Eine Rezension von Herbert Mayer


Seine oder meine Republik

Herbert Riehl-Heyse: Ach, Du mein Vaterland

Gemischte Erinnerungen an 50 Jahre Bundesrepublik.

Karl Blessing Verlag, München 1998, 272 S.

 

„Eine der dümmeren Angewohnheiten des Menschen ist es, ständig Bilanz ziehen zu wollen, mit endgültigen Urteilen und Ranglisten aller Art. Leider habe auch ich diese dumme Angewohnheit: Was etwa meine Republik angeht, so habe ich fast von Anfang an immer wieder Beschlüsse darüber herbeigeführt, wie schrecklich ich sie gerade finde oder auch - wenn ein Fußball-Länderspiel besonders großartig war - wie toll. Es hat ja auch immer wieder Anlässe gegeben“, so der Autor. Das Jahr 1999 wird diese Angewohnheit, Bilanz zu ziehen, geradezu herausfordern, bringt es doch etliche Jahrestage auf deutschem Boden. Zu nennen wäre da vor allem das Jahr der „doppelten Staatsgründung“ 1949. Seinen 50.Geburtstag feiern kann freilich nur noch ein Staat, die Bundesrepublik, die sich 1990 um das Gebiet der DDR vergrößerte.

Der Verfasser des vorliegenden „Jubiläumsbands“ ist 1940 in Altötting - das heißt in Bayern - geboren und hat Jura studiert. Nach seinem Studium ist er seit Ende der 60er Jahre als Journalist tätig. Die meiste Zeit arbeitete er bei der „Süddeutschen Zeitung“, jetzt als leitender Redakteur. Er gilt als einer der besten Journalisten des Landes. Auszeichnungen wie der Kisch-Preis, der Publizistik-Preis von München oder der Theodor-Wolff-Preis zeugen von der Anerkennung seiner journalistischen Qualitäten.

„Das Buch handelt von der Geschichte meiner Republik, ist also streng subjektiv: zwei Biographien parallel erzählt“, bekennt er eingangs. Er nennt das Ganze seine Republik: Damit identifiziert er sich und distanziert sich zugleich. Die „Republik“ bildet den roten Faden des Berichts, der Erzählung, der Erinnerung, des Nachdenkens. Beginnen läßt Riehl-Heyse seinen Band mit einer Bekanntschaft im Mittelmeer, wo er Franz Josef Strauß, („lange das wichtigste Objekt meiner journalistischen Begierden“ und „fast der Inbegriff dessen, was die Republik ausmacht, wenn wir sie nicht mögen“) zufällig beim Baden begegnete. In den verschiedenen Kapiteln erfaßt er viele Themen: Ökologie, Wirtschaft, Sport, Kunst, Film und immer wieder Politik.

Natürlich ist durch die „doppelte Biographie“ auch Persönliches über Riehl-Heyse zu erfahren. Sein Vater war zehn Tage vor Kriegsende von der SS erschossen worden, aber die Verantwortlichen wurden 1948 wegen „erwiesener Unschuld freigesprochen“. Nebenbei erinnert er daran, daß das Grundgesetz der Bundesrepublik vom Bayerischen Landtag nicht angenommen wurde. (Wer wird sich aus Bayern zum Jubiläum noch dazu bekennen?) Nach dem Jura-Studium kam Riehl-Heyse auf Umwegen über die „Münchner Katholische Kirchenzeitung“ zum Journalismus. Im bewegten 68er Jahr heiratete er und wechselte zum „Münchner Merkur“, „nicht gerade dem Zentralorgan der Studentenrevolte“.

Das geistige Klima und die vorherrschende Denkweise in der Bundesrepublik läßt er überhaupt „im kleinen“ als auch „im großen“ an vielen Ereignissen und Begebenheiten entstehen. So wenn er für 1954 konstatiert, „auch wir in Altötting (wurden) in jenem Jahr Fußballweltmeister“. Oder wenn er über das Berlin-Ultimatum 1958 und Chruschtschow schreibt, daß man glaubte, daß „im nächsten Jahr der Atomkrieg ausbrechen würde“. Die Frühphase seines Interesses für die Republik datiert er auf Anfang der 60er Jahre, als unter seinen Tennisfreunden das Gerücht gehandelt wurde, „der Sozi Willy Brandt heiße in Wahrheit Herbert Frahm und sei im übrigen unehelich geboren, das sage ja wohl alles“, das habe ihn geekelt. (Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Betont wird ausdrücklich, daß sich der Ekel nicht auf Willy Brandt bezog.)

Das ganze Buch ist mit einem guten Schuß Ironie - auch Selbstironie - und mit Humor geschrieben, an mancher Stelle mit Bitternis und mit leichtem Sarkasmus. Riehl-Heyse schießt Pfeile ab gegen Rechts und Links, gegen Politiker, gegen Wirtschaftsbosse und gegen den „Durchschnitts“-Bürger. Im Laufe seines Journalistenlebens hat er fast die gesamte Politikprominenz des Staates kennengelernt, begleitete sie auf Wahlkampftouren, in der Tagespolitik, machte Interviews. Pointiert wird sie aufs Korn genommen (vielleich manchmal auch ungerecht, wie er einräumt). Beispielsweise stellt er Späth als den Politiker vor, „der so gerne Urlaub auf Kosten befreundeter Industrieller gemacht hatte“. Zur Gemeinsamkeit aller Bundestagswahlen erhebt er recht bissig, „daß sie unverhältnismäßig viel Geld kosten, was aber auch gerechtfertigt ist, weil es jedesmal wieder um nichts Geringeres als um eine Wahl von historischer Dimension geht, gerne auch Schicksalswahl genannt“. Daß manche Anekdote abfällt, dürfte klar sein. So forderte Kiesinger 1969 in Passau die Passauer auf, „hier in Ihrer schönen Stadt Regensburg“ den CDU-Kandidaten zu wählen.

Sicher wird es Riehl-Heyse nicht allen recht gemacht haben. Seine Urteile und Darstellungen muß man nicht (immer und unbedingt) teilen. Daß in der Mediengesellschaft immer mehr gesendet und gedruckt, aber immer weniger gesagt wird, dem kann man sich wohl ohne weiteres anschließen. Daß die Pressefreiheit in „seiner“ Republik nicht unbeschränkt ist, wird an verschiedenen Stellen deutlich angesprochen. Zu Helmut Kohl bemerkt er, von ihm habe er vor allem „gelernt, daß Politiker die Journalisten nach ihrer Zuverlässigkeit sortieren müssen, und daß man nur dann eine Chance hat, am Hofe zugelassen zu werden, wenn man mehrfach bewiesen hat, daß man zum richtigen Lager gehört“. Kohls Regierung habe außenpolitisch Deutschland gutgetan, innenpolitisch habe er aber statt der wichtigsten Reformen eine Stabilisierung seiner Macht vorgezogen.

Fünfzig Jahre Bundesrepublik geben Riehl-Heyse wiederholt Anlaß, darauf hinzuweisen, was in diesem Lande nicht in Ordnung war und ist. Er meint, es würde „mindest zwei Bundesrepubliken Deutschland geben: In der einen veranstalten sie, von 1963 an, den großen Auschwitz-Prozeß, in dem vor Hunderten von Jornalisten das blanke Grauen ausgebreitet wird; und in der anderen Republik findet man fünfzig Jahre hindurch, es werde doch eine Menge aufgebauscht, und im übrigen seien auch andere Völker ...“ An anderer Stelle findet sich seine Lesart des bundesdeutschen Sozialstaates wie folgt: „Meine Republik hat die soziale Gerechtigkeit nie zustande gebracht, sie hat sie nicht einmal für erstrebenswert gehalten, selbst wenn so etwas gelegentlich behauptet wurde, von sozialdemokratischer Seite vor allem.“ Seine Sicht auf die Macht- und Lebensverhältnisse liest sich wie folgt: „Die Welt war ungerecht, meine Republik war es auch, aber sie war erträglich, für mich sowieso, aber ganz offensichtlich nicht nur für mich. Sie begünstigte die Großbanken und die Großaktionäre durch ein ausgeklügeltes Steuerrecht, die Hausbesitzer und Grundstückseigentümer durch die Segnungen der Paragraphen 7c und 7d des Einkommensteuergesetzes. Aber dem großen Rest der Deutschen/West hat sie auch ganz schön auf die Beine geholfen: Durch Volksaktien und 312-Mark-Gesetz, durch (vergleichsweise) erfreuliche Sozialhilfesätze und die dynamische Rente.“ Sein Fazit: Diese Republik habe die „Grundausrüstung vorrätig ... für die menschliche Zivilisation“, für den Rest müßten sich die Bürger wohl selbst ein wenig zuständig fühlen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 3/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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