Eine Rezension von Helmut Caspar


Umstrittenes Ehrengeschenk

Uta Lehnert: Der Kaiser und die Siegesallee

Réclame Royale.

Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1998, 414 S., zahlr. Abb.

 

Von der Siegesallee, mit der Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1895 die Stadt Berlin beglückte, ist nur ein Torso erhalten. Im Lapidarium, das in einem ausgedienten Wasserwerk am Landwehrkanal eingerichtet wurde, und an anderen Stellen der Stadt sind die in Kriegs- und Nachkriegszeiten stark beschädigten Figuren zu sehen. Eine Aufstellung am historischen Ort ist nicht möglich, die Allee und die architektonische Rahmung existieren nicht mehr. Die Präsentation im Wasserwerk läßt kaum etwas von der Eigenart und Einzigartigkeit des aus 32 Figurengruppen bestehenden kaiserlichen Ehrengeschenks ahnen, das zwischen 1898 und 1901 unter künstlerischer Leitung von Reinhold Begas und wissenschaftlicher Beratung durch den Historiker Reinhold Koser zwischen Kemperplatz und Königsplatz beiderseits der Allee aufgestellt wurde. In dem von der Berlinischen Galerie als Lapidarium genutzten Gebäude stehen 27 von ehemals 32 Herrschern. Dicht an dicht drängeln sich hier bedeutende und unbekannte Askanier, Wittelsbacher, Luxemburger und Hohenzollern, beschädigt und bisweilen sogar ohne Kopf. Während die Monarchen das Privileg haben, in einem - allerdings restaurierungsbedürftigen - Raum zu stehen, tropft auf die zu den Figuren gehörenden Marmorbüsten von Höflingen, Ministern, Priestern, Militärs und Künstlern draußen im Hof Regen und Schmelzwasser. Mikroorganismen verrichten ihr zerstörerisches Werk, Moos hat den empfindlichen Marmor so angegriffen, daß er wie die Haut eines hundertjährigen Karpfens aussieht.

In ihrer gründlichen und ausführlichen Untersuchung über die Entstehungsgeschichte und das Schicksal der unter dem Namen „Puppenallee“ seinerzeit populären Sehenswürdigkeit und einzelner ihrer Figuren holt Uta Lehnert ein seit hundert Jahren umstrittenes Gesamtkunstwerk wieder aus der Versenkung. Das Buch erschließt wichtige Belege für die vom letzten Hohenzollern auf dem Thron betriebene Nutzung der Kunst für die kaiserliche Propaganda und Selbstdarstellung. Indem die Berliner Kunsthistorikerin eine Figurengruppe nach der anderen nach allen Seiten untersucht und mit ihren Beschädigungen und Verlusten beschreibt, haucht sie der marmornen Ahnengalerie neues Leben ein. Die Autorin läßt das „fragwürdige Ergebnis eines Kraftakts der Berliner Bildhauerschule“ aus Ruinen neu erstehen, zitiert Lobeshymnen und differenzierte Wertungen, vernichtende Kritiken und satirische Verrisse, zeigt auch einige Karikaturen, die vielfach den Kaiser meinten, wenn sie die durch ihre soldatenhafte Aufreihung ausgesprochen eintönig wirkenden Marmorfiguren lächerlich machten. Wie die Kritik beim Monarchen ankam, läßt sich schwer feststellen, aber sie muß ihn schon gewurmt haben, wenn man seine Ausfälle gegen alles liest, was nicht seiner Auffassung von der Rolle der Kunst als staatstragendes Medium entspricht.

Wilhelm II. hatte es gut mit „seinen Berlinern“ gemeint, als er am 27. Januar 1895, seinem 36. Geburtstag, bestimmte: „Als Zeichen Meiner Anerkennung für die Stadt und zur Erinnerung an die ruhmreiche Vergangenheit will Ich daher einen bleibenden Ehrenschmuck für Meine Haupt- und Residenzstadt stiften, welche die Entwicklung der vaterländischen Geschichte von der Begründung der Mark Brandenburg bis zur Wiederaufrichtung des Reiches darstellen soll. Mein Plan geht dahin, in der Siegesallee die Marmor-Standbilder der Fürsten Brandenburgs und Preußens, beginnend mit Albrecht dem Bären und schließend mit dem Kaiser und König Wilhelm I., und neben ihnen die Bildwerke je eines, für die Zeit besonders charakteristischen Mannes, sei er Soldat, Staatsmann oder Bürger, in fortlaufender Reihe errichten zu lassen. Die Kosten der Gesamtausführung will Ich auf Meine Schatulle übernehmen.“ Wie die Autorin schreibt, war die Reaktion der ob solcher Generosität überraschten Öffentlichkeit (die zum 25jährigen Reichsgründungsjubiläum anderes erwartet hatte) teils devot-erfreut, teils skeptisch oder strikt ablehnend. Man war sich ziemlich schnell im klaren darüber, daß die Auswahl der denkmalwürdigen Assistenzpersonen außerordentlich schwierig sein würde. Alle Beteiligten merkten am eigenen Leib, was es bedeutet, wenn es sich der Kaiser zu seiner höchsteigenen Angelegenheit macht, bis in die letzte Haarlocke und Kostümfalte die praktische Ausführung zu überwachen. Die Autorin liefert dazu charakteristische, bisweilen amüsant zu lesende Belege, auch solche für Neid und Mißgunst bei jenen, die nicht von der Gnadensonne des kaiserlichen Mäzens beschienen wurden. Wie das Buch nachweist, führte die ständige Einmischung des Kaisers, der als Experte in Kostümfragen brillierte und mit Gedichten und Zeichnungen dilettierte, zu erheblichen Frustrationen bei einigen Bildhauern, die allerdings nicht offen rebellieren konnten. Man tröstete sich, weil die Bezahlung fürstlich war und die Arbeit an der Siegesallee auch die Karriere förderte.

Die von der Autorin ausführlich zitierten Kritiker stießen sich an der Serienmäßigkeit der Herrscherfiguren, die die Beine mal so und mal anders stellten, aber irgendwie austauschbar waren. Der Karikaturist Olaf Gulbransson faßte den Unmut in einer Zeichnung zusammen, auf der ein Bildhauer mit alleruntertänigstem Dank den Auftrag für „noch mal Friedrich der Große, drei Kurfürsten und fünf Zentner Reichsadler“ entgegennahm. Der Leser erfährt an anderer Stelle von den Nöten, die die Bildhauer bei der Darstellung ihrer Helden hatten. Beinamen früherer Herrscher wie Heinrich das Kind, Otto der Faule oder Waldemar der Große, mittelalterliche Siegel, Urkunden und Zeichnungen von fragwürdiger Authentizität sowie ein blühender Legendenschatz gaben letztlich nur spärliche Anhaltspunkte dafür, wie der Betreffende wohl ausgesehen haben mag. Bei Potentaten der Neuzeit besaß man wenigstens Porträts. Weil von Albrecht dem Bären nur ein Siegel existierte, „das ebensogut ein Pfund Wurst wie ein Gesicht darstellen konnte“, schaute der Bildhauer Walter Schott „ein ganz klein bißchen in den Spiegel“ und kopierte sich selbst, und auch August Kraus half sich, indem er den überaus populären Zeichner Heinrich Zille für die Büste des Ritters Wedigo von Plotho, genannt „der Bauernschlächter“, Modell sitzen ließ. Andere Künstler griffen auf Klischees zurück und erfanden dicke Bischöfe, asketische Mönche und martialische Militärs. Beim Denkmal Friedrichs des Großen vereinte man auf der gleichen Bank den Feldherren Graf Schwerin und Johann Sebastian Bach, wissend, daß der Thomaskantor am Hofe des Flötenspielers nur eine Gastrolle gespielt hat. Uta Lehnert kennt noch weitere Beispiele des laxen Umgangs mit den Fakten.

Zum politischen und ideologischen Hintergrund für die marmorne Ahnengalerie schreibt die Verfasserin, Wilhelm II. habe als Enkel des Reichsgründungskaisers Wilhelm I. versucht, mit beachtlichem Einsatz durch persönliche und bildliche Anwesenheit in dem innerlich noch nicht gefestigten Reich und in der durch soziale Gegensätze gespaltenen Gesellschaft als unabhängige Instanz über den Parteien zu stehen und sich als Integrationsfigur allen Deutschen anzubieten. Mit außenpolitischen Fehlentscheidungen und provozierend martialischem Auftreten allerdings habe er das Ausland verunsichert und dem Ansehen des Deutschen Reiches geschadet. „Die Weckung und Erhaltung von Sympathien für den monarchischen Gedanken war daher also bittere Notwendigkeit. Die immensen Anstrengungen des Kaisers auf diesem Gebiet werden hier mit dem Schlagwort ,réclame royale‘ zusammengefaßt, was nicht nur als Reklame des Königs, sondern vor allem als Reklame für den König (bzw. die Monarchie) zu verstehen ist.“

Als die Siegesallee nach vielen Geburtswehen Ende 1901 endlich fertig war, war der Kaiser von der herausragenden Qualität der Bildhauerarbeiten begeistert. In grenzenloser Selbstüberschätzung verglich der Monarch die „im direkten Verkehr des Auftraggebers mit dem Künstler“ gefertigten Herrscherfiguren mit den besten Schöpfungen der Renaissancezeit und warnte gleichzeitig vor „sogenannten modernen Richtungen und Strömungen“. Die im Wortlaut zitierte und auf ihren Inhalt analysierte Ansprache vom 18. Dezember 1901 ging in die Geschichte als „Rinnsteinrede“ ein. In ihr hatte der Kaiser von der Kunst gefordert, sie möge „erheben“ und dürfe nicht in den „Rinnstein“ niedersteigen.

Die Geschichte hat es mit dem „Ehrenschmuck“ nicht gut gemeint. Kaum 50 Jahre nach seiner Aufstellung waren im heiß umkämpften Tiergarten nur noch Rudimente vorhanden. Wie mit ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg umgegangen wurde, schildert die Autorin im letzten Teil ihres Buches. Die Pläne reichten von der Aufstellung einzelner Figuren in Museen bis zur Freigabe als Steinbruch. Daß die Denkmäler nicht aus der Nazizeit stammen, sondern schon in der Kaiserzeit aufgestellt wurden, sicherte ihr Überleben. Die 1954 in der Nähe des kriegszerstörten Schlosses Bellevue vergrabenen Reste der Siegesallee wurden 1979 freigelegt und im alten Wasserwerk am Halleschen Ufer 78 untergebracht. Dort fristen sie ein Dornröschendasein, auch wenn gelegentlich einige Plastiken in Ausstellungen gezeigt und damit auch „geadelt“ wurden. Uta Lehnert spricht dem Rezensenten aus dem Herzen, wenn sie fordert, die im Freien ungeschützt aufgestellten Büsten durch Schutzmaßnahmen vor endgültiger Zerstörung zu bewahren. „Sollten die ,Puppen‘ einmal das Provisorium am Landwehrkanal verlassen, käme nur die Aufstellung an einem Ort in Frage, wo sie sowohl vor schädlichen Umwelteinflüssen, als auch vor mutwilliger Zerstörung geschützt wären. Ein solcher Ort böte sich in der Zitadelle Spandau. Ob es aber jemals zu einem neuerlichen Umzug kommen wird, ist ungewiß. Bis dahin warten die Denkmäler, ins Depot gesperrt, auf bessere Zeiten.“ Hinzuzufügen wäre, daß vielleicht Uta Lehnerts hervorragende Dokumentation mit reichem Bildanteil mithilft, das Nachdenken über die kaiserzeitliche Staatskunst um 1900 anzuregen und die Verantwortlichen in Berlin auf wichtige Zeugnisse der Bildhauerei des 19. und 20. Jahrhunderts einschließlich der Grabmalsplastik hinzuweisen, die ohne jeden Schutz buchstäblich im Regen stehen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 3/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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