Eine Rezension von Horst Wagner


Das Lebensbild eines Heimatsuchers

Wilhelm von Sternberg: „Um Deutschland geht es uns“
Arnold Zweig. Die Biographie.

Aufbau-Verlag, Berlin 1998, 336 S.

 

Nach der vielbeachteten Feuchtwanger-Biographie (1994) aus der Feder Wilhelm von Sternbergs nun die Biographie über den Feuchtwanger-Freund Arnold Zweig. Genauer gesagt handelt es sich um die überarbeitete und ergänzte Fassung einer Zweig-Biographie aus dem Jahre 1990. Der 1939 in Stolp geborene Journalist Wilhelm von Sternberg, studierter Volkswirt und Historiker, hat sich in jüngerer Zeit wiederholt mit dem Autor des Grischa-Zyklus befaßt. Bereits zum 100. Geburtstag Zweigs 1987 hatte er eine Fernsehdokumentation über ihn produziert. 1987 bzw. 1995 brachte er auch eine Auswahl von Zweigs Arbeiten heraus. Man kann zu der apodiktischen Unterzeile „Die Biographie“ stehen, wie man will - wer sich gründlich mit Leben und Werk Arnold Zweigs befassen will, kommt an der von Sternberg geschriebenen nicht vorbei. Sie regt auf jeden Fall an, Zweig neu zu entdecken, zumindest ihn gründlicher zu verstehen und kennenzulernen. Und das tut wahrlich not. Ist doch der große deutsche Romancier jüdischer Herkunft gleichsam ein Opfer des Kalten Krieges, der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West geworden. In der alten Bundesrepublik wurde sein Werk bis in die 70er Jahre hinein so gut wie totgeschwiegen. Dort hat man ihm, wie Sternberg schreibt, „lange nicht verziehen“, daß er den anderen Teil Deutschlands zu seiner Heimat wählte, sich zur DDR und zum Sozialismus bekannte. In der DDR erschien die Mehrzahl seiner Romane zwar in hoher Auflage, gehörte Der Streit um den Sergeanten Grischa sogar zur Pflichtlektüre in den Schulen. Aber es wurde dort von Obrigkeit und offizieller Literaturkritik nie der ganze Zweig akzeptiert. Für sie blieb, wie Sternberg aus einer Stasi-Akte von 1961 zitiert, Zweig „ein bürgerlicher Schriftsteller“, der zwar „in den entscheidenden Fragen zur DDR und zur SU“ steht, aber „eine Fülle von falschen Auffassungen“ hat (S.263/64). So wurde versucht, ihn ideologisch zurechtzustutzen. Das Beil von Wandsbeck paßte nicht recht ins Konzept, und der nach dem Roman gedrehte Film blieb längere Zeit verboten. Zweigs Spätwerk Die Feuerpause wurde erst nach mühseliger Umarbeit veröffentlicht, die Studie Freundschaft mit Freud und der Briefwechsel mit dem von Zweig hochverehrten Begründer der Psychoanalyse gar nicht.

Es mag wie eine Antithese zum Buchtitel klingen, erscheint aber als eine Art Leitfaden für die Biographie, wenn Sternberg im Einleitungskapitel schreibt: „Der Jude Arnold Zweig blieb ein Heimatloser, der sein Leben lang von einem Vaterland träumte, das er nirgendwo fand, nicht im preußischen Deutschland und nicht in Erez Israel, aber auch nicht in Ostberlin.“ (S.10) Sternberg dürfte es besonders gereizt haben, dieser Heimatsuche - mehr noch geistig als geographisch verstanden - nachzuspüren und für den Leser aufzubereiten. Detailreich und einfühlsam zeigt er, wie sich diese Suche im mehr oder weniger autobiographische Züge tragenden Romanwerk Zweigs, vor allem in seinem sechsbändigen Zyklus Der große Krieg der weißen Männer, spiegelt, dessen Zentralfigur Werner Bertin nichts anderes als eine Art verschlüsselter Ich-Erzähler ist. Geographisch gesehen, führt uns Sternberg von Groß-Glogau in Schlesien, wo Zweig am 10. November 1887 als Sohn eines Getreidehändlers geboren wurde, über Kattowitz, wo er die Oberrealschule besuchte, und die diversen Studienorte auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges, wo der Armierungssoldat zum Kriegsgegner reifte. Wir erleben mit, wie Zweig im Berlin der 20er und zu Beginn der 30er Jahre, gefördert vor allem durch den Erfolg seiner Romane Der Streit um den Sergeanten Grischa (1927) und Junge Frau von 1914 (1931), aber auch durch seine zeitgeschichtlichen Essays zu einem international stark beachteten Schriftsteller wurde. Wir begleiten den als Juden von den Nazis Verfolgten nach Palästina, auf den Berg Karmel hoch über der Bucht von Haifa, wo er 1935 Erziehung vor Verdun fertigstellte, diese - so Sternberg - „neben Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues künstlerisch gekonnteste und historisch wahrhaftigste Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg“ (S.221). Wir können nachvollziehen, daß Zweig auch in Palästina - wegen der aufflammenden Auseinandersetzung zwischen Juden und Arabern und wegen der Ablehnung, auf die die deutsche Sprache in diesen Jahren dort stieß - nicht heimisch wurde und zurückkehrt nach Berlin, in den Ostteil der Stadt, wohin er einer von Wilhelm Pieck angeregten Einladung des Kulturbundes folgte und 1950 Präsident der Akademie der Künste wurde.

Was den geistigen Weg Zweigs betrifft, so beschreibt ihn Sternberg im Einleitungskapitel mit den Worten: „Vom Nietzscheaner und Kunstästheten der Vorkriegsjahre zum glühenden (theoretischen) Zionisten, ... vom (kurzfristig) chauvinistischen Kriegsjubler zum zeitweise bekennenden Pazifisten; vom republikanischen Sozialisten zum Marxisten des real existierenden Sozialismus.“ (S.11) Letzteres war Zweig wohl nie, ganz abgesehen davon, daß es den Begriff „real existierender Sozialismus“ zu Zweigs Lebenszeiten noch gar nicht gab. Sein Sozialismusbild war, wie Sternberg an anderer Stelle behandelt, mehr durch Freud und Gustav Landauer sowie von Theorie und Erfahrung der Kibbuz-Bewegung geprägt. Mit dem Stalinismus, seiner dogmatischen und terroristischen Seite, hat er sich schon in den 20er und 30er Jahren auseinandergesetzt. Wie und warum Zweig trotzdem zum „Ja-Sager“ gegenüber dem marxistisch-leninistisch geprägten Sozialismus-Versuch auf deutschem Boden wurde, wird im „Ein teurer Traum“ überschriebenen Abschlußkapitel ausführlich behandelt. Dabei fällt zunächst auf, daß Sternberg, wie er an einer Stelle selbst einräumt, „ein etwas grobes Bild“ (S.254) vom geistig-kulturellen Leben in der DDR zeichnet, deutlicher gesagt: die DDR weitgehend auf „Unrechtsstaat“, ihre Kulturpolitik auf Dogmatismus und Gängelei reduziert. Da passiert es denn, daß er im Eifer des Gefechtes nicht nur Sigmund Freud als „in Ostberlin verfemt“ (S.212) erklärt - was bis zu Beginn der 80er Jahre zutrifft -, sondern auch Albert Einstein, der es nun wirklich nicht war. Es mag ja als läßliche Sünde ungenauer Recherche hingehen, wenn Sternberg den Ostberliner Philosophen Wolfgang Harich, für dessen Freilassung aus dem Zuchthaus sich Zweig bei Walter Ulbricht eingesetzt hatte, zum „Leipziger Philosophie-Dozenten“ (S. 280) macht - was auf eine Verwechslung mit dem stets linientreuen Professor Gerhard Harig hindeutet. Unverständlich aber bleibt, warum eine der Grundthesen von Marx, wonach das gesellschaftliche Sein das Bewußtsein bestimmt, von Sternberg umgedreht und geschrieben wird, das Zweig „von der Wahrheit eines klassischen Satzes, den Karl Marx einst formuliert hatte, durchdrungen war: Das gesellschaftliche Sein wird bestimmt durch das Bewußtsein, daß diese Gesellschaft durch den Einfluß seiner politischen und intellektuellen Führung erlangt.“ (S. 270)

Trotz solcher den Gesamteindruck schmälernder Ungereimtheiten gehört gerade das Kapitel über die DDR-Zeit zu den interessantesten des Buches. Sternberg zeichnet darin ein detailreiches, differenziertes Bild von der Haltung Zweigs zwischen Anpassung, Kritik und versuchtem Wider-den-Stachel-Löcken. Er untersucht die Frage, warum die künstlerische Qualität der Werke, die Zweig in seinen späten Jahren in der DDR geschaffen hat (und er bezieht das auch auf die von Anna Seghers), hinter den Arbeiten aus früheren Zeiten zurückgeblieben ist. Neben Alterserscheinungen und politischen Verpflichtungen führt er dabei die nachdenkenswerte These ins Feld: „Die großen schöpferischen Werke der Menschheit entstanden jedoch in der Regel im Kampf gegen den Zeitgeist“. (S.295) Interessant auch die Einblicke, die Sternberg ins „Privatleben“ Arnold Zweigs gibt: Seine Ehe mit Beatrice, seine ebenso geistigen wie sexuellen Verhältnisse zu anderen Frauen, die wiederholten Versuche einer „Ehe zu dritt“ ... Alles in allem ein lesenswertes, durch 23 Fotos auch sehr ansehenswertes Buch. Wobei eine Zeittafel und eine zusammenfassende Bibliographie der Werke Zweigs seinen Gebrauchswert sicherlich noch erhöht hätten.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 3/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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