Eine Rezension von Bernd Heimberger


Vom Stricher zum Samariter

David Schneider: In Tau gekleidet
Issan Dorsey: Drag Queen und Zen Mönch.

Theseus Verlag, Berlin 1998, 296 S.

 

Voreingenommen wie unvoreingenommen ist zunächst festzustellen, daß Thomas, sprich Tommy, sprich Issan Dorsey ein „ganz schlimmer Finger“ war. Er war Stricher und Süchtiger, Dealer und Knastologe, Tunte und Trunkenbold. Hippie war er, Travestie-Talent und Samariter. Wer sich die Fotos von Dorsey ansieht, der nicht feminin war, doch die attraktivste Frau aus sich machen konnte, wird vorurteilslos zugeben müssen, daß er ein gutaussehender Mann war. In der Meinung der Menschen, die den Mann besser kannten, war er ein Ausgeflippter, eine Nervensäge und dennoch stets ein echter Kumpel. „Ich war nur verrückt. Ich war nicht schlimm“, sagte Dorsey über sich. Dem stimmt David Schneider voller Verehrung zu. Er ist Issan Dorseys Biograph. Der möchte, daß die Biographie „als eine buddhistische Erfolgsgeschichte“ gelesen wird. Was heißt, daß sich der Verfasser auch als Vermittler eines Vermächtnisses sieht. Wahrlich eine heikle Mission! Schneiders Dorsey-Darstellung ist so lange akzeptabel, so lange sie die Leser nicht missioniert. Der Autor hat nicht die wundersame Wandlung eines Strichers zum Samariter zum Thema gemacht.

Issan Dorsey, der 1990, 57jährig, in San Francisco an Aids starb, war kein Heiliger. War kein Weltverbesserer. War kein Prophet. Was die Dorsey-Biographie mit dem schwülstig wirkenden Titel In Tau gekleidet „verdächtig“ macht - und im zweiten Teil zudem bedächtig -, ist die Tatsache, daß ein befreundeter buddhistischer Mönch einem buddhistischen Mönch den Hof macht. (Reden wir nicht vom Ge-Denk-Stein!) Ist dem Biographen die „Bekehrungs“-Geschichte das Wesentliche, so wird Lesern das „wilde Leben“ des Issan Dorsey das Erregend-Bewegende sein. Das Leben eines Menschen, dem das Existieren nicht genügte, das das leidenschaftliche Leben be- und verhindert. Der ungebändigte Dorsey mußte wieder und wieder sein Leben riskieren, um sich mehr Leben zu gewinnen, als die meisten Menschen in Jahrzehnten ihres Lebens haben. Die Konfrontation und Kollision des Unangepaßten mit der US-amerikanischen Wirklichkeit offenbart auch die anmaßende Verlogenheit der, von männlicher Sexual-Gewalt dominierten Gesellschaft. Die Widersprüche, die so maßgeblich die Lebenszeit des Issan Dorsey bestimmten, sind von der Allgemeingültigkeit und Aktualität, die das Buch so beachtenswert machen. Letztendlich fühlt sich niemand aufdringlichen Bekehrungen ausgesetzt. In Erinnerung bleiben die eindringlichen Bekenntnisse eines beachtlichen Menschen, den man lieben kann, doch nicht muß.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 3/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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