Eine Rezension von Gerhard Keiderling


„Vater ist da!“ Kriegsheimkehrer aus der Sowjetunion

Annette Kaminsky (Hrsg.): Heimkehr 1948

Verlag C. H. Beck, München 1998, 399 S.

 

Die 4. Sitzung des Rates der Außenminister von März/April 1947 in Moskau legte fest, alle deutschen Kriegsgefangenen bis zum 31. Dezember 1948 zu repatriieren. Von den insgesamt 11,1 Millionen deutschen Kriegsgefangenen befand sich zu diesem Zeitpunkt noch ein Großteil auf den Territorien der Alliierten. Die USA entließen alle bis Juli 1947. Der letzte deutsche Kriegsgefangene verließ Großbritannien im Juli 1948. Hunderttausende befanden sich Mitte 1948 weiterhin in Westeuropa, in Nahost und in einigen osteuropäischen Ländern. Allein Frankreich, das das Gros der Kriegsgefangenen von den Amerikanern und Briten übernommen hatte, hielt über 137 000 mit sog. Arbeitsverträgen bis Anfang der fünfziger Jahre zurück. Mindestens 0,25 Millionen starben in westalliierten Lagern; über die ungeheuer hohe Todesrate in den berüchtigten Rheinwiesenlagern von 1945 gehen die Angaben weit auseinander. Während auf westlicher Seite immerhin relativ verläßliche Zahlen vorlagen, sucht man solche bei der Sowjetunion vergebens. Die von Moskau im Laufe der Zeit gemachten Mitteilungen wichen in dem Maße voneinander ab, wie die Kriegsgefangenenfrage in den Strudel des Kalten Krieges geriet. Westliche Schätzungen sprachen von insgesamt rund 3,15 Millionen deutscher Soldaten in sowjetischer Gefangenschaft; von ihnen starben bis 1956 etwa 1,1 Millionen.

Das vorliegende Buch - es bringt bezüglich der Zahlen auch noch keine Klarheit, obwohl neues Archivmaterial verarbeitet wurde - schränkt das Thema „Jahr der Heimkehr“ auf die Rückführung der deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion ein. Die 19 Beiträge gruppieren sich - von wenigen allgemein gehaltenen, die Zeitumstände von 1948 schildernden Aufsätzen abgesehen - um zwei Problemkreise: die Repatriierung in politisch-ideologischer und logistischer Hinsicht sowie die soziale, familiäre und psychische Aufnahme der Heimkehrer.

Frankfurt (Oder) war damals die Durchgangsstation in die Heimat. Die in Zügen eingetroffenen Kriegsgefangenen mußten zunächst das sowjetische Entlassungslager in der Hornkaserne und danach das benachbarte deutsche Entlassunsgslager Gronenfelde durchlaufen, ehe sie in ihre Heimatorte in allen vier Zonen weiterreisen konnten. Während der Entlassungswellen um 1948 gingen Tausende täglich diesen Weg. Binnen ein bis zwei Tagen mußten die oft in einem erbärmlichen Zustand Ankommenden betreut, mit dem Nötigsten ausgestattet und weitergeleitet werden. „Eine logistische Meisterleistung der Nachkriegszeit“, urteilt A. Kaminsky. Bemerkenswert sind die Beiträge von B. Ciesla und K.Eichler, die sich mit der Rolle der Deutschen Reichsbahn bei der Rückführung der deutschen Kriegs- und Zivilgefangenen aus der UdSSR sowie mit dem Einsatz eines Lazarettzuges des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz beschäftigen. In ihren Heimatorten angekommen, fanden sich viele in der Nachkriegswelt nicht zurecht. Um ihre Betreuung und Wiedereingliederung bemühten sich neben Kirchen und Parteien (A. Kaminsky) vor allem die deutschen Verwaltungen, wie A. Matschenz eindrucksvoll am Beispiel Berlin zeigt.

Wie stark die Kriegsgefangenenfrage in der SBZ/DDR „zwischen Tabu und Propaganda“ stand, verdeutlicht B. Ihme-Tuchel. Die von der Bevölkerung bedrängte SED vermochte in Karlshorst und Moskau wenig zu erreichen und fügte sich dem taktischen Spiel des Kremls, der während des Adenauer-Besuchs in Moskau 1956 die Freilassung der letzten 9628 Personen zu einem politischen Tauschgeschäft machte. Einen Propagandarummel um die „Rußlandheimkehrer“ gab es in Ost und West. Die Aktivitäten des ostzonalen Rundfunks, die inhaltlich von SMAD und SED verantwortet wurden, beschreibt J.-U. Fischer auf minuziöse Weise. Mit Grußsendungen, Suchdiensten, Sachinformationen, Reportagen und sogar mit Hörspielen wurden Daheimgebliebene wie Heimkehrer angesprochen und prosowjetisch umworben.

Weitere Beiträge beschäftigen sich mit dem Einsatz von Heimkehrern bei der Wismut-AG (R. Karlsch), mit der Rückkehr deutscher politischer ExilantInnen (M. Stark) und mit den Bemühungen der SED um die Repatriierung antifaschistischer Kriegsgefangener für einen Kadereinsatz in der SBZ (J. Morré). Ein besonders trauriges Kapitel ist die kaum bekannte Geschichte der „Nicht-Heimkehrer“ (L. Prieß), gemeint sind die rund 6000 Wehrmachtsoffiziere, die nach ihrer Entlassung aus westalliierter Gefangenschaft und Einreise in die SBZ von sowjetischen Militärorganen erneut in Gewahrsam genommen und dann nach „Sibirieren“ transportiert wurden. Das Ausmaß der sozialen und familiären Reintegration der Kriegsheimkehrer wird in einer Studie über Eheberatungsstellen und in zwei lebensgeschichtlichen Reflexionen nur angedeutet.

Die Beiträge zeichnen sich durch gründliche Recherche in Archiven und anderen Quellen aus. Sie bieten viel Neues, gerade für einen jüngeren ostdeutschen Leserkreis, der über das Thema in der DDR-Literatur wenig oder meist nur Tendenziöses erfahren hatte. Auch wenn es sich hier um ein Begleitbuch zur Ausstellung „Willkommen in der Heimat“ im Museum Viadrina in Frankfurt (Oder) von Ende 1998 handelt, hätte man sich doch einen größeren Zirkelschlag um das „Jahr der Heimkehr 1948“ gewünscht. Denn wie eingangs erwähnt, deutsche Kriegsgefangene kehrten nicht nur aus der Sowjetunion zurück und erst recht nicht allein in die sowjetische Besatzungszone.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 3/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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