sind. Zugleich sagt Toscani der gegenwärtigen Werbung den Kampf an. Er kritisiert ihre Flachheit, ihre Sprache, das Vorgaukeln einer Traumwelt. Er wendet sich gegen die lebensabgewandten, aufdringlichen Spots, gegen das totale Versprechen der Werbenden, mit dem Kauf der Waren zu den Glücklichen zu gehören. Es ist amüsant zu lesen, in welcher Art und Weise er sich auseinandersetzt, teils ironisch, teils direkt anhand vieler praktischer Werbebeispiele.

„Was haben diese Plakate mit den Pullovern des Unternehmens zu tun?“ wird oft gefragt: Toscani: „... sie haben gar nichts miteinander zu tun. Ich mache keine Werbung. Ich verkaufe nicht. Ich versuche nicht, das Publikum mit plumpen Tricks zum Kauf zu überreden... Ich diskutiere mit dem Publikum wie jeder Künstler... Warum sollte es auf einer mit Benetton signierten Werbefläche unzulässig, unerträglich sein?“ Es sind in erster Linie die Werbetreibenden, die Agenturen, die so vehement gegen die Benetton-Plakate aufgebracht sind, daß sie mit Unterstützung des Deutschen Werberates sogar Verbote durchsetzen. Ich habe die veröffentlichten Meinungen hierzu in Deutschland verfolgt. Stets wird mit den Vokabeln provozierend, abstoßend, unästhetisch plakativ abgelehnt. In keiner Stellungnahme wird auch nur einmal hinterfragt, welche Beweggründe denn Oliviero Toscani habe, solche Plakat-Kampagnen zu starten. Eine echte inhaltliche Argumentation und Auseinandersetzung findet man nicht. Was ist denn an einem Neugeborenen provozierend, unästhetisch? Ist es nicht ein Glückstag für die Familie, der Beginn neuen Lebens?

An diesem Buch zeigt sich wie bei manchen anderen Gelegenheiten: erst lesen und anhören, dann urteilen.

Bemerkenswert: Eine hervorragende Übersetzung aus dem Italienischen durch Barbara Neeb.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 3/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite